Zu Artikel Bundesregierung und Parteien
Januar 2001:
Artikel »Rot-Grüne Beihilfe zum Völkermord?
Für eine Kampagne gegen Rüstungsexporte«
in ZivilCourage Nr. 1/2001
Handfeuerwaffen sind Prestigeobjekte von Rüstungsbossen, Militärs und Verteidigungspolitikern. Mehr als das aber sind sie das gebräuchlichste Mittel der Kriegsführung. Handfeuerwaffen sind - wie Landminen - »konventionelle« Waffen und fordern dennoch weitaus mehr Tote als diejenigen Waffen, die gemeinhin als Massenvernichtungswaffen gelten. Kein bundesdeutscher Regierungsvertreter - gleich welcher parteipolitischen Couleur - hat es bislang gewagt, ein Export oder gar Produktionsverbot dieser Massenvernichtungswaffen zu fordern.
Dabei ist Deutschland eines der wenigen Länder, deren Gewehre über Direktexporte und Lizenzvergaben das Morden rund um den Globus ermöglichen. Bis heute wurden rund 10 Millionen G3-Gewehre produziert, exportiert und eingesetzt. Inzwischen hat die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch die Bundeswehr mit dem Nachfolgemodell G36 ausgerüstet.
Sollte die jetzige Bundesregierung wie ihre Vorgängerinnen verfahren, droht die Fortsetzung der tödlichen »Erfolgsstory« aus Oberndorf - und das Massenmorden mit deutschen Handfeuerwaffen geht in die nächste Runde. Der erste Schritt ist bereits getan: Mit Zustimmung des Bundessicherheitsrats erhält das türkische Militär dieses Jahr eine Munitionsfabrik - bestens geeignet zur Fortsetzung des Bürgerkriegs in Kurdistan. Wann folgen die ersten G36-Gewehre? Mit welchen Argumenten will man Gewehrexporte versagen, wenn man zuvor die entsprechende Munitionsfabrik geliefert hat?
Deshalb ist eine Kampagne gegen die Fortsetzung staatlich legitimierter Rüstungstransfers dringend notwendig. Weitere Waffenexporte in die Türkei werden letztlich dazu führen, dass Organisationen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung nach 1993 ein zweites Mal Strafanzeige gegen die Bundesregierung stellen müssen.
Am 28. Dezember 1949 wurde das Unternehmen Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar gegründet. Noch in den 50er Jahren entwickelten die Waffentechniker die neue Standardwaffe für die Bundeswehr, das Schnellfeuergewehr G3. Die 60er Jahre waren geprägt von der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte und dem Ausbau eigener Produktionskapazitäten.
Gerade die Serienfertigung des G3 entpuppte sich als wahre Goldgrube. Nach der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte mit der »Braut des Soldaten« erschloss die H&K-Geschäftsführung neue Absatzmärkte. Dabei profitierten die schwäbischen High-Tech-Produzenten von der Tatsache, dass der Verkauf angesichts von weltweit mehr als 350 Kriegen und Bürgerkriegen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts boomte. In nur wenigen Jahren avancierte das Unternehmen zum größten deutschen Hersteller von Handfeuerwaffen. Kaum eine kriegerische Auseinandersetzung fand und findet ohne den mörderischen Einsatz der H&K-Handfeuerwaffen statt.
Gemessen an der Zahl der Empfängerländer ist H&K bis heute unangefochtener deutscher Rüstungsexportmeister. Auf Bundestagsfragen sah sich Willy Wimmer, früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, zum Eingeständnis gezwungen, dass für G3 Gewehre »bis 1988 für über 80 Länder Ausfuhrgenehmigungen erteilt« wurden. Während die Bundesregierung unter Helmut Kohl gebetsmühlenartig die Leier einer »restriktiven Rüstungsexportpolitik« wiederholte, erteilte sie H&K zugleich einen Freilieferschein für Waffenexporte an nahezu alle Scheindemokratien und Diktaturen.
Folgenschwerer noch als die Direktexporte aus Oberndorf haben sich die Lizenzvergaben ausgewirkt. Nach 1961 genehmigten die Bundesregierungen - bei wechselnder parteipolitischer Besetzung - die Vergabe der Nachbaurechte und den Verkauf entsprechenden Know-hows an die Lizenznehmer im Ausland: So sind G3-Lizenzen 1961 an Portugal, 1963 an Pakistan, 1964 an Schweden, 1967 an Norwegen, den Iran und die Türkei, 1969 an Saudi Arabien, 1970 an Großbritannien und Frankreich, 1971 an Thailand, 1977 an Griechenland, 1979 an Mexiko und 1981 an Burma vergeben worden.
Wiederholt erfolgte die Lizenzvergabe sogar auf Betreiben der Regierung. Längst ist der Interessenverband H&K-Bundesregierung zum Weltmeister der Lizenzvergaben im Handfeuerwaffenbereich aufgestiegen: Über 20 Nachbaurechte für H&K-Waffen sind bislang vergeben worden - mehr als bei der russischen Kalaschnikow oder der US-amerikanischen M16.
G3-Gewehre sowie MP5-Maschinenpistolen werden in Fabrikationsstätten in Lateinamerika, im Nahen Osten oder in Südostasien produziert. Bis heute zählt das G3 - von dem insgesamt zwischen 7 und 10 Millionen Exemplare zumeist in Lizenz gefertigt worden sind - neben der Kalaschnikow AK47, der M16, der israelischen Uzi und der belgischen FN FAL zu den meist eingesetzten Gewehren auf den Schlachtfeldern in aller Welt.
Dreißig Jahre nach seiner Einführung war der G3 Markt gesättigt, die Schnellfeuergewehre entsprachen längst nicht mehr den High-Tech-Ansprüchen der NATO-Kampftruppen. Als die Bundesregierung den bereits erteilten Großauftrag für das neu entwickelte G11-Gewehr stornierte, stand Heckler & Koch vor dem Konkurs. Rückwirkend zum 1. Januar 1991 wurde H&K zu hundert Prozent von Royal Ordnance (RO) übernommen, einem Tochterunternehmen des größten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns British Aerospace. RO befand sich bereits im Besitz einer G3 Lizenz. (Quelle: Kersten/Schmid: Heckler & Koch. Die offizielle Geschichte der Oberndorfer Firma Heckler & Koch. Wuppertal 1999. Seiten 29 ff.) Die Zielsetzung der Londoner Geschäftsführung war eindeutig: H&K sollte über weitere Waffenentwicklungen wieder in die Spitzengruppe der Handfeuerwaffenfirmen geführt und erneut zu einem hoch profitablen Unternehmen gemacht werden.
Am 8. Mai 1995 erteilte der General der Heeresrüstung die Einführungsgenehmigung für das H&K-Gewehr HK50, im Bundeswehrjargon G36 genannt. Nur sechzehn Monate später, im September 1996, wurde das erste Fertigungslos des G3 Nachfolgers an die so genannten Krisenreaktionskräfte ausgeliefert.
Zur eigentlichen Neuorientierung im Munitionsbereich kam es aufgrund der Marktauseinandersetzung mit der US-amerikanischen Firma Colt, deren M16 das US Militär verwendet. Die 5,56 mm Munition ist halb so schwer wie die des G3 und weist einen um 50 Prozent geringeren Patronenimpuls auf. Die H&K-Techniker erkannten, dass ihr Unternehmen nur dann auf dem internationalen Waffenmarkt bestehen kann, wenn es sich der US Norm anpasst: Kein Wunder also, dass das G36 bei einer um rund 50 Prozent erhöhten Feuerkraft aufgrund des leichten und zugleich hitzeresisteten Kunststoffs sowie der neuen 5,56 mm Munition immer noch über ein Kilo leichter als das G3 ist - auf dem Schlachtfeld ein entscheidender Vorteil in Sachen Beweglichkeit und Nachschub.
Mit dem G36, zu einem Stückpreis von 1.200 Mark 170.000 Mal für das bundesdeutsche Heer geordert (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 21. August 1997), verfügt H&K über einen Gewehrtyp, der wie sein Vorgängermodell zum »global seller« werden soll. Die Rahmenbedingungen dafür scheinen - dank einer weiterhin hemmungslos praktizierten Rüstungsexportpolitik - bestens. Und alles spricht dafür, dass die Türkei einer der ersten Abnehmer sein wird.
Vor Jahren behauptete Ursula Seiler Albring, damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt: »Die Bundesregierung hat sich von der türkischen Regierung wiederholt ausdrücklich versichern lassen, dass deutsche Waffen vertragsgemäß nicht im Rahmen der Terrorismusbekämpfung (gemeint waren Kurden. Anm. J. Grässlin) verwendet werden.«
Wie falsch derlei Aussagen sind, weiß jeder, der den Einsatz türkischer Kampfeinheiten - auch gegen Zivilisten - in der Vergangenheit verfolgt hat. Seit Jahrzehnten setzen türkische Militäreinheiten bei ihren Vernichtungsaktionen gegen Kurdinnen und Kurden H&K-Waffen »Made in Turkey« ein: Die Lizenzvergabe der H&K-Maschinenpistole MP5 an die Türkei erfolgte 1983, die des Schnellfeuergewehrs G3 bereits 1967. Seither hat der Lizenznehmer Makina ve Kimya Endustrisi Kurumu (MKEK) aus Ankara pro Jahr bis zu 40.000 G3-Gewehre gefertigt - genug, um das Oberndorfer G3 zur Standardwaffe der türkischen Streitkräfte werden zu lassen.
Rechtlich wäre die Rücknahme der Handfeuerwaffenlizenz möglich. Doch noch nie hat irgendeine Bundesregierung eine vergebene G3-Lizenz zurückgezogen. Warum sollte sie auch? Bislang lagen Lizenzvergaben immer im »vitalen Interesse« der deutschen Christ- und Sozialdemokraten.
Wo die Rot-Grüne Bundesregierung steht, hat sie im Sommer mit der Mehrheitsabstimmung im geheim tagenden Bundessicherheitsrat zur Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei gezeigt: Die Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH im hessischen Geisenheim, ein Tochterunternehmen von Ferrostaal, erhielt die Genehmigung, im Jahr 2001 gemeinsam mit französischen und belgischen Partnern eine Munitionsfabrik für das NATO-Kaliber 5,56 mm zu errichten.
Man mag sich über die Auswirkungen der Exporte von Leopard2 Panzern an Schweden oder die Schweiz streiten können; im Fall des Aufbaus einer Munitionsfabrik in der Türkei sind die Folgen offensichtlich: Rot-Grün leistet Unterstützung beim Völkermord in Kurdistan. Alle Versprechungen von Gerhard Schröder, Rudolf Scharping oder Joschka Fischer bezüglich einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik platzen als verbale Seifenblasen. Und die neu beschlossenen »Politischen Grundsätze« der Bundesregierung zum Rüstungsexport vom Januar 2000 entpuppen sich als Barbiturat zur Ruhigstellung einer kritischen Öffentlichkeit. Dort heißt es: »Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.«
Während man nach außen Humanität propagiert und mit diesem Argument den Kampfeinsatz der Bundeswehr in Serbien legitimiert, wird in vertraulicher Sitzung Beihilfe zum Morden geleistet.
Am 26. Februar 1993 stellten eine Reihe von Friedens und Menschenrechtsorganisationen »Strafanzeige wegen Unterstützung des Völkermordes und Aggressionskrieges der Türkischen Republik gegen das kurdische Volk durch bundesdeutsche staatliche Stellen, Rüstungsbetriebe und Einzelpersonen«. Angelika Beer, damals Bundesvorstandsmitglied der GRÜNEN, begründete ihre Beteiligung an der Strafanzeige damit, dass der türkische Staat die »Endlösung der Kurdenfrage« versuche. Zu Recht kritisierte die GRÜNEN-Politikerin damals: »Trotz des nachgewiesenen Einsatzes deutscher Waffen gegen die kurdische Bevölkerung läuft der tödliche Waffenhandel zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei weiter. Die deutsche Wirtschaft ist bereit, immer wieder aufs Neue zu beweisen, dass sie zugunsten des eigenen Profits in Kauf nimmt, über Leichen zu gehen.« Weiter beklagte Angelika Beer, mittlerweile Obfrau von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Verteidigungsausschuss des Bundestages: »Mitten in Europa herrscht Krieg - doch niemand sieht hin.«
Heute müssen wir feststellen: Noch immer herrscht Krieg mitten in Europa und Rot-Grün geht - mit der Zustimmung zum Export der Munitionsfabrik - über Leichen.
Das 5,56 mm Kaliber der Munitionsfabrik von Fritz Werner ist auch für das neue G36 geeignet. Was liegt näher, als sich an die G3-»Erfolgsstory« zu erinnern: Der Bewaffnung der Bundeswehr folgten die Direktexporte und Lizenzvergaben in alle Welt.
Wollen wir verhindern, dass auch das G36 zum weltweiten Verkaufsschlager wird und erneut Hunderttausende von Opfern zu beklagen sind, müssen wir jetzt eine breit angelegte Kampagne gegen G36-Direktexporte und -lizenzvergaben initiieren. Dabei sollten wir alle notwendigen Aktionsformen diskutieren: von Beschwerdebriefen, faxen und E-Mails über die massenhafte Postkartenverschickung an die Verantwortlichen, Proteste und Blockaden vor dem Bundestag, vor den Werkstoren von Heckler & Koch und Fritz Werner bis hin zu einer neuerlichen Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord - diesmal gegen die Rot-Grüne Bundesregierung.
Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der DFG-VK. In der ZC 3/2000 schrieb er die Titelgeschichte »Mordsgeschäft Rüstungsexport«.
Erschienen in ZivilCourage Nr. 1/2001