Interview »Für Tod und Verstümmelung verantwortlich«
in junge welt vom 15.03.2005


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»Für Tod und Verstümmelung verantwortlich«
Deutschland beliefert Folterstaaten mit Rüstungsgütern.
Kriegswaffenausfuhr vervierfacht.

Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin
Interview: Thomas Klein

* Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.)

F: Nach einer neuen Studie des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und der Hilfsorganisation Oxfam (jW berichtete am 9.3.) kommt dem Export von Rüstungskomponenten aus Deutschland eine erhebliche Bedeutung zu. Was heißt das konkret?

In einer Art alternativem Rüstungsexportbericht haben BITS und Oxfam vor wenigen Tagen erstmals aufgelistet, in welchem Ausmaß in den vergangenen Jahren Bauteile für Waffen von   Deutschland in alle Welt geliefert wurden. Ein Laie kann nicht wissen, dass thailändische Korvetten mit deutschen Feuerleitsystemen schießen und chinesische U-Boote mit deutschen Motoren angetrieben werden.

F: Als der Grüne Joseph Fischer das Amt des Außenministers übernahm, sprach er sich für »Kontinuität in der Außenpolitik« aus und meinte damit offensichtlich auch Kontinuität bei den Rüstungsexporten. Oder wie erklären Sie sich deren unverändert hohe, ja sogar teils noch angestiegene Zahlen?

Die neuen »Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport« traten im Januar 2000 in Kraft. Darin maß Rot-Grün »der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht bei«. Soweit die Theorie.

F: Und die Praxis?

In der Praxis belegt der Rüstungsexportbericht 2003 die Vervierfachung der Kriegswaffenausfuhr in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr mit damals 0,3 Milliarden Euro. Die Einzelgenehmigungen für Rüstungstransfers stiegen 2003 um 50 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro. Folgenschwer sind Lieferungen von Waffen, Waffenteilen bzw. Munition an kriegsführende Staaten wie die USA und Großbritannien, an Staaten, die die Menschenrechte verletzen, wie Ägypten, Malaysia, Mexiko, Saudi-Arabien, Thailand und die Türkei.

Dramatisch ist die Entwicklung vor allem im Bereich der so genannten »Kleinwaffen«. 2003 erhielt beispielsweise Malaysia mehr als 1 000 Maschinenpistolen im Wert von über einer Million Euro. Dabei wies Amnesty International darauf hin, dass es in Malaysia »erneut Meldungen über illegale Tötungen sowie die Folterung und Misshandlung von Strafverdächtigen« durch die Polizei gegeben hat.
Wer bei Rot-Grün im Zusammenhang mit Rüstungsexporten das Wort »Menschenrechtspolitik« in den Mund nimmt, müsste vor Scham knallrot anlaufen.

F: Sie haben 1994 und 1998 auf der baden-württembergischen Landesliste der Grünen für den Bundestag kandidiert. Ist es für Sie vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass Sie in der Friedenspolitik alte Grundsätze nicht über Bord geworfen haben, besonders schmerzhaft, sich in dieser Angelegenheit mit der Politik der SPD/Grünen-Regierung auseinanderzusetzen?

Damals hatte ich die Hoffnung, dass mit einem Regierungs- auch der versprochene Politikwechsel eintreten würde. Leider stellen sich heute Sozialdemokraten und Bündnisgrüne im Rüstungsexportbereich in die traurige Tradition der konservativ-liberalen Vorgängerregierung.

F: Die Konsequenz haben Sie vor fünf Jahren mit Ihrem Parteiaustritt gezogen?

Stimmt. Im Jahr 2000 bin ich bei den Grünen ausgetreten und recherchiere jetzt, welche Waffenexporte die SPD-Grünen-geführte Bundesregierung an welches kriegsführende oder die Menschenrechte verletzende Regime genehmigt. Das Ausmaß der   aktiven Beihilfe zum Massenmorden auf den Schlachtfeldern übertrifft meine Befürchtungen.

Gerhard Schroeder, Wolfgang Clement und Joschka Fischer tragen die politische Verantwortung für Tote und Verstümmelte in den Kriegs- und Bürgerkriegsländern, vor allem durch ihre Exportbewilligungen so genannter »Kleinwaffen«. Als Mitglieder des geheim tagenden Bundessicherheitsrats entscheiden sie über die brisantesten Waffentransfers. Mit ihren Exportgenehmigungen an Regime, die Menschenrechte verletzen, setzen sie das tödliche Werk ihrer Vorgänger Helmut Kohl, Günter Rexrodt und Hans-Dietrich Genscher fort.