Redebeitrag »Schritte zur Abrüstung - Im Irak, in Deutschland und weltweit«
zum Internationalen Aktionstag gegen Krieg in Ludwigsburg
vom 20.03.2004


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»Schritte zur Abrüstung - Im Irak, in Deutschland und weltweit«

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

am heutigen Aktionstag demonstriert die Friedensbewegung weltweit Gegen Krieg und Besatzung. Allein in Deutschland finden in mehr als 70 Orten Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen und Protestaktionen statt. Die Friedensbewegung ist aktiv und ihre Stimme ist wichtiger als je zuvor.

Denn die Rüstungsetats steigen nach Jahren der Stagnation erneut an, und weltweit tobten im Jahr 2003 mehr als 200 Konflikte, davon 26 Kriege: der Antiremige- und der Antiterrorkrieg in Afghanistan, die Kriege in Algerien, Burma, Burundi, Elfenbeinküste, fünf verschiedene Kriege in Indien, Kriege in Indonesien, Israel und Palästina, Kolumbien (ELN und FARC), Liberia, Nepal, Philippinen (Mindanao und NPA), Russland und Tschetschenien, Senegal, Somalia, Sudan, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik.

Wir haben uns heute hier in Ludwigsburg versammelt, um Bilanz zu ziehen, über folgenschwersten Krieg des letzten Jahres: den Krieg der so genannten Allianz der Willigen unter der Führung der USA gegen Irak. Wir haben uns aus einem Anlass versammelt, der mich traurig und wütend zugleich stimmt. Traurig, weil die Terrormeldungen in den letzten Monaten nicht ab-, sondern zugenommen haben. Wütend, weil sich heute der Tag jährt, an dem die von den USA geführten Armeen mehrerer Staaten völkerrechtswidrig den Irak überfallen und dort Tausende von Menschen ermordet haben.

Vor einem Jahr warnten Millionen von Menschen der Friedens-, Frauen-, Menschenrechts- und Dritte-Welt-Bewegung, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Vertreterinnen und Vertreter der großen Glaubensgemeinschaften vor diesem Krieg. Wir haben demonstriert, und viele von uns haben vor Kasernentoren blockiert.

In meinen Reden auf den Demonstrationen im Vorfeld dieses Krieges, die übrigens zu den größten in der Geschichte der Friedensbewegung zählten, führte ich acht zentrale Thesen gegen den Irak-Krieg an:

1. Der dritte Golfkrieg dient der Begleichung der offenen Rechnung der Familie Bush. 2. Der dritte Golfkrieg ist ein gewollter Krieg der US-Regierung.

3. Der dritte Golfkrieg stärkt die Macht der USA und schwächt die UNO.

4. Der dritte Golfkrieg ist ein Krieg für Öl.

5. Der dritte Golfkrieg führt zur humanitären Katastrophe.

6. Der dritte Golfkrieg stärkt den internationalen Terrorismus.

7. Der dritte Golfkrieg lässt die deutsche Regierung schwanken.

8. Der dritte Golfkrieg stellt eine völkerrechtswidrige Handlung dar.[#1]

Leider haben wir Recht behalten, denn diese Befürchtungen und Prognosen haben sich bewahrheitet. Ja, dieser völkerrechtswidrige Krieg war gewollt, war ein Krieg für Öl, er führte in eine humanitäre Katastrophe und in politische Instabilität.

Damit der Irak-Krieg im Frühjahr 2003 geführt werden konnte, mussten die Menschen in den USA und weltweit belogen werden: George W. Bush, Colin Powell, Donald Rumsfeld und Tony Blair erfanden die Kriegslügen biologischer, chemischer und atomarer Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen des Irak. Und sie erfanden die Kriegslüge einer engen Kooperation des Hussein Regimes mit dem Al-Qaida-Netzwerk, das die Anschläge des 11. September 2001 geplant und vollstreckt haben sollte.

Nicht desto trotz hält US-Regierung unter Führung des US-Präsidenten George W. Bush bis heute an ihrem Lügengebäude fest. Sie behauptet, Diktatur sei durch Demokratie ersetzt, Unterdrückung der Freiheit gewichen, Not und Elend seien durch Wirtschaftswachstum und Wohlstand ersetzt worden.

Wer so spricht, Herr Bush, der lügt!

Das einzige was stimmt, ist die Tatsache, dass der irakische Staatschef Saddam Hussein Hunderttausende Irakerinnen und Iraker brutalst foltern und ermorden lassen hat. Dass er aus dem Amt gejagt worden ist, muss man begrüßen, keinesfalls aber die Vorgehensweise, mit der dies geschehen ist. Denn dieser Krieg ist nicht der Menschenrechte wegen geführt worden.

Keiner der Kriege ist humanitär, Krieg an sich ist die schlimmste Form der Verletzung von Menschenrechten! Krieg ist kein Mittel gegen Terror, Krieg ist Terror!

Die Realität sieht ganz anders aus, als der Weltöffentlichkeit vorgegaukelt und den Menschen im Irak versprochen worden ist: Die Mehrheit der Irakerinnen und Iraker leiden unter der Besatzung und der tagtäglichen Repression der Besatzertruppen.Die Auswirkungen der 240.000 Streubomben und mehrerer Tonnen uranangereicherter Munition, die die US-Luftwaffe über dem Irak abgeworfen hat, sind für die Betroffenen existenzzerstörend.Viele Menschen im Irak leiden unter der Zerstörung der Infrastruktur und den desaströsen Folgen der Bombardements.Den meisten Irakerinnen und Irakern fehlt eine menschenwürdige Grundversorgung, fehlt Arbeit, fehlt medizinische Betreuung.Tagtäglich kommen Besatzersoldaten und Guerillakrieger im Irak ums Leben. Vor allem aber starben und sterben unzählige unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten, Frauen, Kinder und alte Menschen.  Die Bilanz des Irak-Krieges belegt offensichtlich, dass das Gegenteil von dem erreicht, was als Kriegsziel vorgegeben wurde. Die schreckliche Saat auch dieses Krieges ist wieder aufgegangen. Das Terrornetzwerk Al Quaida ist stärker denn je. Die Welt ist nicht sicherer, sie ist unsicherer geworden. Offensichtlich ist: Der Irak-Krieg zählt zu den größten Fehlern der Menschheitsgeschichte! Verantwortlich dafür sind die Regierungen der USA, Großbritanniens, Spaniens und ihre Verbündeten!

In erfreulicher Offenheit hat EU-Kommissionspräsident Romano Prodi vor wenigen Tagen erklärt: Egal, ob im Irak oder außerhalb Iraks, der Terrorismus, den dieser Krieg eindämmen sollte, ist heute sehr viel mächtiger als vor einem Jahr. Und zu Recht stellte Prodi fest: Es ist klar, dass der Krieg gegen den Terrorismus nicht mit Gewalt gewonnen wird.[#2]

Wird der Hydra des weltweiten Terrorismus ein Kopf abgeschlagen, so wachsen drei neue nach. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung sind die Terroranschläge in Madrid vor wenigen Tagen. Dabei muss man keine prophetischen Fähigkeiten besitzen, um zu prognostizieren, dass auch diese Morde nur eine Zwischenstation im weltweiten Terror- und Antiterrorkrieg bleiben werden. Und längst ist nicht mehr klar unterscheidbar, wer Terrorist und Demokrat ist.

Islamistische Terroristen üben ihre Anschläge rund um den Globus inzwischen gezielt gegen Militärs und Zivilisten aus, so wie die US-Luftwaffe ihre Bomben auf Kasernen und Wohngebiete abgeworfen hat. Gewalt wird mit Gegengewalt beantwortet, die Welt ist zum globalen Schlachtfeld geworden. Mit der neuen US-Kriegsführungsstrategie sind völkerrechtwidrige Angriffskriege wieder zum Mittel der Politik geworden, Krieg und Terror sind in erschreckendem Maße salonfähig geworden.

Wir aber wollen heute von Ludwigsburg und all den anderen Friedendemonstrationen in Deutschland und in aller Welt drei ganz klare Botschaften aussenden: Militär löst keine Konflikte!Krieg ist die falscheste aller Antworten auf Terror. Krieg schafft die Legitimation für neuerlichen Terror. Krieg ist Terror! Deshalb müssen Kriege geächtet werden!Wer Frieden schaffen will, der muss Ausbeutung durch Gerechtigkeit ersetzen! Wer Frieden im Irak schaffen will, der muss zu Abrüstung und Entmilitarisierung im Irak beitragen. Deshalb stellen wir heute sechs zentrale Forderungen an die Besatzertruppen aber auch an die Vereinten Nationen auf* Wir fordern den Abzug aller Besatzungstruppen aus dem Irak!Ein begrüßenswertes Signal hat der neue sozialistische Ministerpräsident in Spanien, José Luis Rodriguez Zapatero, kurz nach seinem Amtsantritt gesetzt: Er erklärte, dass Spaniens Truppen den Irak verlassen werden. Wir begrüßen diese Entscheidung und danken Herrn Zapatero für diese mutige Entscheidung.

* Wir fordern einen klaren Zeitplan zur Machtübergabe an die Vereinten Nationen und letztlich an das irakische Volk.

* Wir fordern die Selbstbestimmung des irakischen Volkes und damit freie und demokratische Wahlen, bei denen auch die Anliegen der Minderheiten berücksichtigt werden. Denn es muss gelingen, den drohenden Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten und womöglich auch den Kurden im Norden des Landes zu verhindern. * Wir fordern die Rückgabe der Verfügungsgewalt über die eigenen Rohstoffe an die Menschen im Irak. Denn der Irak-Krieg war kein Krieg für Menschenrechte, sondern einmal mehr ein Krieg für Öl!* Wir fordern die Kompensation sämtlicher Kriegsschäden durch die völkerrechtswidrig einmarschierten Kriegs- und Besatzertruppen, allen voran die der USA und Großbritanniens! * Und wir fordern, dass alle Kriegsverbrecher und Völkerrechtsbrecher vor ein internationales Strafgericht gestellt und verurteilt werden. Dazu zähle ich in erster Linie Saddam Hussein, George W. Bush und Tony Blair.

Die Menschen im Irak brauchen keine Militärs, keine Besatzer und keine Waffen. Was sie angesichts der Not brauchen sind humanitäre Initiativen. Hier ist einer der Ansatzpunkte für uns als Friedensbewegung. Sinnvolle Projekte gibt es, wenn auch nicht genug. Exemplarisch will ich die Kinderhilfe Irak der Internationalen Ärzteorganisation IPPNW nennen.

Neben der humanitären Ebene bietet sich für uns als bundesdeutsche Friedensbewegung ein zweiter, immens wichtiger Ansatzpunkt zum Handeln. Wir müssen den Druck auf die Bundesregierung intensivieren. Denn laut Bundesverteidigungsminister Peter Struck könnten auch deutsche Soldaten im Irak eingesetzt werden. In diesem Fall würde Deutschland zur Kriegspartei, und Terroranschläge wie in Madrid würden auch in Berlin und anderen deutschen Städten folgen.

Deshalb lasst uns die Bundesregierung an ihr Versprechen erinnern: Kein deutscher Soldat darf im Irak eingesetzt werden!

Dass die Bundesregierung auf einem ganz anderen Weg ist, hat mit der Verabschiedung der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, VPR, im Mai 2003 in erschreckender Weise belegt. Bundeswehrsoldaten dürfen seither an jedem Ort der Welt für deutsche Interessen Krieg führen. Unsere Botschaft, Herr Struck, ist eine andere: Wer wirklich helfen will, muss Frieden schaffen, ohne Militär und ohne Waffen!

Aus diesem Grund hat sich die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK, der Kooperation für den Frieden für den Frieden angeschlossen. Die Kooperation ist ein Bündnis von weit mehr als 30 wichtigen Friedensorganisationen, die mit der Verabschiedung der Friedenspolitischen Richtlinien den Weg zu Abrüstung und Entmilitarisierung aufgezeigt haben.

Wir von der DFG-VK fordern mit unserer Kampagne SCHRITTE ZUR ABRÜSTUNG sechs konkrete Maßnahmen, die dazu beitragen werden, Frieden zu schaffen.

Wir fordern* Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr!* Eine deutliche Verkleinerung der Bundeswehr und die Abschaffung der Wehrpflicht!* Den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland!* Die Kürzung der Rüstungsausgaben um mindestens fünf Prozent pro Jahr! Den Stopp aller Rüstungsexporte!

* Die Förderung ziviler Konfliktbearbeitung und der Friedensforschung mit mindestens 500 Millionen Euro jährlich!

Wir wollen weltweit Frieden schaffen. Dazu bedarf es der drastischen Senkung der Rüstungshaushalte. Mit diesem Geld sollen die Entwicklungshilfeetats der reichen Industrieländer vervielfacht werden. Hunger und Armut, die entscheidende Ursache für Terror, müssen überwunden werden. Jedes Kind muss eine Schul- und Ausbildung und damit eine Zukunftsperspektive erhalten. Alle Menschen müssen in Gesundheit aufwachsen können. Kurzum: jeder Mensch verdient ein menschenwürdiges Leben. Diese Ziele sind nur über die Schaffung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung erreichbar, nicht aber mit Schnellfeuergewehren oder Clusterbomben.

Diese Schritte zur Abrüstung sind Schritte zum Leben und damit das beste und erfolgreichste Mittel im Kampf gegen den Terror!

Lasst uns alle aktiv daran mitwirken, dass konkrete Schritte zur Abrüstung eingeleitet werden: im Irak, in Deutschland und weltweit!

Vielen Dank.


Anmerkungen:

[#1] Siehe J. Grässlin: »Der dritte Golfkrieg - Idealer Nährboden für weitere Terroranschläge«, in: NO WAR, S. 104 ff.

[#2] La Stampa vom 15.03.2004