Zu Artikel Bundesregierung und Parteien
Februar 2005:
Artikel » Rot-grüne Politik: Waffenexporte
steigern -
Rüstungsarbeitsplätze schaffen« in ZivilCourage Nr. 1/2005
Der jüngst veröffentlichte Rüstungsexportbericht 2003 dokumentiert, wie weit sich die rot-grüne Bundesregierung vom selbst gesetzten Ziel einer restriktiven Exportpolitik verabschiedet hat. In Zeiten von Hartz IV zählen neue Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie offensichtlich mehr als Moral und Ethik. So wurden die Genehmigungen für Waffentransfers insgesamt und auch die an menschenrechtsverletzende Regimes, in Entwicklungsländer und an Krieg führende Staaten massiv gesteigert. Der Artikel des DFG-VK-Bundessprechers Jürgen Grässlin belegt eindringlich, wie wichtig die Forderung der DFG-VK in ihrer Kampagne »Schritte zur Abrüstung« nach einem »Stopp aller Rüstungsexporte« ist.
Von Jürgen Grässlin
Am 31. Januar 2000 traten die neuen »Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport« in Kraft. Diese sind, anders als das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG), rechtlich nicht bindend. Dennoch bilden sie die Grundlage der Waffentransferpolitik der Bundesregierung.
Erfreulich deutlich formulierte Rot-Grün darin, dass von nun an »der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen« werde. Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs»gütern« würden »grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden«. Nunmehr sollte »die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle« spielen.
Wären diese Grundsätze zur maßgeblichen Grundlage politischer Entscheidungen über Rüstungsexporte gemacht worden, so hätte sich Rot-Grün - als erste Regierung seit der Wiederbewaffnung - einen verdienstvollen Namen gemacht. Denn Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Staaten hätten fortan unterbunden werden müssen. Soweit die Theorie.
Längst wurden und werden die »Politischen Grundsätze« durch Rüstungsexporte in nahezu alle Regionen der Welt ausgehöhlt. Gemäß den Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) in seinem Jahrbuch 2004 rangierte die Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum von 1999 bis 2003 mit Rüstungstransfers im Volumen von 5,240 Milliarden US-Dollar auf dem vierten Platz der Weltwaffenexporteure. Seit der Amtsübernahme durch Rot-Grün stieg Deutschland damit um einen Platz auf. Im Sommer letzten Jahres attestierte die »New York Times« - laut einer Meldung der »Badischen Zeitung« vom 31. August - Deutschland sogar den unrühmlichen dritten Platz der Staaten, die 2003 Vereinbarungen für Waffentransaktionen abgeschlossen hatten. Lediglich die USA und Russland übertrafen die Bundesrepublik.
Veröffentlicht am 2. Dezember 2004 als Bundestagsdrucksache 15/4400 (im Internet zu finden unter http://dip.bundestag. de/parfors/parfors.htm; in der Suchmaske die Drucksachen-Nummer »4400« eingeben und den Bericht als PDF-Dokument laden), belegt der neue Rüstungsexportbericht 2003 die exorbitante Steigerung der Waffentransfers innerhalb nur eines Jahres von 3,26 Milliarden Euro im Jahr 2002 auf 4,86 Milliarden Euro im Folgejahr. Dabei ist die Zahl real erfolgter Rüstungsexporte deutlich höher anzusetzen. Denn neben den Einzelgenehmigungen - die seit Amtsantritt von Rot-Grün Jahr für Jahr gestiegen sind - müssen auch die Sammelausfuhren und die zivil wie militärisch nutzbaren Dual-Use-Güter berücksichtigt werden. Im Endeffekt lag der Wert deutscher Waffentransfers 2003 bei über 7 Milliarden Euro.
Auf Platz 1 der wichtigsten Bestimmungsländer rangieren die USA, die im Laufe des Jahres 2003 für Waffenexporte Einzelgenehmigungen im Wert von 492,1 Millionen Euro erhalten haben. Geliefert wurden beispielsweise Hubschrauber, Teile für Drohnen und Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Scharfschützengewehre, Maschinenpistolen und -gewehre. Auf Platz 9 liegt mit einem Einzelgenehmigungswert in Höhe von 233,8 Millionen Euro Großbritannien, das mit einer Vielzahl so genannter »Kleinwaffen«, aber auch Panzerteilen, gepanzerten Fahrzeuge und Raketen beliefert werden durfte. Beide Staaten sind NATO-Mitglied, so dass keinerlei Exportrestriktionen bestehen.
Am 20. März 2003 führten beide Staaten mit dem Truppeneinmarsch einen völkerrechtwidrigen Krieg gegen den Irak herbei, dem Tausende von Zivilistinnen und Zivilisten zum Opfer fielen. Die als Kriegsgrund vorgeschobenen Massenvernichtungswaffen in den Händen des diktatorischen Regimes Saddam Hussein konnten nie gefunden werden, da sie nicht existierten - was US-Präsident Bush jetzt auch zugegeben hat.
Zu den Hauptwaffenempfängern zählen neben Krieg führenden Staaten auch Länder wie Malaysia - mit Einzelgenehmigungen von 460,7 Millionen Euro auf Platz 3 der Empfängerländer -, die Türkei (440,3/4), Israel (131,6/13), die Vereinigten Arabischen Emirate (49,2/15), Singapur (16/44,8) und Saudi-Arabien (17/ 43,7). Diese liegen in Spannungsgebieten und verletzen nachweislich Menschenrechte.
Politisch diskutiert wurden in den vergangenen Jahren allenfalls Waffentransfers an die menschenrechtsverletzenden Regierungen in Ankara, bei denen Deutschland auf eine Jahrzehnte währende traurige Tradition zurückblicken kann.
Am dramatischsten haben sich die Vergaben von Nachbaurechten im Handfeuerwaffenbereich ausgewirkt. Mit den Lizenzvergaben für das Schnellfeuergewehr G3 (1967) und die Maschinenpistole MP5 (1983) an das staatliche Rüstungsunternehmen MKEK konnten die von Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar entwickelten »Kleinwaffen« zu Standardwaffen des türkischen Militärs und der Polizei werden.
In dem eineinhalb Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg mit der PKK wurden seitens türkischer Sicherheitskräfte ein Drittel der kurdischen Dörfer zerstört. Nach offiziellen Angaben starben rund 5.500 Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte, 24.000 PKK-Kombattanten sowie 5.300 Zivilisten. In vertraulichen Gesprächen haben mir türkische Militärs, die dem Bürgerkrieg kritisch gegenüberstehen, versichert, dass zwischen 80 und 90 Prozent der getöteten Kurdinnen und Kurden durch Kugeln aus dem Lauf von Heckler & Koch-Waffen - vor allem G3-Gewehre - ums Leben gekommen seien.
Die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung zeigte sich in ihrer sechzehnjährigen Amtszeit vom weithin bekannten Massenmorden mit in Deutschland entwickelten Waffen unbeeindruckt und belieferte Ankara im Rahmen der so genannten »NATO-Verteidigungshilfe« mit Rüstungs»gütern« und deren Teilen im Wert von über 2,5 Milliarden Euro. So erhielt das türkische Militär auch Überschusswaffen der ehemaligen Nationalen Volksarmee geschenkt, darunter 300 BTR-60-Schützenpanzer, mehr als 250.000 Kalaschnikow-Sturmgewehre AK47 und 100 Millionen Schuss Munition. Als eine seiner letzten Taten bewilligte Bundeskanzler Helmut Kohl kurz vor dem Regierungswechsel 1998 die Lizenzvergabe zur Fertigung einer halben Million HK33-Gewehre bei MKEK. In den kommenden Jahren wird das treffgenauere HK33 das mittlerweile überalterte Schnellfeuergewehr G3 ersetzen.
Mit dem Regierungswechsel zur Schröder-Regierung sollte alles besser werden. »Stoppt die Waffenexporte in die Türkei!« war Devise von Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen gewesen. Doch kurz nach dem Regierungswechsel zeigte sich, dass auch Rot-Grün dem Druck der Rüstungsindustrie erlegen war. Die Schröder- Regierung genehmigte den Bau einer Munitionsfabrik von Fritz Werner in der Türkei. Mit der für die HK33 passenden 5.56-mm-Munition kann das türkische Militär seine Repressionspolitik im Südosten des Landes fortsetzen.
»Alles halb so schlimm«, lässt man heute nur allzu gerne in Regierungskreisen verlautbaren. Schließlich sei der Bürgerkrieg beendet und, abgesehen von vereinzelten Scharmützeln im Osten des Taurusgebirges, herrsche Friede in der Türkei. Auch die Menschenrechtslage habe sich unter der türkischen Regierung von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan nachhaltig gebessert. Grund genug für Rot-Grün, die Einzelgenehmigungen für Waffenexporte 2003 auf 440,3 Millionen Euro zu steigern. Die Türkei kletterte in nur einem Jahr von Platz 7 auf Platz 4 der Empfängerländer deutscher Waffen, nachzulesen im Rüstungsexportbericht 2003 auf der Seite 25.
In Wirklichkeit war die Entwicklung der Menschenrechtslage in der Türkei längst nicht so positiv wie gemeinhin suggeriert. Laut dem Jahresbericht 2004 der Menschenrechtsorganisation amnesty international gaben 2003 »anhaltende Berichte über Folterungen und Misshandlungen im Polizeigewahrsam und über die Anwendung exzessiver Gewalt gegenüber Demonstranten weiterhin Anlass zu großer Sorge«. Zudem sollen »Sicherheitskräfte und Dorfschützer vorwiegend in den südöstlichen und östlichen Provinzen mehrere Zivilpersonen erschossen haben. Es bestand der Verdacht, dass viele von ihnen extralegal hingerichtet oder Opfer exzessiver Gewalt Gewaltanwendung geworden sind.« Derlei Berichte werden vom türkischen Menschenrechtsverein IHD in einer Pressemitteilung vom 10. September 2004 bestätigt. So seien im Jahr 2003 1.391 Menschen in der Türkei gefoltert worden, darunter eine hohe Zahl von Kurdinnen und Kurden. Doch sei trotz »der vielen Foltervorwürfe kein Polizeibeamter oder dessen Vorgesetzte vom Dienst suspendiert« worden.
Nicht zu vernachlässigen ist auch die permanente Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen mit den Peschmergas, den Kurden im Norden Iraks, deren Separationsbemühungen in Ankara auf größte Vorbehalte stoßen.
Nichtsdestotrotz genehmigte Rot-Grün 2003 unter anderem die Lieferung von Panzerteilen, gepanzerten Fahrzeugen und Landfahrzeugen an die Sicherheitskräfte in der Türkei. Und in Anwesenheit seines Amtskollegen Vecdi Gönül verkündete Bundesverteidigungsminister Peter Struck: »Wenn die türkische Regierung jetzt eine entsprechende Anfrage stellen würde, würde ich dem Bundeskanzler empfehlen, diese Anfrage positiv zu beantworten.« Die geplante Lieferung von 350 Leopard-2-Panzern aus Bundeswehrbeständen stelle dabei lediglich eine Übergangslösung dar, bis die türkische Rüstungsindustrie in der Lage sei, eigene Panzer zu fertigen, wie »Der Tagesspiegel« am 18. Dezember 2004 berichtete.
All diese Exporte erfolgen, obwohl die Türkei in mindestens drei Fällen den Endverbleib der beim Staatsunternehmen MKE gefertigten MP5-Maschinenpistolen durch Re-Exporte an Staaten im Nahen Osten und nach Indonesien verletzt hat. Folgte die Bundesregierung ihren eigenen Vorgaben, dann müssten allein schon diese Vertragsbrüche zum Stopp aller Rüstungstransfers in Türkei führen. Denn »ein Empfängerland, das entgegen einer abgegebenen Endverbleibserklärung den Weiterexport von Kriegswaffen oder kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern genehmigt oder einen ungenehmigten derartigen Export wissentlich nicht verhindert hat oder nicht sanktioniert, wird bis zur Beseitigung dieser Umstände grundsätzlich von einer Belieferung mit weiteren Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern ausgeschlossen«, wie es unter »IV. Sicherung des Endverbleibs, Punkt 4« im Rüstungsexportbericht heißt.
Ausgesprochen dramatisch ist die Entwicklung auch im Bereich der so genannten »Kleinwaffen«. Kleinwaffen wie Gewehre, Pistolen, Revolver, Mörser, Landminen und Handgranaten sind laut der OSZE »tragbare Waffen, die nach militärischen Anforderungen für den Einsatz als tödliches Kriegswerkzeug hergestellt oder umgebaut wurden«.
Der Name wirkt verharmlosend, denn Kleinwaffen sind Massenvernichtungswaffen, mit denen nach Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes weltweit 95 Prozent der Kriegsopfer getötet werden.
Im Wissen um diese Fakten verdoppelte die Bundesregierung die Einzelgenehmigungen für Kleinwaffenexporte in Drittstaaten von 4,2 im Jahr 2002 auf 8,5 Millionen Euro im Folgejahr. Diese Zahl der Transfers an Drittstaaten stellt den höchsten Wert seit Amtsantritt von Rot-Grün dar und übersteigt auch die der letzten Jahre der Kohl-Ära.
Zu den Empfängerländern deutscher Kleinwaffen gehören neben anderen Ägypten, Jordanien, Kuwait, Mexiko, Saudi- Arabien, Thailand und Malaysia - also Staaten, die nachweislich Menschenrechte verletzen. Malaysia beispielsweise erhielt 2003 mehr als 1.000 Maschinenpistolen im Wert von mehr als einer Million Euro. Für das Land weist amnesty international darauf hin, dass es im gleichen Jahr »erneut Meldungen über illegale Tötungen sowie die Folterung und Misshandlung von Strafverdächtigen« gegeben hat - wohlgemerkt »durch die Polizei«.
Die Folge von Menschenrechtsverletzungen aller Art in Staaten, die Deutschland auch im letzten Berichtsjahr erneut mit Waffen beliefert hat, ließe sich fortsetzen.
Damit nicht genug: Im Dezember letzten Jahres stellte sich heraus, dass deutsche Unternehmen illegal Rüstungsprodukte in die Volksrepublik China geliefert hatten. So fertigten die Friedrichshafener MTU und die Deutz AG ohne die notwendige Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) jahrelang Rüstungs»güter« für China. Bei den Waffentransfers ging es laut einem Bericht des TV-Magazins »Monitor« um Motoren für U-Boote sowie um Zerstörer und Schützenpanzer, die seitens der chinesischen Marine bei Manövern gegen das verfeindete Taiwan eingesetzt worden sein sollen.
Geht es nach dem Willen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, dann wird das europäische Waffenembargo gegenüber China schnellstmöglich aufgehoben. Auch der wiederholte Einsatz des Bundeskanzlers für eine Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der Volksrepublik China sei »angesichts der beträchtlichen nachgewiesenen Menschenrechtsverletzungen, die der Staat dort zulässt oder begeht, nicht nachzuvollziehen«, kritisierte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) Mitte Dezember.
Zu Recht kritisierte auch die Grünen-Politikerin Angelika Beer den »Versuch, eine illegale Praxis zu legalisieren - nachträglich«. Sollte das europäische Waffenembargo, das seit 1989 in Kraft ist, auf Deutschlands Initiative hin fallen, dann stiegen die Chancen für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat - so Schröders Zielsetzung.
Dabei käme die Menschenrechtsfrage einmal mehr unter die Räder: In China bestünden »ungehindert schwere Menschenrechtsverletzungen« und »tausende Personen hat man im Berichtsjahr zum Tode verurteilt oder hingerichtet«, schildert amnesty international die Lage in der Volksrepublik. Zudem darf nicht vergessen werden, dass China seit der Militärintervention 1949 und 1950 Tibet besetzt hält und die Meinungs- und Religionsfreiheit massiv beschränkt. Ein kriegerischer Konflikt mit dem verfeindeten Taiwan ist jederzeit möglich.
All dessen ungeachtet rechnet der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler schon im ersten Halbjahr 2005 mit einer Aufhebung des Waffenembargos der Europäischen Union gegen China: »Ich befürworte die Aufhebung des EU-Waffenembargos in dem Moment, da der europäische Kodex für Waffenexporte beschlossen ist«, ließ der SPD-Vize am 30. Dezember 2004 im »Tagesspiegel« verlautbaren. Da diese nur Waffenexporte an Staaten erlaubten, die die Menschenrechte wahren würden, könnten »faktisch also auch nach einer Aufhebung des Embargos keine Waffen an China geliefert werden«.
Die Realität wird wie so oft anders aussehen: Ist das Waffenembargo erst einmal gefallen, werden Rüstungsexporte nach China schrittweise zur Regel (wovon sich die Bundesregierung wohl eine weitere Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen erhofft). Nötig hat China derlei offenherzige Zuwendungen nicht. Denn bereits in den Jahren 1999 bis 2003, so die Information des Friedensforschungsinstituts SIPRI, lag China mit Waffenimporten im Wert von 11,8 Milliarden US-Dollar deutlich auf Platz 1 aller Staaten weltweit.
Im Falle Schröders allerdings wundert die Nähe zu Menschenschlächtern in Peking wenig - man denke nur an dessen ungetrübt freundschaftliches Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen Truppen in Tschetschenien wiederholt Massaker verübt haben.
Zahlen, die sich so nüchtern lesen, bedeuten in Wirklichkeit, dass in den Folterkammern, in den Gefängnissen und auf den Schlachtfeldern in aller Welt Waffen eingesetzt werden, die nach 1998 ganz legal mit Genehmigung der rot-grünen Bundesregierung exportiert worden sind. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und viele andere tragen Mitverantwortung für das Massenmorden mit deutschen Waffen.
Während der machtstarke rechte Flügel der SPD offensiv für Rüstungsexporte eintritt und die Kritiker in den eigenen Reihen marginalisiert, leisten die Grünen allenfalls symbolischen Widerstand. So stimmt Außenminister Joschka Fischer zuweilen im geheim tagenden Bundessicherheitsrat gegen brisante Rüstungsexporte. Folgen zeitigt dies so lange nicht, wie Fischer & Co. die Abstimmungsniederlagen stillschweigend ertragen und Appeasementpolitik betreiben. Und im Falle der Türkei verfolgt der heimlich-unheimliche Grünen-Chef mittlerweile eine Rüstungsexporte befürwortende Linie: Im Falle des NATO-Partners müsse man angesichts des geplanten EU-Beitritts von »veränderten Realitäten« ausgehen, denen die Bundesregierung gerecht werden müsse.
Führten Waffentransfers an Krieg führende oder menschenrechtsverletzende Staaten früher zum Aufschrei einer empörten Parteibasis, so herrscht heute weitgehend Friedhofsruhe. Zwar wird der grünen Gemütsverfassung zuliebe in unregelmäßigen Abständen eine Resolution gegen den einen oder anderen Rüstungsexport verabschiedet - Folgen sind aus Parteisicht nicht zu befürchten. Längst werden Waffenlieferungen und Vertragsbrüche, die die Basis der Grünen vor 1998 noch zu vehementen Protestaktionen veranlasst haben, unter den Deckmantel der Regierungskoalition gekehrt. Über die Opfer dieser Politik schweigt es sich um des lieben Machterhalts Willen besser.
Nach dem Regierungswechsel 1998 hatten sich Deutschlands Rüstungsmanager noch skeptisch gezeigt. Das Postulat im Koalitionsvertrag, wonach Außenpolitik Friedenpolitik sei, wurde geradezu als Drohung empfunden. Schließlich ließ es den Abbau vorhandener Produktionskapazitäten und die drastische Begrenzung der Rüstungsexporte befürchten.
Mittlerweile aber ist die Stimmung umgeschlagen, in weiten Teilen der deutschen Rüstungsindustrie macht sich Zufriedenheit breit. Im Oktober letzten Jahres lobte Rainer Hertrich, Präsident des Bundesverbands der Luft- und Raumfahrtindustrie, die Rüstungsexportpolitik der Schröder- Fischer-Regierung. Zwar sei Deutschland lange Zeit gegenüber den anderen großen Exportnationen benachteiligt gewesen, doch nach Jahrzehnten restriktiv gehandhabter Rüstungsexportpolitik zeichne sich endlich Normalisierung ab. Diese Entwicklung, so Hertrich, sei besonders bedeutsam, da die Industrie im Inland wegen des allgemeinen Sparkurses habe Einbußen hinnehmen müssen.
Hertrich ist derzeit noch Co-Chef der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) mit Sitz in Amsterdam, deren größter Anteilseigner die Daimler-Chrysler AG ist. Laut SIPRI-Jahrbuch 2004 war die EADS bereits 2002 der achtgrößte Rüstungskonzern der Welt. Die Mit der Entwicklung, Fertigung und dem Export von Kampfflugzeugen (Eurofighter/Typhoon, UCAV, Mako etc.), Kampfund Transporthubschraubern (Tiger, NH90 etc.), Militärstransportern (Future Large Aircraft/A400M, militärische Airbus- Varianten etc.), Verteidigungs- und Kommunikationssystemen (C-I-Systeme, Cobra etc.) und Rüstungselektronik (Captor, Hellas, Muss etc.) ist die EADS Deutschlands führender Rüstungsriese.
Der geschätzte Umsatz der EADS lag im letzten Jahr bei rund 32 Milliarden Euro. Das Umsatzwachstum geht auf einen starken Beitrag des Verteidigungsgeschäfts von voraussichtlich nahezu 8 Milliarden Euro im Jahr 2004 zurück, 2003 hatte der Umsatz noch 7,1 Milliarden Euro betragen. »Weiteres Wachstum im Verteidigungsgeschäft in Richtung des Umsatzziels von 10 Milliarden Euro wird durch einen überaus soliden Auftragsbestand im Verteidigungsgeschäft von jetzt nahezu 50 Milliarden Euro unterstützt«, jubelt die EADS in einer Presserklärung am 13. Januar. »Das Ergebnis hebt die EBIT-Marge [Gewinnberechnung; Anm. des Autors] 2004 auf über 7 Prozent - deutlich über die 5,1 Prozent im Jahr 2003 und auf dem richtigen Weg zur Zielmarke von 10 Prozent«, so die positiven Profitprognosen bei der EADS.
Auch beim größten deutschen Kleinwaffenproduzenten knallen die Sektkorken. Angesichts mehrerer Großaufträge für die neue Generation hochpräziser Gewehre (G36 etc.) und Maschinenpistolen (MP7 etc.) baut Heckler & Koch derzeit eine neue Werkshalle auf dem Oberndorfer Lindenhof. Da das Unternehmen den Ausscheidungswettbewerb für die neue Standardwaffe der US-Armee (OICW, XM8) gewonnen hat, wird momentan in Georgia ein völlig neues Waffenwerk errichtet. So steht zu befürchten, dass Heckler & Koch in naher Zukunft zum weltweit größten Handfeuerwaffenproduzenten avancieren wird.
Bei ihrer Präsentation des »Rüstungsexportberichts 2004 der GKKE« vor der Bundespressekonferenz in Berlin forderten die Vertreter der Evangelischen und der Katholischen Kirche, Prälat Dr. Stephan Reimers und Prälat Dr. Karl Jüsten, eine »sorgsame politische Debatte über die Politik der Rüstungsexporte«. Diese »würde dem Deutschen Bundestag gut anstehen«, so die Hoffnung der GKKE-Vertreter. Ob derlei gut gemeinte Worte Wirkung zeigen, muss leider bezweifelt werden.
Als Friedens- und Menschenrechtsbewegung sollten wir konsequentere Wege beschreiten, um auf die Rüstungsproduktions- und -exportpolitik Einfluss zu nehmen. Die symbolische Schließungsaktion des Werkstors von Heckler & Koch im Sommer letzten Jahres weist den Weg zu einem aktionsorientierten Konzept, das sowohl die Verantwortlichen in der Waffenfertigung als auch in der Politik ins Licht der Öffentlichkeit bringt.
Auch auf Initiative der DFG-VK hat das Deutsche Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen den DAKS-Fonds gegründet. Ziele sind
* mit den Opfern Kontakt aufnehmen
Wir wollen in die Empfängerländer deutscher Waffen reisen, mit den Überlebenden der Massaker sprechen und die Auswirkungen deutscher Kleinwaffenexporte dokumentieren.
* die Opfer zu uns einladen
Wir wollen diejenigen zu uns einladen, die Opfer unseres Handelns geworden sind: Frauen und Männer aus dem Südosten des NATO-Partners Türkei, aus Somalia und Somaliland, aus Chiapas im Süden Mexikos und anderen Regionen der Welt. Damit wollen wir das Anliegen der Kleinwaffenopfer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen.
* die Klageverfahren von Opfern unterstützen
Manche Opfer des Einsatzes von Kleinwaffen beabsichtigen, auf rechtlichem Weg gegen die Waffenfirmen und die politischen Entscheidungsträger vorzugehen. Wir wollen sie unterstützen mit dem Ziel, die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen und weitere Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Regime zu verhindern.
Jürgen Grässlin ist DFG-VK-Bundessprecher, Sprecher des Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) sowie Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.). Er ist Autor zahlreicher Bücher über die Rüstungs- und Automobilindustrie sowie die Bundeswehr.
Weitere Informationen bei
RüstungsInformationsBüro, Stühlinger Straße 7, 79106 Freiburg, Telefon. 0761-7678088, Fax 7678090, E-Mail: ribfr@breisnet-online.de, Internet: www.rib-ev.de; unter dieser Adresse ist auch das Deutsche Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) zu erreichen.
ZivilCourage Nr. 1/2005, S. 6 ff.