Januar 2003:
Artikel »Heckler & Koch: Mordsmäßig
erfolgreich.
Die Revolutionierung der Kriegsführung
im neuen Jahrtausend« in ZivilCourage Nr. 1/2003
Deutschland zählt zu den führenden Produzenten, Exporteuren und Lizenzgebern von Kleinwaffen: Rund 10 Millionen G3-Gewehre der Oberndorfer Waffenfirma Heckler & Koch (H&K) und ihrer 15 ausländischen Lizenznehmer befinden sich weltweit im tödlichen Einsatz. Mittlerweile ist die Bundeswehr mit dem Nachfolgegewehr G36 ausgestattet, eine erste Lizenz ist an Spanien vergeben, und erste G36 sind exportiert. Zudem erhielt H&K den Auftrag, mit dem OICW das neue Waffensystem für die US Army zu entwickeln. Damit droht der Aufstieg der Waffenschmiede zum weltweit führenden Hersteller von Handfeuerwaffen.
Mit dem Aufbau der Bundeswehr erwarb die Bundesregierung 1959 und 1962 Lizenzen, auf deren Basis das Schnellfeuergewehr G3 entwickelt wurde. Die Produktion der neuen Handfeuerwaffen für die Bundeswehr erfolgte bei H&K. Da die Entwicklung vom Verteidigungsministerium finanziert worden war, befand sich die G3 Lizenz im Besitz des Bundes.
Zwischen 1961 und 1981 vergaben die Bundesregierungen fünfzehn G3 Lizenzen zum Nachbau des G3 in Portugal (1961), Pakistan (1963), Schweden (1964), Norwegen (1967), Iran (1967), Türkei (1967), Saudi Arabien (1969), Frankreich (1970), Thailand (1971), Brasilien (ca. 1976), Griechenland (1977), Mexiko (1979) und Myanmar/Birma (1981). Außerdem erhielten die Philippinen und Malaysia G3 Lizenzen.
Für keine andere Waffe wurden weltweit so viele Lizenzen vergeben. Damit tragen die Regierungen seit den sechziger Jahren massiv Mitverantwortung an der Globalisierung des Handfeuerwaffenmarktes.
Die aus den Lizenzvergaben erzielten Einnahmen flossen »dem Bundeshaushalt insgesamt zu«, gestand der damalige Staatssekretär Wimmer ein. Allerdings erteilte keine Regierung bisher Auskunft über das Finanzvolumen und die Höhe der Gewinne. Trotz der Lizenzvergaben konnte man bei H&K erstaunliche Verkaufserfolge verbuchen. Die Bundesregierung bestätigte, dass »für G3-Gewehre bis 1988 für über 80 Staaten Ausfuhrgenehmigungen erteilt« worden waren.
Auch wenn nicht alle dieser Staaten das H&K-Schnellfeuergewehr zur Standardwaffe der eigenen Streitkräfte auserkoren haben, stellt diese Zahl an Empfängerländern einen bis heute unerreichten Rekord dar. Das Oberndorfer Unternehmen avancierte zum deutschen Rüstungsexport meister.
Die H&K-Geschäftsführung verweist nur allzu gerne auf die Zuständigkeit des Bundes und verschweigt die Eigenverantwortung. Der Nachbau des G3 führte dazu, dass menschenrechtsverletzende Staaten wie die Türkei, Pakistan oder Mexiko direkt bei H&K auch eine Lizenz für die von der Firma selbst entwickelte Maschinenpistole MP5 erwarben. H&K war MP5-Lizenzgeber, die Einnahmen dieser Lizenzen kamen dem Unternehmen und nicht dem Bundesetat zu Gute.
Das Ergebnis des Nachbaus der MP5 in neun Staaten und der Direktexporte aus Deutschland sind fatal. Offiziell schießen heute Sicherheitskräfte in mindestens 61 Staaten mit MP5-Maschinenpistolen - die Verantwortung für die Folgen dieser Vergabe von Nachbaurechten trägt die Oberndorfer Waffenfirma. Diese überstiegen die schlimmsten Befürchtungen: Hunderttausende von Menschen wurden mit H&K Waffen verletzt oder getötet. Die in verschiedenen Fällen abgeschlossenen Endverbleibserklärungen wurden wiederholt gebrochen, ohne dass auch nur ein einziger Fall bekannt geworden wäre, in dem deutsche Regierungspolitiker oder H&K-Vertreter gegenüber den Lizenznehmern Konsequenzen angedroht oder gar vollzogen hätten.
Im Mai 1994 hatte ein General der Heeresrüstung die Einführungsgenehmigung für das H&K-Gewehr HK50 erteilt, vom Materialamt der Bundeswehr G36 getauft. Mit einer, im Vergleich zum G3, um rund 50 Prozent erhöhten Feuerkraft und einem deutlich geringeren Gewicht bietet das G36 dem Soldaten einen entscheidenden Vorteil in Sachen Beweglichkeit. Gegenüber dem G3 mit seinem 7,62 mm 51 Kaliber verspricht das G36 mit dem 5,56 mm 45 Kaliber nicht nur eine erhöhte Treffgenauigkeit, sondern auch die Erfüllung der Kriterien zur Teilnahme an allen Kampfeinsätzen. Bei internationalen Kriegseinsätzen soll im Notfall auch auf die Munition anderer Nationen zurückgegriffen werden können.
Im Februar 1999 konnte die H&K-Geschäftsführung über die Zusage jubeln, dass das G36 nach der Bundeswehr jetzt auch als Standardwaffe bei den spanischen Streitkräften beschafft werden soll. Von den 115.000 bestellten G36E (»E« steht für Export) wurden vorab 15.000 in Oberndorf produziert, die weiteren 100.000 bei der Empresa Nacional Santa Barbara in Galizien.
Die H&K-Lizenzwaffen werden bei den Streitkräften des NATO-Partners Spanien zur Abwehr von Flüchtlingen, bei Out-of-area-Einsätzen im Rahmen von NATO-Interventionen sowie beispielsweise bei militärischen Auseinandersetzungen mit den marokkanischen Streitkräften benötigt. Diese eskalierten im letzten Juli beim Konflikt um die dem afrikanischen Kontinent vorgelagerte und von Spanien beanspruchte Mittelmeerinsel Perejil.
Nach dem »Fauxpas« der Lizenzvergabe zur Errichtung einer Fritz-Werner-Munitionsfabrik in der Türkei, dem Export von Herstellungsausrüstung für kleinkalibrige Munition, einer ballistischen Messanlage sowie der G36-Reparatur- und -Wartungswerkstatt nach Nepal musste im Falle des Exportantrags für G36 Sturmgewehre nach Nepal das Schlimmste befürchtet werden.
Bei seiner Entscheidung am 7. Mai 2002 bewiesen Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Minister im geheim tagenden Bundessicherheitsrat jedoch Rückgrat, denn dieses Gremium untersagte die von H&K beantragte Ausfuhrgenehmigung von 65.000 G36 nach Nepal. Damit stoppte die Rot-Grüne Bundesregierung gerade noch rechtzeitig einen Rüstungsexport, der den Bürgerkrieg in Nepal massiv angeheizt hätte. Ein weiterer Bruch der neuen Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport hätte sämtliche Erklärungen einer ernst zu nehmenden Menschenrechtspolitik ad absurdum geführt.
Positiv ist auch anzumerken, dass die Bundesregierung mit der Verschrottung der 400.000 überschüssigen G3 begonnen hat. Diese Altbestände müssen restlos vernichtet und dürfen keinesfalls exportiert werden - was nicht garantiert ist.
So wird die Rot-Grüne Bundesregierung mit ihren kommenden Entscheidungen zeigen, ob die eingeleitete G3-Verschrottung und das G36-Exportverbot für Nepal Ausnahmen in Zeiten des Wahlkampfs oder ernst zu nehmende Schritte in Richtung einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik gewesen sind.
Über verschiedene Projektstufen entwickelten Waffenfirmen in den neunziger Jahren die Objective Individual Combat Weapon (OICW), neuerdings zur XM29 umgetauft. Ziel des so genannten Joint Service Small Arms Program (JSSAP) war die optimale Ausrüstung der US amerikanischen Soldaten.
Die Ansprüche an das Waffensystem OICW waren einmalig. Zu den Vorgaben zählten die Verwirklichung eines kombinierten Systems mit garantierter Todesfolge - in der Militärsprache »gesicherte mortale Wirkung« genannt.
Mehrere Konkurrenten bewarben sich um den lukrativen Auftrag, zum Hauptausrüster der US-Army bestimmt zu werden. Systemführer eines Konsortiums war das US Unternehmen Alliant Techsystems (ATK), das die Integration aller Waffenteile und die Entwicklung der 20 mm Hochexplosiv-Munition leitete. In der ATK Gruppe beteiligt waren auch H&K (Entwurf und Produktion der Waffe), Dynamit Nobel (5,6 mm Munition) sowie die Contraves Brashear Systems in Pittsburgh (Optik zur Erhöhung der Treffsicherheit).
Im Sommer 1997 präsentierte H&K das »sensationelle« Modell einer Tandem-Waffe, bestehend aus zwei Gewehren: eines mit einer Granat Einheit für High Explosive Munition, das andere mit der geforderten 5,56 mm Munition. Im Kampfeinsatz können künftig zwei Soldaten mit der OICW schießen. Mit dem 20 mm Kaliber kann der Granatwerfer »Punktziele« auf 500 Meter und »Flächenziele« auf einen Kilometer Entfernung treffen. Mit der OICW hat H&K ein Multifunktionsgerät erfunden, das neben den 20 mm Sprenggranaten und 5,56 mm NATO Geschossen auch Schrot, Tränengas und Gummigeschosse verschießen kann.
ATK mit H&K konnten die Testphase III für sich entscheiden. In der Firmenzeitschrift »Profile« jubelte Royal Ordnance: H&K werde in Zukunft eine zentrale Rolle »bei der Revolutionierung der Kriegsführung im nächsten Jahrtausend« einnehmen. Im August 2000 erhielt die ATK den Zuschlag für die Fortentwicklung der Waffe, das satte 95 Millionen US Dollar in die ATK- und damit auch in die H&K-Kassen spülte.
Mit der Objective Individual Combat Weapon wird die ATK - allen voran der bedeutendste Kooperationspartner H&K - die zukünftige Standardwaffe der US Army fortentwickeln und ab 2006 hunderttausendfach produzieren. H&K soll die universelle Mordmaschine für die Kriege der Zukunft fertigen.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends war trotz der Erfolge in den USA noch unklar, wohin der Weg für H&K führen wird. Einerseits zeichnen sich mit dem G36, dem OICW und weiteren Neuentwicklungen beträchtliche Verkaufserfolge ab. Doch der Rückschlag des vom Bundessicherheitsrat verbotenen Nepal-Exports sowie vor allem die laufenden Verkaufsverhandlungen stellten eine Existenzfrage dar. Größtes Problem auf dem Weg zum Megaerfolg könnten die befürchteten Schadensersatzklagen von Gewehropfern sein.
Wie bereits 10 Jahre zuvor befand sich die Oberndorfer Waffenschmiede im Jahr 2000 wieder in Verkaufsverhandlungen. Nach Umstrukturierungsmaßnahmen und dem Zusammenschluss mit der Marconi Electronic Systems passte H&K für die Eigentümerin British Aerospace (BAe) nicht mehr ins Unternehmensprofil. Über ein Investmentfirma sollte H&K meistbietend verkauft werden. Wohl um den Preis nach oben zu treiben, pries ein BAe Pressesprecher die Oberndorfer Waffenproduzenten als eine »ausgezeichnete« Firma. Allerdings verhandelte das BAe Tochterunternehmen Royal Ordnance (RO) mit dem französischen Staatskonzern GIAT erfolglos über einen Verkauf.
Auch die Gespräche mit dem anderen Oberndorfer Waffenhersteller Mauser sowie der Rheinmetall DeTec, dem größten Hersteller von Handfeuerwaffen in Deutschland, standen unter keinem guten Stern. Zwar hatte der Vorstandschef (und spätere Aufsichtsrat) von Rheinmetall DeTec, Dr. Brauner, H&K zuvor noch als »Perle« bezeichnet. Dennoch lehnte er ein Joint Venture ab, weil zuerst die Umstrukturierung von Rheinmetall umgesetzt werden müsse.
Verhandelt wurde dann mit Colts Manufacturing Co Inc. aus Hartford in Connecticut. Ende 1999 unterzeichnete eine New Yorker Investmentgruppe, die auch Colts kontrollierte, eine Absichtserklärung zur Übernahme der Mehrheitsanteile des Oberndorfer Waffenproduzenten. Schließlich platzten die Verhandlungen aber doch: Der Verkaufspreis von fast 100 Millionen Euro war Colts zu hoch.
Royal Ordnance hat über die wahren Hintergründe des H&K-Verkaufs möglichst lange Stillschweigen bewahrt. Denn in der britischen Konzernzentrale befürchtet man Schadensersatzklagen, beispielsweise nach Attentaten in Schulen und auf Flughafeneinrichtungen. Diese können in den Vereinigten Staaten horrende Summen kosten und selbst ein Unternehmen wie Royal Ordnance an den Rand des Ruins treiben.
Am 6. Dezember letzten Jahres war es aber dann soweit: H&K und Royal Ordnance bestätigten den Verkauf der Oberndorfer an eine private Investorengruppe. Chefs der neu gegründeten »H&K Beteiligungs-GmbH« sind neben den beiden bisherigen Geschäftsführern Ernst Mauch und Dirk Holzknecht auch der Londoner Waffenhändler Keith Halsey. Und kurios: Vierter in der Runde der Rüstungsmanager ist auch ein Waschmittelfabrikant - als Geschäftsführer der Wuppertaler Luhns GmbH hat Andreas Heeschen bislang für den Absatz von Wasch- statt Schießpulver gesorgt.
Der Erwerb des Oberndorfer Unternehmens, das 2001 einen Umsatz von 130 Millionen Euro erwirtschaftete, erfolgte mit Zustimmung der britischen, deutschen und US-amerikanischen Regierungen.
Für die britischen Streitkräfte modernisiert H&K bis Mitte 2006 alle 350.000 SA 80 Gewehre, was die Zahl der Arbeitsplätze auf 780 steigen lässt. Ebenfalls bis 2006 wird H&K die niedersächsische Polizei mit 15.000 der neuen P2000 Pistolen ausrüsten. »Diese Waffe ist ein Volltreffer«, jubelt das »Hamburger Abendblatt« über die neue Polizeiwaffe, die im Gegensatz zum Vorgänger P7 dreizehn statt acht Schuss pro Magazin abfeuert. Und schließlich soll die Objective Individual Combat Weapon bei den US Streitkräften bis zum Jahr 2006 eingeführt werden. Spätestens dann werden die Kassen des Handfeuerwaffenproduzenten randvoll gefüllt sein. Denn nie zuvor hat H&K eine Armee dieser Größe ausrüsten können. Der größte Auftrag in der Firmengeschichte käme einer Existenzsicherung auf Jahrzehnte gleich. Mit dem Bau eines neuen OICW-Waffenwerks in den USA hat das Oberndorfer Unternehmen beste Chancen, zur Nummer eins der Hersteller von Handfeuerwaffen aufzusteigen - weltweit versteht sich.
Jürgen Grässlin ist DFG-VK-Bundessprecher und einer der Sprecher des Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS). Er veröffentlichte mehrere Bücher über die Machenschaften der Rüstungs- und Automobilindustrie. Im März erscheint beim Droemer-Verlag sein neues Buch »Versteck dich, wenn sie schießen« über die Opfer der deutschen Rüstungsexportpolitik.
Erschienen in ZivilCourage Nr. 1/2003