Artikel »Allein gegen die Waffenbauer«
in Spiegel spezial




Artikel »Allein gegen die Waffenbauer«
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Das also ist er, der Mann, der Furcht verbreitet unter den Herzenskalten. Der von sich berichtet, daß er »Skandale anprangert«, »Schuldige demaskiert« und seinen Gegnern schon mal - »wie Jean-Paul Sartre beim Vietnam-Tribunal« - das Wort »Völkermord« an den Kopf knallt.

Er wäre der Archetyp des saturierten linken Lehrers: Vegetarier aus Verantwortung und Bahncard-Besitzer aus Gewissensgründen, dem der klapprige Kadett so sehr Bekenntnis ist wie dem Nachbarn der Mercedes mit den Nußholzleisten. Mit Frau und zwei Kindern hat er sich sein Nest im grünen Freiburger Umland gebaut, wo sich gemäßigter Oppositionsgeist und Beamtentum so angenehm verbinden lassen, wo man aus sicherer Entfernung am Elend der Welt leidet und seine Betroffenheit abarbeitet durch Unterschriften auf vorgedruckte Postkarten an Atomtest-Präsidenten und Tierquäler.

Jürgen Grässlin ist Deutschlands wohl prominentester Rüstungsgegner und von seiner Arbeit besessen. Tage, Nächte, Wochenenden verbringt er, um aus Hunderten von Zeitungen, Wehrtechnikpostillen und -prospekten, aus Geheimpapieren, die ihm zugespielt werden, und aus Gesprächen mit abtrünnigen Firmenmitarbeitern seine Anklageschriften zu destillieren.

In seinem »Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg« entstehen Bundestagsanfragen zur Entwicklung von Gewehren für die Bundeswehr, Strafanzeigen gegen Daimler-Benz und Indizierungsanträge gegen martialische Söldnerzeitschriften, dazu Listen deutscher Waffenexporteure und Pressemeldungen hundertfach. Von hier aus bedient Grässlin die Medien.

Statt selbstgemalte Transparente hochzuhalten, setzt er auf »symbolträchtige Aktionen«. Ein Werkstor mit Ketten verschließen, Luftballons gegen Phantom-Aufklärer steigen lassen, Strafanzeigen stellen - das zieht die Fotografen und Agenturen an und sorgt für Echo vom Schwarzwälder Boten bis zum Holsteinischen Courier.

Ein knappes Dutzend aufeinander eingespielter Protest-Profis, spezialisiert auf den Jugoslawienkrieg, auf Krisenreaktionskräfte oder Konversion, inszeniert sein Anliegen als eine Mischung aus moralischer Anklage und doppelt gesicherten Fakten. »Grässlin und seine Leute verfügen weltweit über beste Kontakte«, zollt selbst Andrea Franke Anerkennung, die Sprecherin des Schußwaffenherstellers Heckler & Koch, der jahrelang Grässlins erste Zielscheibe war. »Über den Weg unserer Waffen ins Ausland waren die zum Teil besser informiert als wir.«

Mai 1995, Hauptversammlung von Daimler-Benz. Journalisten aus aller Welt sowie 6000 Aktionäre sind gekommen, um 14.000 Gratis-Würstchen zu verdrücken und den Machtwechsel an der Konzernspitze zu erleben. Für Grässlin, Realschullehrer aus Freiburg und »Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler-Benz«, ist es der Ort, sein Hochamt zu zelebrieren - in Anwesenheit von Deutschlands mächtigster Manager-Riege.

Dem alten Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter wirft Grässlin vor, er habe den Autokonzern in einen »Gemischtwarenladen« und »zum größten deutschen Rüstungsproduzenten und -exporteur« verwandelt. Nachfolger Jürgen Schrempp lastet er an, als Chef der Daimler-Waffenschmiede Dasa den »Massenschlächter Li Peng« empfangen zu haben.

Während Kritische AktionärInnen ihren »Daimler-Schattenbericht« unters Aktionärsvolk bringen, referiert Grässlin weiter über rechtslastige Konzernmitarbeiter, bis ihn Deutsche-Bank-Chef Kopper nach 35 Minuten abwürgt: »Herr Grässlin, Sie stellen gerade einen neuen Rekord auf.«

In der Auseinandersetzung mit Daimler-Benz brilliert Grässlin in einer Doppelrolle, immer scharf an der Grenze zur Unerträglichkeit, aber für den Gegner kaum zu fassen: Er changiert vom polemischen Haudrauf zum Taktiker, vom Fundamentalkritiker zum Diplomaten, der Wandel »durch Annäherung exerziert. »Am Stern klebt das Blut unzähliger Toter«, schreit Antimilitarist Grässlin - und diskutiert in der Konzernzentrale mit Jürgen Schrempp das Thema Rüstungskonversion.

»Daimler tötet«, betitelt er ein Plakat, das die Waffenexporte des Konzerns auflistet -und schmeichelt Schrempp öffentlich als neuern »Hoffnungsträger«. Er schreibt ein Buch über den »Konzern und seine Republik«(*) und läßt es vom Vorstandsvorsitzenden signieren. Er könne sich durchaus vorstellen, sagt Daimlers schärfster Widergänger, einmal Konversionsbeauftragter bei Daimler zu werden.

Die kontrollierte Konfrontation hat die Kritischen AktionärInnen bei Daimler-Benz hoffähig gemacht für Werksbesichtigungen und Spitzengespräche, von denen andere Kleinstaktionäre nur träumen. Der Gefahr, dabei »gekauft zu werden«, und der Angst, nicht mehr als eine lästige Laus im Pelz des Riesen zu sein, setzt Grässlin die Drohung entgegen: »Was Shell passiert ist, kann auch Daimler passieren.«

Seine rebellische Ader brach auf, als sie ihn bei der Bundeswehr das G-3-Gewehr, »die Braut des Soldaten«, stundenlang zerlegen und zusammenbauen ließen. Aus einem jungen Mann, nicht mal verweigerungsgefährdet, machte der Barras einen gnadenlosen Rüstungsgegner. Später entdeckte der Junglehrer in der Nachbarstadt Oberndorf die Firma Heckler & Koch, die mit ihren Maschinenpistolen und Sturmgewehren nicht nur die Bundeswehr belieferte, sondern, wie Grässlin bald herausfand, die halbe Welt.

Grässlin und das »Friedensforum« wühlten sich durch den »militärisch-industriell-politischen Komplex« einer Kleinstadt, die wie keine zweite in Deutschland von der Rüstungsindustrie abhängt. Nach und nach enthüllte er, daß das G-3-Gewehr - mit Genehmigung diverser Bonner Kabinette - in mindestens 15 Ländern in Lizenz nachgebaut werden darf und daß der Firma Ausfuhrgenehmigungen für mehr als 80 Länder erteilt wurden.

Seinen größten Triumph über Heckler n & Koch feiert Grässlin beim G-11-Gewehr, dem geplanten Nachfolger der »Soldatenbraut«. Mit mindestens 84 Millionen Mark Steuergeldern entwickelt, sollte die »präziseste Tötungsmaschine der Welt« (The Times) dem angeschlagenen Unternehmen Milliardenaufträge verschaffen. Einen anonym zugespielten Hochglanzprospekt über die »Wunderwaffe« mit hülsenloser Munition - »Durchschlägt Stahlhelme deutscher Fertigung auf 600 Meter« - schlachtet Grässlin geschickt aus. In euphorischen Momenten beansprucht er, das Gewehr dadurch »verhindert« zu haben.

Das Sturmgewehr ist nicht in Serie gegangen - offizielle Begründung: »Technologievorsprung noch nicht erreichbar«. Heckler & Koch wird nach England verkauft. Und Jürgen Grässlin notiert in seinen Aufzeichnungen: »Freude, schöner Götterfunken.«

(*) Jürgen Grässlin: »Daimler-Benz. Der Konzern und seine Republik«. Knaur Taschenbuchverlag. München: 542 Seiten; 16.90 Mark

Spiegel spezial vom November 1995, S. 85 f. (Artikel gekürzt)