Interview mit JG »Das wird sehr spannend«
in Der Sonntag vom 07.08.2005, S. 10


»Der Konzernlenker und sein unbequemer Biograf«
in Der Sonntag vom 07.08.2005, S. 1

Mit Sekt haben die Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) angestoßen, als sie vom angekündigten Rücktritt von Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp erfuhren. Schon seit Jahren fordern die KADC den Rücktritt des Konzernlenkers aus Freiburg. Der ebenfalls aus Freiburg stammende KADC-Sprecher und Schrempp-Biograph Jürgen Grässlin, Jürgen Grässlin, erklärt im Interview (Seite 10) das Scheitern des Systems Schrempp und kündigt einen heißen Herbst für Deutschlands größten Autokonzern an.


»Das wird sehr spannend«

Jürgen Grässlin über das Scheitern des Systems
Schrempp bei DaimlerChrysler

Jürgen Grässlin, Sprecher der Kritischen Aktionäre DaimlerChrysler, erhebt schwere Vorwürfe gegen Konzern-Chef Jürgen Schrempp, der wie er aus Freiburg kommt. Der Autokonzern habe die Absatzzahlen in unlauterer Weise erhöht und Insidergeschäfte ermöglicht. »Die Bombe geht im Herbst hoch«, sagte Grässlin im Gespräch mit Klaus Riexinger.

Herr Grässlin, Sie erheben schwere Vorwürfe gegen den Daimler-Chrysler-Konzern und die Brüder Schrempp: Wolfgang Schrempp soll womöglich mit Wissen seines mächtigen Bruders Jürgen in der Mercedes-Niederlassung München einen Graumarkt-Handel im großen Stil organisiert haben. Was macht Sie so sicher, dass Ihre Quelle stimmt?

Die Missstände lassen sich nicht länger kaschieren: Der Konzern behauptet, das Geschäft laufe glänzend, dabei gibt es in Deutschland riesige Halden unverkaufter Fahrzeuge. Der Smart schreibt Milliardenverluste, die E-Klasse ist zum schlechtesten von 28 Autos in den USA gewählt worden, bei der S-Klasse sollen gerade einmal die Hälfte der erwarteten Vorbestellungen eingegangen sein und die Produktionszahlen des Flaggschiffs Maybach liegen bei einem Drittel.

Damit ist der Vorwurf der Graumarktgeschäfte nicht bewiesen.

DaimlerChrysler hat mit der EU eine Ausnahmegenehmigung vereinbart: Alle Niederlassungen und autorisierten Händler dürfen nur in ihrem Gebiet Autos verkaufen. Daneben gibt es jedoch Externe, an die Autos mit hohem Rabatt verkauft worden sind. Diese wiederum verkaufen die Autos im In- und Ausland, wobei sie die regulären Preise von Mercedes-Vertragshändlern unterbieten. Das ist nach deutschem Recht legal, es verunsichert aber Kunden, die ihr Auto bei einem Vertragshändler ohne Rabatt kaufen. In Stuttgart gibt es beispielsweise Rabatte von bis zu 37,5 Prozent.

Damit schadet der Konzern sich nur selbst.

Schlimmer noch. Durch den Graumarkt unterläuft DaimlerChrysler nicht nur den eigenen Gebietsschutz, sondern auch die Ausnahmeregelung der EU. Das wird Folgen haben: Entweder drohen millionenschwere Strafen oder die EU zieht die Ausnahmeregelung zurück, was hieße, dass fortan jeder einen Mercedes-Vertrieb aufmachen und beliebig Rabatte gewähren könnte. In beiden Fällen droht ein Desaster. Vieles spricht dafür, dass Wolfgang Schrempp als Niederlassungsleiter in München diesen Graumarkt langjährig gefördert hat.

Haben Sie Beweise?

Ich habe bei meinen Recherchen für mein neues Buch Autohändler befragt auch Graumarkt-Händler. Diese haben all das bestätigt.

Sie haben angekündigt, dass das Desaster im Herbst ausbricht. Wieso ist »die Bombe« jetzt schon hoch gegangen?

Sie ist doch noch gar nicht hoch gegangen. Die auf Halde lagernden und sich im Wertverfall befindlichen Fahrzeuge sind ein Problem. Das zweite Ungemach, das DaimlerChrysler droht, sind Strafverfahren, die aller Voraussicht nach im September gegen ehemalige DC-Vertriebsmanager wegen der Graumarktgeschäfte aufgerollt werden. Darunter sind der frühere Gesamtvertriebsleiter Deutschland und der Ex-Vertriebsleiter von Berlin. Die beiden Herren werden die Wahl haben, die Schuld auf sich zu nehmen und dafür womöglich ins Gefängnis zu gehen, oder sie gestehen ein, dass sie Anweisung von oben bekamen. Was dann passiert, wird sehr spannend.

Der Konzern hat eine hausinterne Revision vorgenommen.

Ja. Ich frage mich, wie die Staatsanwaltschaft in Stuttgart arbeitet, wenn sie erst einmal abwartet, wen DaimlerChrysler aus Konzernsicht für schuldig befindet, bevor sie selbst aktiv wird. Bezeichnenderweise taucht Wolfgang Schrempp im Revisionsbericht erst gar nicht auf. Ein Insider hat mir die Information zugespielt, dass zunächst 18 Personen in dem Bericht gestanden haben sollen. Nach hausinternen Interventionen sollen der Staatsanwaltschaft dann nur noch 17 Personen gemeldet worden sein. Wenn das stimmt, dann rollen Köpfe.

Eine verheerende Bilanz für Jürgen Schrempp, der zum Jahresende zurücktritt: Mitsubishi-Flop, Smart-Flop, teure Chrysler-Fusion, Börsen-Absturz und jetzt eine Absatzkrise ungeahnten Ausmaßes.

Sagen Sie doch einfach: Schrempp ist laut Business Week der schlechteste Manager der Welt.

Man könnte es allerdings auch differenzierter sehen: Anfangs war er erfolgreich da brummte auch die Wirtschaft. Die Probleme begannen 2000, als der Konjunkturmotor zu stottern begann.

Das stimmt nicht ganz. Schauen Sie BMW oder Porsche an. Dort haben die Vorstände nicht geglaubt, sie müssten in Größenwahn verfallen. Beide schreiben heute dunkelschwarze Zahlen - und stellen Jahr für Jahr Beschäftigte ein.

Gleichwohl hatte Schrempp am Erfolg.

Ich sehe die Zeit von 1998 bis 2000 durchaus positiv. Der Aktienkurs und die Beschäftigtenzahl stiegen. Dann kamen aber nach und nach die Einbrüche, die darauf zurückzuführen waren, dass Schrempp die Nummer eins der Autoindustrie schmieden wollte. Das versuchte er durch Zukäufe und Beteiligungen. Nur waren die Perlen schon vergeben, und Schrempp musste sich mit Chrysler und Mitsubishi zufrieden geben. Dafür wurden Milliarden verpulvert und die Qualität der Mercedes-Fahrzeuge sank. Jetzt sollen noch einmal Unsummen in China investiert werden. Auch da könnte ein Debakel drohen. Die Vision der Welt AG ist definitiv gescheitert. Wer ist dafür verantwortlich? Der Mann, der sein System durchgesetzt hat und jetzt so tut, als gingen ihn die Folgen nichts an.

Wie funktioniert das System Schrempp?

Dass man trotz sinkender Bilanzzahlen, eines desaströsen Verfalls des Aktienkurses, eines Börsenwertverlusts von rund 40 Milliarden Euro und eines Arbeitsplatzabbaus von etwa 80.000 Beschäftigten weiter so tut, als laufe alles wunderbar. Dieses Debakel war möglich, weil Schrempp den Vorstand nach und nach mit seinen Getreuen besetzt hat, die nicht wagten, ihm zu widersprechen. Sein bester Freund ist Aufsichtsratschef Hilmar Kopper. Selbst die Gewerkschaftskollegen haben im Aufsichtsrat in keiner einzigen relevanten Abstimmung gegen Herrn Schrempp gestimmt.

Warum tritt ein so machthungriger Mann wie Schrempp zurück?

Ich habe Herrn Schrempp auch in persönlichen Gesprächen als einen Menschen kennen gelernt, der sich nicht mehr lösen kann von dem Machteinfluss, den er sich verschafft hat. Ich sage das mit einem gewissen Bedauern, weil ich mich an die Zeit erinnere, als wir noch konfrontative Diskussionen führen konnten. Wir saßen uns einmal in Friedrichshafen Auge in Auge gegenüber und haben gestritten wie die Rohrspatzen. Auf einmal lachte Schrempp, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte: ‚Herr Grässlin, jetzt macht es richtig Spaß, mit Ihnen zu diskutieren.’ Heute verharrt er in seiner Betonburgmentalität im elften Stock seines Punktturmes in Stuttgart-Möhringen und hat offensichtlich den Kontakt zu den Arbeitern am Band verloren. Für seinen Rücktritt gibt es mehrere Gründe: Auf der letzten Hauptversammlung wurde Schrempp massivst von den Kritischen Aktionären angegriffen. Vor allem aber hat er den Rückhalt der Deutschen Bank verloren. Wenn Sie sich anschauen, was im Herbst passieren wird - vom Graumarktdeal bis zum Verkaufsdesaster - dann handelt er aus seiner Sicht klug, sich alsbald abzuseilen.

Sie werfen Daimler-Chrysler auch vor, dass mit Schrempps Rücktritt Insidergeschäfte betrieben wurden.

Ich erhielt am 16. Juli einen Anruf aus Schrempps engstem Umfeld. Mir wurde mitgeteilt, dass er in Kürze zurücktreten werde. Für diesen Vorgang gibt es zahlreiche Zeugen. Tags darauf schilderte mir derselbe Informant die näheren Umstände des bevorstehenden Rücktritts. Bei einem dritten Anruf erfuhr ich, dass im direkten Umfeld von Schrempp zwei Führungskräfte die ich persönlich kenne illegale Insidergeschäfte über Dritte getätigt haben sollen. Von Schrempp habe ich inzwischen eine Unterlassungserklärung erhalten, dass ich dieses Faktum nicht weiter verbreiten dürfe, weil es unwahr sei. Es liegt nahe, dass wir als Kritische Aktionäre nicht die einzigen waren, die zwölf Tage vor seiner Erklärung vom Rücktritt erfahren haben.

Sie haben die Unterlassungsklage ignoriert. Das wird sich Schrempp nicht gefallen lassen.

Ich sehe einem Prozess gelassen entgegen: Wir haben die besseren Argumente und DaimlerChrysler hat ein weiteres Problem.

Mit Dieter Zetsche kommt ein Schrempp-Gegner an die Konzernspitze. Kann sich Schrempp bis zum Jahresende halten?

Ich habe einem Journalisten eine Wette angeboten: Eine Kiste Merdinger Bühl Spätburgunder gegen einen schwäbischen Trollinger, dass Schrempp an Weihnachten nicht mehr Vorstandsvorsitzender sein wird. Leider nahm der Journalist nicht an.


Zur Person Jürgen Schrempp

Jürgen Schrempp, Jahrgang 1944, ist in Freiburg in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Nach der Mittleren Reife macht er eine Lehre bei einer Mercedes-Niederlassung, studierte an der Fachhochschule Offenburg und kehrte zum Autokonzern zurück. Seine steile Karriere führte ihn 1998 in die Konzernspitze.

Zur Person Jürgen Grässlin

Jürgen Grässlin ist 1957 in Lörrach geboren und wohnt seit seinem dritten Lebensjahr in Freiburg. Grässlin arbeitet als Lehrer. Er ist Sprecher der Kritischen Aktionäre DaimlerChrysler (KADC). 1998 schrieb er die vielbeachtete Schrempp-Biographie »Der Herr der Sterne«. Seitdem ignoriert Schrempp seinen Biographen.