Zu Artikel zu Jürgen E. Schrempp Vor 10.32 Uhr Die terrakottafarbene Scheune des Weingasthauses Kulturhof im rheinhessischen Eckelsheim ist ein netter Platz zum Feiern. Jürgen Grässlin und die anderen Sprecher des »Dachverbands der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler« hatten am 16. Juli doppelt Grund, hier zu feiern. Einer von ihnen heiratete, und Grässlin hatte auf der Anreise im Auto einen Anruf erhalten. »Jürgen Schrempp tritt zurück«, soll der Anrufer, angeblich ein hochrangiger DaimlerChrysler-Manager, gesagt haben. Mit in Grässlins Opel Ascona saßen seine Frau und zwei Freunde. »Als Grässlin aus dem Auto stieg, sagte er mir, dass Schrempp geht«, bestätigt Grässlins Anwalt Holger Rothbauer. War der Rücktritt, über den Anleger offiziell erst zwölf Tage später, am 28. Juli um 10.32 Uhr informiert wurden, schon viel länger bekannt? Was die Zeugen schildern, rührt vom Hörensagen. Das wäre kaum vor Gericht verwertbar, passte aber zu Informationen, wonach Schrempp und sein Aufsichtsratschef Hilmar Kopper schon Mitte Mai in der Chrysler-Zentrale in Auburn Hills Chrysler-Chef Dieter Zetsche die Schrempp-Nachfolge antrugen (WirtschaftsWoche 32/2005). Die Frage, wer wann etwas über Schrempps Abschied gewusst hat, ist keine Petitesse: Es war absehbar, dass die Aktie kräftig steigen würde, sobald die Nachricht veröffentlicht würde. Tatsächlich legte Daimler am ersten Tag rund 10 und binnen einer Woche gut 15 Prozent zu. Wer sich vorher mit Aktien, Kaufoptionen an der Terminbörse Eurex oder Call-Optionsscheinen auf DaimlerChrysler eindeckte, konnte mühelos 250 Prozent Gewinn an einem Tag machen. DaimlerChrysler schießt scharf gegen Grässlins Darstellung. »Durch die Formulierung, Sie hätten es schon ein paar Tage gewusst, dass Herr Schrempp zurücktritt, behaupten Sie eine Unwahrheit. Es kann aus Gründen des tatsächlichen Ablaufs nicht den Tatsachen entsprechen«, heißt es wörtlich in einer offenbar hastig entworfenen Unterlassungsverfügung des DaimlerAnwalts Christian Schertz. Grässlin ist sich seiner Sache sicher: »Ein DaimlerChrysler-Vorstand und ein dem Vorstand nahe stehender Mitarbeiter sollen nach Auskunft meines Informanten über Dritte Insidergeschäfte getätigt haben«, legt er nach. Der Informant sei derselbe, der ihn wegen des bevorstehenden Rücktritts angerufen habe. »Deshalb halte ich ihn für glaubwürdig«, sagt Grässlin. Falls die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) ihn fragt, will er »selbstverständlich Auskunft über die Führungspersonen erteilen, die sich durch Insidergeschäfte widerrechtlich Vorteile beschafft haben sollen«, ließ Grässlin die WirtschaftsWoche wissen. Bis Ende vergangener Woche hatte sich die von Jochen Sanio geleitete Bafin noch nicht bei ihm gemeldet. Werde sie aber auf jeden Fall, versichert eine Sprecherin: »Wir schauen bei DaimlerChrysler nicht nur routinemäßig, sondern genauer hin und werden sämtliche Transaktionen im Umfeld prüfen.« Schon bei der Fusion von Daimler und Chrysler 1998 ermittelten die deutsche Wertpapieraufsicht und die SEC nach auffälligen Kursbewegungen wegen Insiderhandels. Damals allerdings ohne Ergebnis. Nach einer festen Routine prüft die Bafin alle Fälle, in denen ein Aktienkurs ungewöhnliche Sprünge nach einer Pflichtmitteilung (Ad-hoc) des Unternehmens vollzieht. Die Banken in Deutschland speisen jeden Tag die anonymen Daten aller Wertpapiergeschäfte in die Bafin-Rechner ein. Das EDV-System Swap (Securities Watch Application) sucht nach statistisch ungewöhnlichen Geschäften. Ausgewertet werden die Swap-Daten in der Frankfurter Bafin-Dependance im Referat WA 24 Marktanalyse. Dort sitzt Jürgen Oberfrank, ein ruhiger Jurist, früher Pressesprecher der Wertpapieraufsicht. Mit acht Mitarbeitern verfolgt er Ad-hoc-Mitteilungen von Unternehmen, wertet Medienberichte aus und geht Anzeigen nach, die bei der Bafin meist anonym einlaufen. Bestätigt sich der Anfangsverdacht, dass ein Insider verbotenerweise brisante Informationen ausgenutzt haben könnte, um Geld zu verdienen, gehen Serienbriefe an Banken und das Unternehmen. Die Banken müssen sagen, wem die Konten gehören, mit denen verdächtige Geschäfte gemacht wurden. Unternehmen geben an, wer die brisante Informationen kannte. Seit Oktober 2004 müssen die Unternehmen Listen führen, in denen jeder erfasst ist, der mit potenziell kursbewegenden Informationen zu tun hat. »Bei Dax-Unternehmen stehen durchschnittlich 150 bis 200 Namen auf der Liste«, sagt Henryk Deter von der IR-Agentur Cometis in Wiesbaden. Bei DaimlerChrysler sind die zehn Vorstände und 40 Bereichsvorstände aufgelistet. Wer sonst, dazu sagt der Konzern nichts. Sobald Banken und Unternehmen ihre Listen geliefert haben, vergleichen Bafin-Mitarbeiter die Kontoinhaber mit den Insidern. Taucht ein Name auf beiden Listen auf, schnappt die Falle zu. Theoretisch. In der Praxis müssen Unmengen von Geschäften geprüft werden. Es ist die Suche nach der Stecknadel in einem Heuhaufen, an den man überhaupt nur zur Hälfte herankommt. Beispiel DaimlerChrysler: Bis die Schrempp-Meldung über die Bildschirme der Börsianer flimmerte, wurden am 28. Juli in Frankfurt und im elektronischen Xetra-System 17 Millionen Aktien gehandelt, zehn Millionen mehr als am » Vortag. Allein auf dem Frankfurter Parkett registrierte die Börse am Vortag 4065 Geschäfte mit Daimler-Aktien. Hinzu kommen Xetra, die sechs deutschen Regionalbörsen, die Wall Street und drei weitere US-Börsen, die Pariser Börse Euronext, Zürich und Tokio - überall wird Daimler gehandelt. Ganz zu schweigen von den vielen außerbörslichen Plattformen, etwa von Optionsscheinanbietern. Jeder einigermaßen clevere Insider würde ohnehin nicht selbst, sondern über Dritte handeln. »In einem Fall hatte der Vorstand eines Unternehmens über den Lebensgefährten seiner Sekretärin gehandelt«, sagt der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Hans Richter. Wenn der Manager seinen Vermögensverwalter die Geschäfte abwickeln lässt, haben die Aufseher kaum eine Chance. Mit Insider- und Kontolisten kommen Ermittler hier nicht weiter. Richter: »Hier hilft es nur, wenn sich der Insider Feinde im Unternehmen gemacht hat, die uns dann oft anonym empfehlen, doch mal in diese oder jene Richtung zu schauen.« Das weiß auch die US-Börsenaufsicht SEC. Als Anreiz für Tippgeber (Whistleblower) setzt sie Kopfgelder aus. Wer Hinweise auf Insidergeschäfte gibt, kann bis zu zehn Prozent der nach einer Verurteilung gezahlten Strafe kassieren. Da die Zivilstrafe bis zum Dreifachen der illegal erzielten Profite ausmachen kann, kommt schnell eine lukrative Belohnung zusammen. Bei Gefahr im Verzug reagiert die SEC wie die Feuerwehr - Emergency Action nennen das die Mitarbeiter von Christopher Cox, dem Chef der Behörde. In der vergangenen Woche gab es im Umfeld der Reebok-Übernahme durch Adidas einen solchen Noteinsatz. Bereits wenige Stunden nach dem Hinweis auf ein verdächtiges Optionsgeschäft froren SEC-Mitarbeiter aus Boston per richterlicher Anordnung ein Konto beim US-Onlinebroker Cybertrader ein. Sie stoppten einen Überweisungsauftrag auf ein anderes Konto in Salzburg, mit dem die Gewinne ins Ausland verschoben werden sollten. In den beiden Tagen vor der Bekanntgabe der 3,8-Milliarden-Übernahme waren über das Cybertrader-Konto in großem Stil Call-Optionen auf Reebok gekauft worden. Als die Übernahmepläne publik wurden, schoss der Kurs der Optionen von 20 Cent auf 12 Dollar. An dem schnellen Gewinn von rund zwei Millionen Dollar dürfte der Initiator der Transaktionen wenig Freude haben. Die Kontoinhaberin, die 63-jährige Kroatin Sonja Anticevic aus dem kleinen Ort Omis bei Split, teilte der Nachrichtenagentur Reuters am Telefon mit, sie wisse nicht, wozu eine Aktienbörse gut sei. Die SEC hat für Donnerstag dieser Woche eine Anhörung angesetzt, bei der sich die Kontoinhaberin zu den Vorgängen äußern soll. Auch das Topmanagement von Reebok und Adidas muss sich auf unangenehme Fragen gefasst machen. Der Fall ist zu offensichtlich. Entweder hat ein Insider
selbst versucht, aus der Information Profit zu schlagen - oder aber Infos über die
bevorstehende Übernahme sind aus dem Kreis der Eingeweihten durchgesickert. Beides wäre
schlimm genug. Wenn die Österreicher mitspielen, führt womöglich das Konto in Salzburg
auf die Spur der Täter. Unternehmensinsider sind verpflichtet, ihre Käufe und Verkäufe der SEC in speziellen Formularen zu melden, nicht elektronisch. »Insiderhandel ist außerordentlich schwer zu beweisen«, sagt Thomas Newkirk, ehemaliger SEC-Direktor der Divison of Enforcement. Ohne Geständnis des Übeltäters müssen die Beamten dann mühsam Puzzle-Stücke zusammensetzen und hoffen, dass diese für eine Verurteilung ausreichen. »Fast alle Verurteilungen beruhen zumindest teilweise auf Aussagen von Zeugen, die kooperieren«, sagt Newkirk. Bei DaimlerChrysler interessieren sich Newkirks deutsche Bafin-Kollegen nicht nur für möglichen Insiderhandel. Sie prüfen auch, warum das Unternehmen die vom Aufsichtsrat abgenickten Quartalszahlen schon um 9.59 Uhr, die viel brisantere Vorstandspersonalie aber erst um 10.32 Uhr über die Ticker jagte. DaimlerChrysler kommentiert lapidar, man habe »keinen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Meldungen gesehen und sie deshalb nicht zusammen veröffentlicht«. Verzögerungen zwischen Bekanntwerden und Veröffentlichung einer Nachricht aber, so will es das Gesetz, sind zu vermeiden. Gelegenheit macht Diebe. Und Insider. hauke.reimer@wiwo.de I Frankfurt, andreas henry I New York |