Artikel »Der Sinn seines Lebens«
im Cicero, Ausgabe Juni 2004


Cicero, Ausgabe Juni 2004, S. 5

Jürgen Grässlin kennt Jürgen Schrempp seit mehr als zehn Jahren. Damals hatte Grässlin, Sprecher der »Kritischen Daimler-Aktionäre«, gerade sein Buch: »Daimler-Benz. Der Konzern und seine Republik« geschrieben. 1996 bei einem Spaziergang nach dem gemeinsamen Essen in einem Gasthaus bei Freiburg erzählte Grässlin dem inzwischen zum Daimler-Chef aufgestiegenen Automanager, er plane eine Biografie über ihn. »Viel zu früh, ich lebe ja noch«, warf Schrempp ein.

Grässlin, wie Schrempp ein Freiburger, hat es trotzdem getan. 1998 erschien das viel beachtete Buch »Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne«. Seitdem hat Grässlin die Hauptfigur seines Buches nicht aus den Augen verloren. Warum Schrempp mit seiner Welt AG scheitert, was er für den Sinn des Lebens hält und was ehemalige Kollegen über ihn sagen, lesen Sie im Beitrag von Grässlin auf Seite 110.

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Cicero, Ausgabe Juni 2004, S. 110 ff.

 »Der Sinn seines Lebens«

Jürgen E. Schrempp ist aus einfachen Verhältnissen zum Herrscher über das größte Industrieimperium Europas aufgestiegen. Es ist eine Geschichte gnadenloser Machtkämpfe und großer Erfolge. Doch am Ende wird der DaimlerChrysler-Chef scheitern.

VON JÜRGEN GRÄSSLIN

Zum siebten Mal sind wir beieinander gesessen, haben diskutiert und debattiert, gestritten und gelacht. Nach knapp zwei Stunden endet das Gespräch im obersten Stockwerk des Daimler-Turms zu Möhringen, von wo man einen beeindruckenden Blick auf das Machtzentrum des größten europäischen Industrieunternehmens hat. Der gewohnt feste Händedruck, ein freundliches Lächeln. In diesem Moment schießt mir eine ernste und in dieser Situation ganz und gar unpassende Frage durch den Kopf. Eine, die ich längst hatte stellen wollen und doch vergessen habe: »Herr Schrempp, worin besteht der Sinn des Lebens?«Sinn des Lebens?

Die Antwort braucht Zeit - Zeit, die sich der Daimler-Chef überraschenderweise nimmt. Seine Worte sind diesmal wohl gewählt. »Wichtig ist, dass man familiär oder beruflich einen Beitrag leistet und nicht nur mitschwimmt.« Wir setzen uns wieder. »Ich für mich kann sagen: Ich habe einen Beitrag geleistet, und ich bin mit meinem Leben zufrieden.«

Während der Daimler-Benz-Vorsitzende scheinbar ruhig über das Erreichte reflektiert, steht er in diesen Februartagen 1998 unter Starkstrom. Die Geheimverhandlungen mit Chrysler-Chef Robert J. Eaton laufen auf Hochtouren. Erstaunlich bleibt die Tatsache, mit welcher Naivität ihm seine Verhandlungspartner in Auburn Hills das Gerede von der himmlischen Hochzeit, dem Zusammenschluss zweier gleich starker Unternehmensteile und der geteilten Macht beider Konzernchefs, abnehmen. Schrempp hat Eaton und all die anderen hoch dotierten Chrysler-Strategen über den Tisch gezogen.

Hätte sich nur einer von ihnen die Mühe gemacht, sich intensiv mit der Schremppschen Karriere zu beschäftigen, hätten alle Alarmsirenen geheult: Zu keiner Zeit duldete Schrempp einen anderen über oder auch nur neben sich.   Logischerweise folgt keine zwei Jahre nach der »Hochzeit im Himmel« die Scheidung auf Erden. Ein fester Händedruck des Co-Chairmans Schrempp, ein letztes Glas Champagner, dann ein freundlicher Abschiedsgruß mit 60 Millionen Dollar Abfindung und Aktienoptionen. Best wishes Bob.

Zuletzt ist Wolfgang Bernhard unter die Räder des Schremppschen Macht(erhaltungs)mobils geraten. Bei einer Vorstandssitzung im April wagte es der designierte Mercedes-Benz-Chef offen, das Alphatier anzugreifen. Mit seiner Forderung nach dem Ausstieg bei Mitsubishi besiegelte der Schrempp-Zögling und potentielle Amtserbe sein Karriereende im Unternehmen. Weitere werden so lange folgen, wie Schrempp dem Konzern und danach falls alles nach Plan läuft dem Aufsichtsrat vorsteht.

Die Liste der Schrempp-Opfer ist lang: Dill und Liener bei Mercedes, Schäffler und Mehdorn bei der Dasa, Reuter und Werner bei Daimler-Benz, Eaton, Holden und Stallkamp bei Chrysler. Der vormalige Chrysler-Chef Thomas T. Stallkamp hatte allzu laut über das Lebenswerk des Deutschen nachgedacht und in US-Medien gegen den Daimler-Chrysler-Merger gestichelt: »Ich kenne Big Bangs, die nicht funktioniert haben.« Als der Amerikaner dann auch noch als Thronfolger und damit potentieller Konkurrent gehandelt wurde, entließ ihn Schrempp kurzerhand.

Den Mut zum Widerspruch haben viele aufgebracht, verloren haben sie alle. Man muss gesehen haben, wie sein Lachen von einer Sekunde gefriert, um nachvollziehen zu können, warum langjährige Wegbegleiter in solchen Situationen von Schrempps »Killerblick« sprechen. In einer Sekunde wird der Kollege zum Gegner, wird der Freund zum Feind, wird Weiß zu Schwarz. Unvermittelt mutiert Schrempp zum »Raubtier mit scharfen Zähnen«, wie der südafrikanische Wirtschaftsjournalist Hugh Murray sagt.

Eigentlich hätten alle nur die Biografie über Schrempp lesen sollen, dann hätten sie gewusst, wann das Raubtier die Zähne fletscht. Und sie hätten nachvollziehen können, dass es klüger ist zu fliehen, als zu kämpfen - genau so wie es Ex-Chrysler-Chef Eaton mit seinem geordneten Rückzug vorgemacht hat. Wie der »Merger of Equals« mit Chrysler im Schremppschen Sinne zu verstehen ist, zeigen die Mehrheitsverhältnisse im Vorstand, wo inzwischen zehn Deutsche mit einem Amerikaner die Entscheidungen treffen.

Ebenso offen wie unbedarft verriet der Daimler-Vorsitzende in einem Interview mit der Financial Times im Oktober 2000 seine wahren Beweggründe: »Die Struktur, die wir jetzt mit Chrysler haben, war immer die Struktur, die ich wollte.« Aus »psychologischen Gründen« hätten die Deutschen »einen Umweg machen« müssen. »Wenn wir gesagt hätten, Chrysler wird eine Abteilung, hätte auf deren Seite jeder gesagt: Wir kommen so auf keinen Fall ins Geschäft.« Dieses Interview bringt dem Konzern eine Milliardenklage des ehemaligen Chrysler-Großaktionärs Kerk Kerkorian ein, die immer noch die amerikanischen Gerichte beschäftigt.

Im Jahr 2000 ist Jürgen E. Schrempp am Ziel seiner Träume angelangt. Als einer der mächtigsten Männer der Welt verkehrt er fortan in der High Society mit den führenden Köpfen der Politik- und Wirtschaftsszene. Ob Autokanzler Gerhard Schröder, Weltbank-Chef James Wolfensohn oder US-Präsident Bill Clinton - zu diesem Zeitpunkt kommt keiner an Schrempp vorbei.

Tatsächlich ist die Konzernbilanz zur Jahrtausendwende beeindruckend: Der Verkauf der DaimlerChrysler-Fahrzeuge läuft blendend, Umsatz- und Gewinnzuwächse in zweistelliger Milliardenhöhe sprechen für den erfolgreichen Gobal Player.

Damals verfestigt sich aber auch das Bild vom kalten Machtmenschen. Schon seit Schrempp in der ersten Hälfte der neunziger Jahre bei der Tochtergesellschaft DASA, dem teilmilitärischen Luft- und Raumfahrtkonzern Daimler-Benz Aerospace, mehrere Milliarden Mark an Staatsubventionen vernichtet und Abertausende von Arbeitsplätzen abgebaut hat, gilt er in der Öffentlichkeit als rücksichtsloser Rambo. »Daimler-Benz braucht mich mehr, als ich Daimler-Benz brauche«, sagt Schrempp in dieser Zeit.

Wie konnte ein Parvenü aus der badischen Provinz zum Herrscher über eines der gewaltigsten Industrieimperien der Welt aufsteigen? In den Nachkriegsjahren ist Jürgen Erich Schrempp in Freiburg im Breisgau aufgewachsen. In ärmlichen Verhältnissen. Die Familie trinkt Leitungswasser statt des teuren Sprudels. Während sich Mutter Monika um die Erziehung ihrer drei Buben kümmert, arbeitet sich Vater Ernst mit immensem Fleiß bis zum Vorsteher des Prüfungsamts im Oberschulamt empor.

Jürgen, der mittlere der drei Schrempp-Söhne, muss sich von Anfang an durchkämpfen. Gemeinsam mit seinem großen Bruder Günter schützt er den kleinen Wolfgang vor den Attacken anderer Jungs. Er legt sich mit seinem Französisch-Lehrer an, weil er sich weigert, ein Buch aufzuschlagen, um Vokabeln zu lernen. Jürgen kassiert dafür eine Sechs. »In der Quarta bin ich hängen geblieben«, sagt Schrempp grinsend. Er sei eben »nie grau - immer schwarz oder weiß«. Eine treffende Selbsteinschätzung - Schrempp kennt nur Gut oder Böse, nur Freund oder Feind.

Mit der Mittleren Reife verlässt der Rebell vorzeitig das Freiburger Rotteck-Gymnasium und beginnt Ende der fünfziger Jahre eine Lehre bei der örtlichen Mercedes-Niederlassung. Er verliebt sich in Renate Lutz, die in der Reinigungsannahme der elterlichen Wäscherei arbeitet. Weil Schrempp noch zu jung ist, muss er erst einmal die schriftliche Einwilligung seines Vaters einholen, bevor er die Angebetete ehelichen darf. Ein Vierteljahrhundert wird die Ehe halten, dann verlässt Jürgen Schrempp seine Frau, um Lydia Deininger, seine Assistentin und engste Vertraute, zu heiraten.

Nach der Bundeswehrzeit schließt er sein Ingenieurstudium an der Offenburger Fachhochschule ab und nutzt das Rückkehrangebot des Stuttgarter Autokonzerns. Von Untertürkheim aus beginnt die atemberaubende Karriere des Jürgen E. Schrempp.

Der Schlüssel dafür liegt in Südafrika. Dort hat sich Schrempp nach 1974, in den harten Zeiten der Apartheid, vom einfachen Mercedes-Mann zum Chairman der Mercedes-Benz of South Africa (MBSA) hochgekämpft. Bei der MBSA in Pretoria kann man mit Menschen sprechen, die zugänglicher und mutiger sind als ihre verängstigten Kollegen in Deutschland.

Ein führender Mercedes-Manager in Pretoria fällt ein ebenso eindeutiges wie hartes Urteil über seinen ehemaligen Chef: »Jürgen Schrempp ist eine Hyäne.« Er habe bei seinem steilen Aufstieg zum Vorsitzenden der südafrikanischen Mercedes-Niederlassung jederzeit gewusst, »wann er sich ein Maul voll Fraß holen kann und wann er sein Maul halten soll«. Tatsächlich wettert Schrempp in dieser Zeit öffentlich gegen Rassismus und lässt die weißen Rassisten in seinen Werken zugleich schalten und walten. Geschickt dient es sich Daimler-Vorstand Edzard Reuter an und räumt gleichzeitig Konkurrenten beiseite, die seiner Karriere im Weg stehen.

Sich selbst nennt Schrempp im persönlichen Gespräch einen Mensch mit »extremen Zielvorstellungen«. Der Daimler-Chef weiß immer, was er will. Der private Schrempp ist humorvoll und offen. Der Karrierist Schrempp agiert hart und skrupellos. Der Top-Manager Schrempp präsentiert sich unbelehrbar und unerschütterlich optimistisch.

Das hat Methode: Als MBSA-Chairman in Pretoria, als Dasa-Chef in Ottobrunn, als Daimler-Benz-Vorsitzender und als DaimlerChrysler-Chief Executive Officer in Stuttgart-Möhringen hat Jürgen E. Schrempp die Konzernoberen, die Aktionäre und die Öffentlichkeit wiederholt über die reale Lage des Konzerns geblendet und die wirtschaftliche Situation schöngeredet. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Seit 1999 hat sich der Betriebsgewinn des Konzerns halbiert, der Umsatz ist seit 2000 um 25 Milliarden Euro eingebrochen und auch der Börsenwert ist nur noch halb so hoch wie vor der Fusion. Mehr als 40 Milliarden Euro Vermögen haben die Aktionäre seit der Ehe mit Chrysler verloren. Der hoch gepriesene Rationalisierungskurs unter Schrempps Ägide kostete bisher 80 000 Arbeitsplätze. Die Vision der Welt AG ist auf den falschen Standbeinen und mit falschen Produkten errichtetet.

Mit der Chrysler Corporation hat Daimler einen US-Autokonzern übernommen, dessen Sprit fressende Schmutzschleudern nur mit hohen Rabatten in den Markt zu drücken sind. Und statt auf den heute unter französischer Führung erfolgreichen Nissan-Konzern setzte Schrempp auf die 37-prozentige Beteiligung an Mitsubishi Motors die bisher größte Fehlentscheidung seines Managerlebens. Mitsubishi schreibt derzeit als einziger der elf japanischen Autokonzerne rote Zahlen.

DaimlerChrysler ist heute ein Gemischtwarenladen, unter dessen zahlreichen Dächern Smart-Mobile, Maybach-Dinosaurier, Eurofighter-Kampfflugzeuge, Trägerraketen für Atomwaffen und Minenverlegesysteme gefertigt werden. Am Ende wird Jürgen E. Schrempp als größter Kapital- und Arbeitsplatzvernichter in die Annalen der mehr als einhundertjährigen Daimler-Konzerngeschichte eingehen. Fünf Edzard Reuters reichten nicht aus, um den Schaden anzurichten, den ein einziger Schrempp zu verantworten hat.

Kein anderer Konzernchef hätte sich dieses milliardenschwere Missmanagement erlauben können, ohne gefeuert zu werden. Schrempp dagegen ist noch im Frühjahr 2004 von den Daimler-Aufsichtsräten gefeiert und sein Vertrag um weitere drei Jahre verlängert worden. Verkehrte Welten, die sich jedoch erklären lassen. Aus dem alten Reuter-Vorstand stammt nur noch Manfred Gentz, der vor der Pension steht. Alle anderen Vorstände sind Schrempp-Günstlinge, die sich lange Jahre angedient haben.

Die unrühmlichste Rolle spielt der Aufsichtsrat, der seit Ende der achtziger Jahre alle Fehlentscheidungen mit zwanzig zu null Stimmen abgenickt hat - lang lebe das Politbüro! Basis ist die Männerfreundschaft der Duzkumpels Schrempp und Kopper. Als Vertreter des größten Anteilseigners, der Deutschen Bank, führt Hilmar Kopper wie Schrempp ein Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, seit Jahren den Vorsitz im Aufsichtsrat. Ohne Kopper hätte Schrempp längst abdanken müssen.

Doch im Frühjahr 2004 wackelt Schrempps Stuhl zum ersten Mal. Auf der spektakulären Hauptversammlung am 7. April fordern jetzt auch die großen Fondsgesellschaften den Kopf des Vorstandsvorsitzenden und seines Oberaufsehers Kopper. Schrempp hat diese Anfechtungen mit versteinerter Miene hingenommen und dem Daimler-Aufsichtsrat noch im gleichen Monat seinen Rücktritt angeboten nicht zum ersten Mal. Wie in der Vergangenheit sind derlei Offerten Taktik. Denn wenn Schrempp seinen Aufsichtsräten den Rücktritt anbietet, setzt er ihnen zugleich die Pistole auf die Brust.

Die Karte spielte er erstmals 1996, nach dem Desaster der von Schrempp betriebenen Übernahme des niederländischen Luftfahrtunternehmens Fokker, das Daimler-Benz rund 2,7 Milliarden Mark kostete. »Ich habe immer gesagt: Das ist mein Fehler. Und ich stehe zur Verfügung«, verkündete 1996 mit einem süffisanten Lächeln.

Denn er wusste auch damals nur zu gut, dass die Konzernkontrolleure ihn schwerlich entlassen konnten, haben sie doch vier Jahre zuvor selbst der Fokker-Mehrheitsbeteiligung des Konzerns zugestimmt. Würden sie den Vorstandsvorsitzenden wegen dieser Fehlentscheidung jetzt freistellen, müssten sie logischerweise mit ihm gehen. Ernst gemeint hat er seinen Rücktrittsgedanken aber sowieso nicht. »Das wäre der viel leichtere Weg gewesen«, postuliert er selbstbewusst, denn »es war meine verdammte Aufgabe, die Sache wieder in Ordnung zu bringen«. Doch im gleichen Jahr stehen Schrempp und damit der Aufsichtsrat erneut vor der Frage, ob er gehen soll oder nicht. In der Auseinandersetzung mit Helmut Werner kommt es zum Showdown. Schrempp bekriegt seinen einflussreichen Konkurrenten um das Amt des Vorstandsvorsitzenden mit seinem Modell der Neuausrichtung des Konzerns. »Ich wäre bereit gewesen, zu sagen: Helmut Werner wird Chef. Wenn das der Preis ist, dann stehe ich zur Verfügung.« Die Umstrukturierung eines Unternehmens dürfe nie an Personen scheitern. Das Unternehmensinteresse komme immer vor dem Eigeninteresse. Eindrucksvoll und uneigennützig formuliert ist das. So spricht ein Vorstandsvorsitzender. Am Ende geht Werner, Schrempp bleibt.

Acht Jahre danach, am 22. April 2004, ist trotzdem alles anders. An diesem Tag erleidet Schrempp die schlimmste Niederlage seiner Karriere. Im Vorstand versagen ihm acht von zehn Kollegen die Gefolgschaft. Einzig seine Bundesgenossen Rüdiger Grube und Eckhard Cordes votieren noch mit ihm und sind bereit, dem maroden japanischen Autobauer Mitsubishi eine weitere Milliardenspritze zu injizieren. Wütend erstattet der angeschlagene Konzernchef den Aufsichtsräten Bericht und lässt den Satz fallen, er stehe »für persönliche Gespräche zur Verfügung«.

Auch diesmal haben die Aufsichtsräte keine Chance. Würden sie seine Vertragsauflösung befürworten, müssten sie selbst gehen, allen voran Hilmar Kopper. Denn nur zweieinhalb Monate zuvor haben sie sich einstimmig für seine Vertragsverlängerung ausgesprochen und diese in ihrer Sitzung am Abend der Hauptversammlung bestätigt.

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Kaum nachvollziehbar, wie lange die Armada der Wirtschaftsjournalisten Schrempps turbokapitalistischen Visionen der Welt AG mit optimiertem Operating Profit und stetig steigendem Shareholder-Value folgten, wie geduldig die Großaktionäre und Fondsgesellschaften seinen hohlen Versprechungen vom baldigen Anstieg des Aktien- und Börsenkurses lauschten und wie solidarisch die Gewerkschafter seinem Gerede von der Arbeitsgarantie Glauben schenkten.

Rückblickend ist kaum zu glauben, dass Schrempp den Zusammenschluss von Daimler und Chrysler als den von »zwei der erfolgreichsten Unternehmen« verkaufen konnte. Die neu geschaffene DaimlerChrysler AG verfüge über »eine einzigartige Produktpalette, starke, sich ergänzende Marken und eine hohe Finanzkraft«. Die Aktionäre dies- und jenseits des Atlantiks ließ er 1998 wissen, sie seien von nun an »Eigentümer eines Unternehmens mit hervorragenden Wachstumsperspektiven, die weder für Daimler-Benz noch für Chrysler alleine erreichbar gewesen wären«.

Das amerikanische Magazin Business Week ernannte Schrempp zum »schlechtesten Manager« des Jahres 2003. Ganz anders der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, der den Freiburger im Oktober des gleichen Jahres zum Professor des Landes Baden-Württemberg ernannte, was dem so Geadelten sichtlich schmeichelt.

Wie andere vor ihm hat Professor Jürgen E. Schrempp den Absprung zum richtigen Zeitpunkt verpasst. 1998 sagte er mir in einem Gespräch, dass er »für einen abgehobenen Vorstandsvorsitzenden nicht der richtige Mann« sei. »Das Problem ist, dass man nach fünf bis sieben Jahren den Drive und die Kreativität verlieren kann.« Zu diesem Zeitpunkt stand er dem Konzern im dritten Amtsjahr vor. Mit seinem neuen Vertrag kann Schrempp bis 2008 regieren. Dann stünde er 13 Jahre an der Konzernspitze. Doch selbst wenn Professor Schrempp vorzeitig gehen muss, wird er mit einer millionenschweren Abfindung weich fallen. »Aber natürlich gibt es auch ein Leben nach dem Vorstandsvorsitz«, hatte Schrempp seinerzeit auf die Frage nach dem Sinn des Lebens auch geantwortet, »es gibt so viele schöne Plätze auf der Welt«.

Für einen standesgemäßen Altersruhesitz ist bereits gesorgt. Neben seiner Villa in Kapstadt ist Schrempp Teilhaber eines Wildlife-Areals westlich des Krüger National Parks, wo die Superreichen der Welt ihren Vergnügungen nachgehen. Von seinem afrikanischen Rundhaus aus hat man einen herrlichen Blick auf einen kleinen See in  der Savanne. Dort spielen sich in der Trockenzeit martialische Szenen ab. Die Krokodile lauern den vom Verdursten bedrohten Antilopen und Zebras auf. Hier gilt das natürliche Gesetz des Stärkeren.

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler und Verfasser des Buches »Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne« (Droemer). Der Autor lebt in Freiburg.