TV-Live-Interview mit JG
»Wir stehen am Anfang des größten Skandals
in der Wirtschaftsgeschichte
der Bundesrepublik Deutschland«
in SAT1-Frühstücksfernsehen
am 6. Juli 2005 ab 6.45 Uhr


Zu Artikel Bundesregierung und Parteien



»Wir stehen am Anfang des größten Skandals
in der Wirtschaftsgeschichte
der Bundesrepublik Deutschland«

SAT 1: »In unserem Studio in Freiburg ist jetzt Jürgen Grässlin zugeschaltet. Er ist ein ausgewiesener Kenner der Automobilindustrie und hat unter anderem die Biografie »Techniker der Macht« über den jetzigen VW-Aufsichtsratvorsitzenden Ferdinand Piëch geschrieben. Schönen guten Morgen nach Freiburg.«

Grässlin: »Guten Morgen nach Berlin.«

SAT1: »Ein Vorwurf in der VW-Schmiergeldaffäre lautet, dass sich der Betriebsrat hat kaufen lassen. Stichwort: Lustreisen und Prostituierte. Wir haben das gerade in dem Beitrag gesehen. Wie kann man denn einen Betriebsrat kaufen? Und vor allem: Wie kann das so lange unentdeckt bleiben?«

Grässlin: »Das sind spannende Fragen, die Sie da stellen. Es ist natürlich so, dass man unterscheiden muss, zwischen dem Gründen von Tarnfirmen, was justiziabel ist, die Staatsanwaltschaft ermittelt, und dem Einfliegen von Edelnutten, wenn es denn stimmen sollte, für Betriebsräte. Das ist nicht justiziabel, aber das ist eine spannende Geschichte, die man klären muss, weil das Image von Volkswagen natürlich damit dahin ist, das der Betriebsräte sowieso. Keine justiziable Geschichte, eine Familiengeschichte, denn unsereins sollte sich das nicht erlauben.

Wie kann so etwas vertraulich oder geheim bleiben? Wir haben in jedem Unternehmen, auch bei Volkswagen, einen Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat kontrolliert die Vorstände, auch Herrn Hartz - sollte kontrollieren. Und wenn es nun so ist, dass der Aufsichtsrat über Jahre hinweg weggeschaut hat oder es nicht gewusst hat - das wissen wir zu diesem Zeitpunkt nicht - dann funktioniert der Aufsichtsrat bei Volkswagen nicht. Und Volkwagen ist immerhin der größte europäische Autokonzern.«

SAT1: »Aber auch der Betriebsrat hat scheinbar eine wichtige Rolle gespielt, denn, noch einmal der Reihe nach, hoch gekocht ist die Korruptionsaffäre mit dem Rücktritt des Betriebsratschefs Klaus Volkert. Haben Betriebsrat und Gewerkschaften bei Volkswagen vielleicht mehr Einfluss als bei anderen Konzernen?«

Grässlin: »Ganz bestimmt. Es gibt ja dieses spezielle VW-Modell, was letztendlich besagt, dass wir einen ganz, ganz engen Kontakt haben zwischen VW-Vorstand und VW-Betriebsräten, auch den Betriebsräten und Gewerkschaftern im Aufsichtrat. Bei manchen Entscheidungen war das zugunsten der Arbeitnehmer, weil Arbeitsplätze gesichert werden konnten. Bei anderen Entscheidungen war es so, dass ein rigider Vorstand, unter der Führung damals von Herrn Piëch, Dinge durchgebracht hat, die bei anderen Konzernen nicht möglich gewesen wären. So hat der damalige Vorstandsvorsitzende Herr Piëch von diesem System profitiert. Herr Volkert hat von dem System profitiert. Eine Zeitlang war das ein Geben und Nehmen, aber auf einer Ebene, die ausgesprochen bedenklich ist. Denn so eng dürfen die Kontakte nicht sein. Dass nicht geschmiert werden darf, das ist offensichtlich.«

SAT1: »Auch in der Schusslinie ist natürlich Personalchef Peter Hartz. Der soll die hohen Auslagen für Betriebsräte abgesegnet haben. Selbst bezeichnet er das noch als »absurd«. Aber der Vorwurf steht natürlich weiterhin im Raum. Kann Hartz sich halten, seinen Kopf retten, oder ist er jetzt bei Volkswagen fällig.«

Grässlin: »Sie wissen ja, die erste Managerregel heißt: Ich behaupte das Gegenteil von dem, was ich mache. Und es ist ganz klar, dass Herr Hartz jetzt erst einmal sagt: Mein Name ist Hase, damit habe ich nicht zu tun. Ich glaube nicht, dass er aus dieser Affäre noch wohl behalten heraus kommt. Denn wenn die Vorwürfe auch nur halbwegs stimmen, die in den Medien geäußert worden sind - vor allem von Herrn Leyendecker, Süddeutsche Zeitung - dann ist Herr Hartz nicht zu retten. Und das ist natürlich spannend. Weil hinter Herrn Hartz auf der einen Seite der Bundeskanzler Gerhard Schröder steht, als enger Freund, und auf der anderen Seite, der damals sich im Amt befindliche Vorstandsvorsitzende, Ferdinand Piëch.«

SAT1: »Apropos Piëch. Der hat sich bisher noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Als oberster VW-Manager könnte man das erwarten. Oder sollte er das doch nicht tun?«

Grässlin: »Das wäre vollkommen normal. Geäußert hat sich Herr Pischetsrieder. Der muss die Suppe auslöffeln, die ihm Herr Piëch eingebrockt hat. Herr Piëch ist natürlich geschickt. Er hat, als er damals im Amt war, dass war bis April 2002, die Fäden engstens in den Händen gehalten, um nicht zu sagen, diesen Konzern mit fast diktatorischen Maßnahmen geführt. Und es kann mir niemand erzählen, dass eine solche Geschichte nicht über seinen Schreibtisch gegangen sein soll, wenn es denn wirklich wahr ist. Denn über den Schreibtisch von Herrn Piëch als Vorstandsvorsitzender ging alles, was entscheidend und wichtig war. Und Herr Piëch hatte größtes Interesse daran, diesen engen Kontakt zu pflegen, mit den Aufsichträten, mit den Betriebsräten. Denn er wollte seine rigide Sparpolitik, seine Rationalisierungspolitik, auch seine Lobbypolitik und seine Verkaufspolitik immer absegnen lassen im Aufsichtsrat und bei den Betriebsräten. Da nutzt es natürlich, wenn man gefügige Betriebsräte hat. Und gefügig machen kann man sie sich scheinbar mit dem Einfliegen von Edelnutten aus Brasilien und was alles jetzt ans Licht kommt.«

SAT1: »Der Skandal bei Volkswagen, noch ist alles sehr undurchsichtig. Was glauben Sie: Wie hoch ist der Wahrheitsgehalt der Nachrichten, die gerade an Öffentlichkeit gelangt sind. Und vor allem: Wie hoch ist der Imageschaden, wann das wirklich alles stimmen würde, für Volkswagen?«

Grässlin: »Ich schätze den Wahrheitsgehalt, ausgehend von der Süddeutschen Zeitung, als sehr hoch ein. Weil der Journalist, der ermittelt hat, Herr Leyendecker, sehr seriös arbeitet. Das wissen wir. Der Imageschaden ist wahrlich nicht zu begleichen. Volkswagen fährt unglaublich teure, millionenschwere Imagekampagnen logischerweise, zum Verkauf der Fahrzeuge. Auf der anderen Seite kommen jetzt Dinge ans Tageslicht, die man nicht einmal zu denken gewagt hat. Da kann man natürlich Millionen verpulvern, in Printmedien, in Radio und TV und sonstige Medien. Wenn die Behauptungen stimmen und sich als Tatsachen erweisen sollten, die jetzt im Raume stehen, dann wird VW es schwer haben, weiterhin dieses gute Image zu pflegen. Dann wird es auch schwer, Fahrzeuge auf dem Markt abzusetzen.

Das wird für die Beschäftigten hart, weil sie müssen letztendlich den Kopf hinhalten, für das, was auf Vorstandsebene und Betriebsratsebene jetzt in den Sand gesetzt worden ist. Es ist wie immer: Der Fisch stinkt vom Kopf her und ausbaden müssen es Hunderttausende von Beschäftigen. Das ist eine katastrophale Entwicklung. Und man kann sich Volkswagen nur wünschen, dass sich die Behauptungen als unwahr erweisen. Da habe ich große Zweifel. Ich glaube im Gegenteil: Wir stehen am Anfang des größten Skandals in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Und wenn all das stimmen sollte, dann geht die Kette bis zu Herrn Schröder, der ein enger Freund von Herrn Hartz ist, und der selbst im Aufsichtsrat von Volkswagen war. Und die Kette geht bis zu Herrn Piëch, der immerhin Vorstandsvorsitzender war, heute Aufsichtsratsvorsitzender ist, von Volkswagen - Europas Autokonzern Nummer 1.«

SAT1: »Jürgen Grässlin war das, ein guter Kenner der Volkswagenszene, der uns da mit Rat und Tat zu Seite gestanden hat. Wir werden das natürlich aufmerksam verfolgen und sagen für den ersten Moment erst einmal: Vielen Dank nach Freiburg.«

Grässlin: »Vielen Dank nach Berlin.«


Hintergrundinformationen zu Ferdinand Piëch, seiner Karriere, seinem Kontakt zum Aufsichtsrat und dem Betriebsrat siehe:

www.juergengraesslin.com/buchautor.htm

»Ferdinand Piëch. Techniker der Macht«
Droemer Verlag und Knaur-Verlag, München