Rezension »Stuttgart. An Daimler-Chryslers Krankenbett
Arzt Grässlin: Selbstverzehr als unfehlbares Rezept gegen
Heuschreckfraß« stattweb.de-News und -Mitteilungen vom
29.01.2006


Zu Artikel zu DaimlerChrysler und Jürgen E. Schrempp


»Stuttgart. An Daimler-Chryslers Krankenbett Arzt
Grässlin: Selbstverzehr als unfehlbares Rezept gegen
Heuschreckfraß«

Der neue Chef von Daimler-Chrysler - Zetsche - setzt auf die letzten Rezepte des alten Schrempp. Hatte der am Ende in seiner Not weltweit 8500 Stellen in der Produktion ablösen wollen, macht sich Zetsche jetzt über die Verwaltung her. Dreitausend Angestellte sieht er als entbehrlich, weitgehend solche aus der BRD. Schrempps Zentralisierung der Gesamtverwaltung des Konzerns in Stuttgart hatte das zur Folge. Vorteil der Sache: Ausländische Übernehmer finden nichts mehr auszuweiden. Zetsche macht selber die Heuschrecke. Die ausländischen Mit-Schrecken bleiben ohne Fraßangebot.

In seinem im Spätjahr 2005 herausgekommenen zweiten Buch über Daimler schildert Jürgen Grässlin, wie es so weit kommen konnte. Hatte er im ersten, einer Biographie Schrempps, noch ziemlich vorbehaltlos dem Napoleon der Globalisierung gehuldigt, so folgt er in »DAS DAIMLER-DESASTER« konsequent der Entwicklung und reißt den erst in den Sattel gesetzten Kaiser wieder vom Pferde...
Dabei klebt er freilich hautnah an den handelnden Personen, ihrem angeblichen Genius und ihrem bedauerlichen Versagen als Manager. Der Kapitalismus wäre völlig in Ordnung, wenn nur die unfähigen Manager nicht andauernd so versagten und störten.

Mit diesem Vorbehalt ist das Buch aufschlussreich. Grässlin umreißt die Anfangslage 1995, als Schrempp Edzard Reuter ablöste. Die Situation war bedenklich, der Absatz stockte. Schrempp erwies sich als entschlossener Globalisierer. Erst Ausgriff nach Chrysler in den USA, dann nach Mitsubishi in Japan, dann Grapsch nach Hyundai in Korea.

Zunächst mit riesigen Kursgewinnen in Dax und Dow Jones, freudigem Jauchzen allenthalben. Dann die traurige Erkenntnis: es werden in allen Erdteilen zuviel Autos produziert, zuviel nicht für die Wünsche der Verbraucher, zuviel einfach für die restliche Kaufkraft, die die Kapitalisten den Produzenten der Reichtümer übriglassen. Grässlin führt den individuellen Größenwahn der Einzelperson Schrempp vor, der nötig ist, um die Illusion eines immer weiterschwellenden Weltmarkts zu nähren, aber er versäumt, die Mechanismen der Warenüberproduktion und der Kapitalüberakkumulation dahinter zu zeigen. So kommt der Genie und Trottel gleichermaßen treffende Crash 2000/2001 nur noch in Nebenbemerkungen vor. Am interessantesten im Buch die Schilderung der Manöver, die nach dem Wurmfraß der Enttäuschung und dem Schwund der Absatzzahlen nötig wurden, um den Schein florierenden Absatzes von Mercedeswagen in Deutschland und der Welt aufrecht zu erhalten.

Angesichts der Autohalden konnte nur eines helfen: über den normalen Absatz bei den akkreditierten Autohäusern hinaus durch Mittelsmänner einen »Schattenmarkt« aufzubauen. In diesem wurden zusätzlich zum regulären Verkauf teure Wagen mit Superrabatten ins europäische und fernöstliche Ausland verschoben. Verdient vom Konzern wurde dadurch nicht das Erwartete, aber wenigstens konnte er im Untergang noch mit ansehnlichen Verkaufszahlen brillieren. Nur dass es mit den offiziellen Daimler-Chrysler- Vertretungen immer wieder zum Krach kam, weil ihnen in ihren Gebieten andauernd über Rabatt verbilligte Autos das Geschäft verdarben. Als die Gerüchte zu heftig wurden, musste einer von den Sub-Kontrahenten geopfert werden. Es traf den Logistik-Unternehmer Schweinle und seinen Geschäftsführer, beide aus der Gegend hinter Heilbronn. Überfallartige Hausdurchsuchung, Beschlagnahmen, Geschäftszerstörung, 2 1/2 Jahre annähernd Isolationshaft in Stammheim -endlich Verurteilung vom Landgericht Stuttgart zu etwas, das wegen der Höhe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Dann: überraschend- ein direkter Freispruch durch das Bundesgericht in Leipzig. Ziemlich lautstarke Ohrfeige für das Landgericht: es hätte unkritisch die Aussagen des Konzerns übernommen, der jetzt von allen Abmachungen nichts mehr wissen wollte. Hauptbelastungszeuge: der jetzige Vorsitzende Zetsche, seinerzeit für den weltweiten Verkauf zuständig. Als Zeuge vor Gericht wusste er von nichts. Als ihm nach dem Fall Schrempps alles wieder einfiel, versprach er unterwürfig: Schluss mit dem Graumarkt. Damit waren alle Rezepte verbraucht. Es führte kein Weg mehr aus den Problem en der Überproduktion: Übersee hatte sich als Flop erwiesen, getürkte Verkaufszahlen waren über den Schattenmarkt nicht mehr zu erhalten und zu halten. So endet Zetsche folgerichtig beim letzten Rezept: auch in der Verwaltung Arbeitskräfte durch Verarbeitungsmaschinen zu ersetzen. Therapie, die sich schnell als die Krankheit selbst herausstellen wird.

Zum Schluss des Buches bekommt Grässlin Krach mit seinem Gegenstand. Im Offenen Brief am Ende erinnert er Schrempp noch als alten Freund an geschlotzte Viertele in Freiburg. Dennoch hat er diesen alten Freund sehr verärgert, indem er im Buch glaubhaft machte, dass ab Mai 2005 durch die Großaktionärin Deutsche Bank und wohl auch den Vorstandvorsitzenden Kopper Druck auf Schrempp ausgeübt wurde, um ihn zu beschleunigtem Rücktritt zu bewegen. Schrempp sollte den letzten Dienst erweisen: durch seinen Rücktritt die Kurse der Firma an der Börse höher zu treiben als je in den letzten vier Jahren seiner Amtszeit. Die deutsche Bank verkaufte am Tag der offiziellen Verkündigung des Rücktritts - mit erheblichem Gewinn, was sie angesichts des Niedergangs von Daimler-Chrysler schon lange hatte tun wollen, aber wegen zu erwartender Verluste nicht konnte Nur dass nach den Börsenregeln der beschlossene Rücktritt viel früher hätte verkündigt werden müssen. Damit wären auch einfache Aktionäre außerhalb der Deutschen Bank in die Lage gekommen, nicht zu billig zu verkaufen.

Schrempp, die ganze Firma und damit als ihr heutiger Vertreter Zetsche müssen das bestreiten, um nicht von jetzt schon klagenden Aktionären in Regress genommen zu werden. Darum geht jetzt der Prozess gegen Grässlin, bewehrt mit gerichtlich bestätigter einstweiliger Verfügung. Hatte Grässlin recht, als er vom frühzeitig erzwungenen und damit bekannt werdenden Rücktritt schrieb?

Grässlin gehört der Vereinigung kritischer Aktionäre an und wird deshalb auch außergerichtlich bei den nächsten Aktionärsversammlungen Gelegenheit haben, Laut zu geben. Auch wenn der Autor Grässlin selbst weiterhin am positiven und negativen Kult der Personen im Vordergrund festhalten wird, wird es doch das ganze Jahr keine Ruhe geben um das Drama dahinter: das Schwindelschlingern des majestätischen Dampfers Daimler-Chrysler innerhalb der krisenhaften Wellenschläge des Kapitalismus.