TV-Live-Interview mit Jürgen Grässlin
»Hinter diesem VW-Skandal
steht natürlich auch ein enormer Politskandal«
in N24 am 6. Juli 2005 ab 7.30 Uhr


Zu Artikel Bundesregierung und Parteien


 

»Hinter diesem VW-Skandal
steht natürlich auch ein enormer Politskandal«

N24: »Wir wollen über dieses Thema jetzt sprechen mit Jürgen Grässlin. Er ist Buchautor und vor allen Dingen einer der ganz großer Kenner der Automobilindustrie. Guten Tag, Herr Grässlin. Sie sagen, Zitat: >Das ist ein Skandal, der die Republik erschüttern kann.< Warum?«

Grässlin: »Guten Morgen nach Berlin. Wir haben hier Dominoeffekte zu befürchten, die jetzt nur ansatzweise erkennbar sind. Wenn ich sage >Wir stehen wahrscheinlich vor dem größten Skandal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte<, dann deshalb, weil es um Personalvorstand Hartz geht, also um VW-Vorstände. VW ist der größte Automobilkonzern Europas. Herr Hartz ist ein enger Freund von Herrn Schröder, dem Bundeskanzler. Herr Hartz ist ein enger Bekannter, Kooperateur, Mitarbeiter von Herrn Piëch, einem der mächtigsten Automanager Europas, der lange Jahre - bis 2002 - Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG war - undundund. Wenn wir uns diese Kette zu Ende denken und nur ein Teil dieser Vorwürfe stimmt, die jetzt im Raume stehen, dann ist das ein Skandal ohnegleichen, wie wir ihn noch nie erlebt haben in der Bundesrepublik Deutschland.«

»Meines Erachtens hat auch Herr Piëch gewusst, was Sache ist«

N24: »Jetzt hat aber Peter Hartz in der Süddeutschen Zeitung diese Vorwürfe zurückgewiesen. Ist es Ihrer Meinung nach glaubhaft, dass er als Personalvorstand von diesen Vorgängen tatsächlich nichts gewünscht hat?«

Grässlin: »Das würde wahrscheinlich vielen Menschen so gehen, dass sie erst einmal reagieren und sagen: Nein, das geht mich nicht an, mein Name ist Hase, ich weiß von nichts, oder mein Name ist Hartz. In Wirklichkeit muss er davon gewusst davon, das geht nicht anders, denn er ist Personalchef. Bei VW haben wir ein >System Volkswagen<, das eine enge Verbindung von Betriebsrat, und damit natürlich auch von Aufsichtsräten, und dem Vorstand über Jahre hinweg praktiziert hat, wie das bei keinem anderen Großkonzern haben. Meines Erachtens hat Herr Hartz gewusst, was Sache ist. Meines Erachtens hat auch Herr Piëch gewusst, was Sache ist. Aber natürlich muss man das beweisen, und bis dahin ist das noch ein weiter Weg.«

N24: »Hat da aber nicht auch der Aufsichtsrat als Kontrollgremium versagt in diesem Fall?«

Grässlin: »Im Aufsichtsrat ist der größte Anteilseigener das Land Niedersachen mit 18 Prozent der Anteile. Da sitzt Herr Wulff im Aufsichtsrat als Ministerpräsident von Niedersachen, CDU, und Herr Hirche, Wirtschaftsminister Niedersachsens, FDP. Herr Hirche hat gesagt: Ich weiß von alledem nichts. Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn er wirklich nicht gewusst haben sollte, denn es sind ja solch eklatante Vorwürfe im Raum stehend, dann muss man sagen: Das eigentliche Kontrollgremium bei Volkswagen funktioniert überhaupt nicht, da ist ein Totalversagen feststellbar. Sie können nicht vom Arbeitnehmer am Band, erwarten, dass er die Chefs - sowohl im Management als auch im Aufsichtsrat und im Betriebsrat - kontrolliert. Das muss der Aufsichtsrat machen. Und wenn jetzt der Aufsichtsrat sagt »Ich weiß von nichts«, dann haben wir ein so genanntes »Kontrollgremium«, das de facto viel Geld kassiert und gleichzeitig nicht in der Lage ist, die Kontrollfunktion wahrzunehmen.«

N24: »Welche Auswirkungen des Skandals erwarten Sie jetzt auf den Wahlkampf. Sie haben ja schon die engen Verbindungen von Peter Hartz zum Bundeskanzler beschrieben?«

Grässlin: »Mich erinnert die ganze Geschichte an den Fall von Herrn Pfahls, der wird in Augsburg vor Gericht verhandelt. Im einen Fall hat die SPD großes Interesse, dass Herr Kohl vor Gericht kommt. Im anderen Fall hat nun die CDU, Herr Wulff in Person, großes Interesse, dass Herr Hartz und damit auch Herr Schröder in den Schlagzeilen steht in den nächsten Monaten. Hinter diesem VW-Skandal steht natürlich auch ein enormer Politskandal, der sich hier abzeichnet. Wir werden wohl im Wahlkampf damit rechnen müssen, dass die Schlammschlacht jetzt eröffnet wird.«

N24: »Jürgen Grässlin war das. Buchautor und ein echter Kenner der Automobilbranche. Vielen Dank für diese Einschätzungen.«

Grässlin: »Sonnige Grüße nach Berlin.«


Hintergrundinformationen zu Ferdinand Piëch, seiner Karriere, seinem Kontakt zum Aufsichtsrat und dem Betriebsrat siehe:

www.juergengraesslincom/buchautor.htm

»Ferdinand Piëch. Techniker der Macht«
Droemer Verlag und Knaur-Verlag, München