Interview »Wir begrüßen die Durchsuchungen
bei DaimlerChrysler«
in junge welt vom 03.09.2005


Zu Artikel zu Jürgen E. Schrempp



»Wir begrüßen die Durchsuchungen bei DaimlerChrysler«

Staatsanwalt ermittelt wegen Verdachts auf Insiderhandel.
Aber auch Wohnungen von Konzernkritikern durchsucht.
Ein Gespräch mit Paul Russmann*

Interview: Thomas Klein

*Paul Russmann ist Referent für Friedensarbeit bei der ökumenischen Aktion »Ohne Rüstung Leben« (ORL) und Sprecher der Kritischen Aktionäre DaimlerChrysler (KADC).

F: Am Donnerstag wurden die Daimler-Konzernzentrale in Stuttgart, Ihre Privatwohnung, die Geschäftstelle der ökumenischen Initiative »Ohne Rüstung Leben« (ORL) sowie die Wohnung des Konzernkritikers Jürgen Grässlin wegen des Verdachts auf Insiderhandel durchsucht. Was ist der Hintergrund?

Es besteht offenkundig der Verdacht, daß mehrere Personen von dem bevorstehenden Rückzug des Daimler-Konzernchefs Jürgen Schrempp gewußt haben. Daraufhin soll es zu den verbotenen Insidergeschäften gekommen sein. Bekanntlich hat DaimlerChrysler Schrempps Ausscheiden Ende Juli bekanntgegeben. Aber es gibt schon länger Hinweise, daß bereits Wochen zuvor einige Personen im Konzern davon Kenntnis hatten und dieses Wissen zu »Insidergeschäften« nutzten. Deshalb begrüßen wir als »Kritische Aktionäre« die Durchsuchung.

F: Sie begrüßen also, daß bei Ihnen, beim Kollegen Grässlin und in Ihrer Geschäftsstelle polizeiliche Durchsuchungen stattgefunden haben?

Wir begrüßen, daß Durchsuchungen in der Stuttgarter Daimler-Zentrale und bei den Personen stattgefunden haben, die hier möglicherweise ihr Wissen für Insidergeschäfte nutzten. Daß bei uns die Polizei vor der Tür stand, begrüße ich natürlich nicht. Denn diese Durchsuchungen waren völlig überzogen, und es ist eine Unverschämtheit, daß in dem nun laufenden Verfahren offenbar gegen Grässlin als Beschuldigten ermittelt wird.

F: Wie das?

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft stützt ihren Durchsuchungsantrag an das Amtsgericht Stuttgart auf die Begründung, die Insiderinformation zum bevorstehenden Ausscheiden Schrempps sei unbefugt an Dritte, eben auch an Grässlin, weitergegeben worden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht, daß er unberechtigt Mitteilung von einem noch nicht bekannten »Primärinsider« bekommen hat. Außerdem bestehe der Verdacht, daß Grässlin diese Information an Dritte weitergegeben hat.

F: Was hätte er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft machen müssen, Anzeige erstatten?

Tja, das ist uns bis jetzt auch nicht klar. Fakt ist, daß nun diejenigen, die zur Aufklärung beigetragen haben, zu Tätern oder zumindest zu Beschuldigten gemacht werden. An sich müßten Informanten geschützt werden, die dazu beitragen, Insiderhandel bekanntzumachen. Es ist natürlich in Ordnung, daß nun die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Herausgabe der Namen aller Personen verlangt, die vor dem Rücktritt Schrempps mit Papieren des Autokonzerns gehandelt haben.

Die »Kritischen Aktionäre« haben bei dieser Geschichte versucht, Licht ins Dunkel zu bringen und dubiose Vorgänge bekanntzumachen. Deshalb ist nach Ansicht unseres Anwalts Holger Rothbauer die Durchsuchung bei Grässlin, in den ORL-Räumen und bei mir rechtswidrig. Wir haben Beschwerde eingelegt.

F: Was wurde beschlagnahmt?

Im ORL-Büro und bei mir zu Hause wurde nichts mitgenommen, bis auf den alternativen Geschäftsbericht. Aber dessen Studium sei den staatlichen Stellen gegönnt und empfohlen. Von Brisanz ist die Aktion bei Grässlin, denn dort haben sie die beiden PC mitgenommen, sicher auch, weil er gerade sein neues Buch über Daimler schreibt. Das Buch soll in Kürze erscheinen.

Die PCs hat Grässlin zwar inzwischen wieder zurück, aber wir gehen davon aus, daß die Festplatte kopiert wurde und die Staatsanwaltschaft versucht, seine Informanten und Quellen herauszufinden.

F: Was passiert mit denen, die des Insiderhandels überführt werden?

Insiderhandel wird mit Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Dabei zur Aufklärung beigetragen zu haben, beschert offenkundig Ärger. Meines Wissens ist das aber straffrei.