Interview mit JG »Im Herbst platzen
zwei Bomben bei DaimlerChrysler«
in junge welt vom 05.08.2005




»Im Herbst platzen zwei Bomben bei DaimlerChrysler«

Das Interview führte Peter Wolter

Der Mercedes-Skandal wird den von VW möglicherweise in den Schatten stellen. Neues Buch über den Autokonzern in Vorbereitung. Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin

* Jürgen Grässlin ist Biograph des Vorstandschefs der DaimlerChrysler AG, Jürgen Schrempp. Er ist außerdem Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC)

F: Nach Mercedes-Chef Eckhard Cordes haben jetzt weitere Topmanager des DaimlerChrysler-Konzerns Aktienpakete verkauft. Kann man einen Grund dafür erkennen, daß sich das häuft?

Die hohen Herren signalisieren damit, daß selbst sie nicht auf eine weitere Steigerung des Aktienkurses setzen. Einige offensichtlich raffgierige Manager verlassen das sinkende Schiff.

F: Oder wollen sie einem Kurssturz zuvorkommen?

Diese Prognose ist wahrscheinlich richtig, denn vieles spricht dafür, daß im Herbst bei DaimlerChrysler gleich zwei Bomben platzen: Erstens wird herauskommen, daß die Zahlen über die Fahrzeugverkäufe in unlauterer Weise wohl auch durch Graumarktgeschäfte erhöht wurden. Das hängt damit zusammen, daß die Produktion des Smart zur Zeit Milliardendefizite verursacht. Oder damit, daß die E-Klasse in den USA bei 28 getesteten Fahrzeugen den letzten Platz belegt. Oder auch damit, daß für die S-Klasse nur etwa halb so viel Vorbestellungen hereinkamen wie erhofft.

F: Die Verkaufszahlen werden also frisiert ...

... sie werden sozusagen künstlich erhöht. In Deutschland stehen mehrere 10.000 Mercedes-Fahrzeuge auf Halde. Die lassen sich von Monat zu Monat schlechter verkaufen, sie verlieren ständig an Wert.

F: Und die zweite Bombe?

Zweitens stehen im Herbst die Verhandlungen gegen den ehemaligen Deutschland-Vertriebschef Eckhard Panka und gegen den früheren Berliner Mercedes-Niederlassungsleiter Jürgen Fahr an. Es ist zu erwarten, daß zumindest einer dieser Herren vor Gericht etwas differenzierter darstellt, wie die Konzerngeschäfte in Deutschland gelaufen sind.

F: Offenbar wissen diese Topmanager etwas, das normale Aktionäre nicht wissen. Bezeichnet man so etwas nicht als Insider-Geschäft?

Tatsächliche Insider-Geschäfte sollen auf jeden Fall zwei Führungskräfte betrieben haben. Durch den Anruf eines Informanten wußte ich schon zwölf Tage vor der offiziellen Bekanntgabe, daß Konzernchef Jürgen Schrempp zurücktreten wollte. Aus derselben Quelle erfuhr ich auch, daß danach zwei mir namentlich bekannte Führungskräfte über Dritte Insider-Geschäfte getätigt und sich damit illegal bereicht haben sollen.

F: Diese Verkäufe könnte man doch auch so erklären, daß diese Manager Angst haben, ihren Job zu verlieren. Sie könnten versucht haben, sich ihre Altersvorsorge aufzubessern.

Im Falle Cordes und bei einigen anderen trifft diese Vermutung wahrscheinlich zu. Für mich steht fest, daß der DaimlerChrysler-Skandal in den nächsten Wochen und Monaten enorme Ausmaße annehmen kann. Er wird möglicherweise sogar den VW-Skandal in den Schatten stellen. Auf der Führungsebene scheint man das zu wissen, wie die Optionsgeschäfte zeigen.

F: Schrempp hatte versucht, kritische Äußerungen von Ihnen gerichtlich zu unterbinden. Wie ist der Stand des Rechtsstreits?

Ich habe drei der vier Unterlassungserklärungen von meinem Rechtsanwalt zurückweisen lassen: So werde ich u.a. weiterhin dazu stehen, daß ich Tage vor der Schremppschen Rücktrittsankündigung Bescheid wußte, daß sein Rücktritt wohl nicht freiwillig erfolgte und die Geschäfte, die Herr Schrempp geregelt hat, nicht immer so sauber waren. Statt geschönter Bilanzzahlen werfe ich DaimlerChrysler vor, die Zulassungs- und damit die Absatzzahlen in unlauterer Weise erhöht zu haben. Der Versuch geht daneben, einen Konzernkritiker und insbesondere einen Schrempp-Kritiker mit der juristischen Keule zum Schweigen bringen zu wollen.

F: Nach Ihrer Schrempp-Biographie arbeiten Sie jetzt an einem Buch über den Konzern DaimlerChrysler. Sind Enthüllungen zu erwarten?

Ich bin unter anderem dabei, den Vertriebsskandal aktiv zu begleiten und durch Recherchen brisante Dinge ans Tageslicht zu befördern. Das dürfte dem Konzernvorstand noch Bauchschmerzen bereiten.