Zeitungsbericht »Die Gerüchteküche brodelt«
in Berliner Zeitung vom 31.07.2005




»Die Gerüchteküche brodelt«

Spekulationen über Gründe für Abschied von
DaimlerChrysler-Chef Schrempp nehmen zu

Von Marco Dalan

Die wahren Gründe für den spektakulären Abgang von DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp liegen auch am Tag drei nach der Ankündigung noch immer im dunkeln. Der Aufsichtsrat schweigt beharrlich. Angeblich war der Rücktritt schon lange geplant.

Düsseldorf - Der Großaktionär Deutsche Bank nutzte die Gunst der Stunde und das Kursfeuerwerk nach dem angekündigten Abschied, um sich von einem Aktienpaket im Wert von 1,4 Mrd. Euro zu trennen. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« wiederum berichtete, als Erklärung für Schrempps Abgang werde vor allem der Druck institutioneller Investoren herangezogen. Seit April hätten Hedge-Fonds verstärkt DaimlerChrysler-Aktien gekauft, um Druck auszuüben.

Es ist die Stunde der Gerüchte. Plötzlich ist in der »Süddeutschen Zeitung« von Tarnfirmen in Südafrika die Rede, an denen Schrempp beteiligt sein soll. Die »Bild« spekuliert über Schrempps mögliche Rolle im Skandal um Graumarktgeschäfte des Konzerns. Schließlich ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen 17 Vertriebschefs des deutsch-amerikanischen Autobauers und Mercedes-Händler. Im »Deutschlandfunk« erhebt der Sprecher der »Kritischen Aktionäre bei DaimlerChrysler« und Schrempp-Biograph Jürgen Grässlin schwere Vorwürfe: »Ich glaube nicht, daß dieser Rücktritt freiwillig ist. Ich bin mir ziemlich sicher, daß im Herbst noch die dicke Bombe platzt.« Beweise für seine Andeutungen bleibt er schuldig.

Dafür reagiert DaimlerChrysler. Nachdrücklich weisen die Stuttgarter alle Vorwürfe aufs schärfste zurück. Der Konzern kündigt rechtliche Schritte gegen Grässlin sowie den Würzburger Betriebswirtschaftsprofessor Ekkehard Wenger wegen der Verbreitung von Falschaussagen an. Zu den Tarnfirmen-Vorwürfen in Südafrika sagte ein Sprecher in Stuttgart: »Das ist alles erlogen. Herr Schrempp ist an keiner Zulieferfirma beteiligt.« EU-Industriekommissar Günter Verheugen verlangte allerdings von DaimlerChrysler, die Hintergründe des Ausscheidens von Schrempp offenzulegen. »Große Unternehmen kommen heute nicht mehr ohne Transparenz aus. Ich würde immer dazu raten, Entscheidungen dieser Art gründlich zu erklären, um zu vermeiden, daß wilden Spekulationen Tür und Tor geöffnet werden«, sagte Verheugen der »Bild am Sonntag«. Der Vizepräsident der EU-Kommission nannte die Skandale »in ihrer Häufung besorgniserregend«.

Jürgen Schrempp selbst sieht die Dinge viel gelassener. »Ich habe darüber schon seit einiger Zeit mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper gesprochen«, sagte Schrempp dem »Focus«. Dabei hätten sie dann festgestellt, daß Ende des Jahres der günstigste Zeitpunkt für einen Führungswechsel sei. Wie das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« unter Berufung auf Aufsichtsratschef Kopper berichtete, fanden erste Gespräche zwischen Schrempp, Kopper und dem Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm bereits im Mai statt. Er selbst habe gespürt, daß Schrempp nicht mehr wolle, nachdem er sich auf der Hauptversammlung auch heftige Kritik am Job seiner Ehefrau bei DaimlerChrysler habe anhören müssen, zitierte das Blatt Kopper.

Daß in der Pressemitteilung zum Ausscheiden Schrempps kein Wort des Dankes für dessen Arbeit enthalten sei, beruht offenbar auf einer Panne. Demnach hatte Schrempp die Erklärung mitformuliert und wollte den Dank nicht selbst reinschreiben. Darüber sei er »todunglücklich«, erklärte Kopper. »Das hat Schrempp nicht verdient.« Natürlich werde der DaimlerChrysler-Chef bei seinem Ausscheiden am 31. Dezember gewürdigt, so Kopper, »und wie«.

Mercedes-Chef Eckhard Cordes hat unterdessen angeblich um die Auflösung seines Vertrags gebeten, als bekannt wurde, daß Chrysler-Präsident Dieter Zetsche Nachfolger von Schrempp wird. Der Aufsichtsrat hüllt sich in Schweigen, bemüht sich jedoch offenbar hinter den Kulissen, Cordes doch noch zu halten. Immerhin hat dieser ein Sanierungsprogramm für Mercedes-Benz eingeleitet. Die Wahrscheinlichkeit, daß Cordes im Konzern bleibt, ist nach Informationen der Berliner Morgenpost allerdings gering.