Zu Artikel zu Jürgen E. Schrempp
Von Andreas Müller
Jürgen Grässlin wollte nicht gestört werden. Niemand ging in seiner Freiburger Wohnung ans Telefon, ständig lief der Anrufbeantworter. Nur wenige Vertraute kannten die Handynummer, unter der er notfalls zu erreichen wäre. Der Grund des Rückzugs: der Daimler-Chrysler-Kritiker schreibt mit Hochdruck an einem neuen Buch über den Stuttgarter Autokonzern, das nach dem vorzeitigen Abgang des Vorstandschefs Jürgen Schrempp möglichst bald erscheinen soll.
Gestern Vormittag war es mit Grässlins Ruhe jäh vorbei. Als er um 9.30 Uhr die Haustür öffnete, standen ihm ein Staatsanwalt und acht Polizeibeamte gegenüber. Sie präsentierten einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart, der den Hausherrn gelinde gesagt verblüffte: Ermittelt werde wegen illegaler Insidergeschäfte mit Aktien von Daimler-Chrysler, er selbst sei Beschuldigter wegen des Verdachts, unbefugt internes Wissen weitergegeben zu haben. Dann kamen die Fahnder herein.
Grässlin ist die Schlüsselfigur in dem Verfahren, das gestern zu
einer groß angelegten Razzia führte. Seine Angaben gegenüber der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) waren es, die die Aktivitäten der Stuttgarter
Staatsanwaltschaft auslösten. Schon zwölf Tage vor der offiziellen Ankündigung,
behauptete er, habe er aus dem Konzern von dem bevorstehenden Rücktritt Schrempps
erfahren. Damit sei Insidergeschäften »Tür und Tor geöffnet gewesen«, folgerten die
Kritischen Daimler-Aktionäre. Sie bekamen gestern ebenso wie ihr Mitstreiter Grässlin
Besuch von der
Staatsgewalt: Durchsucht wurden ihre Geschäftsstelle und die Privatwohnung ihres
Sprechers Paul Russmann, beide in Stuttgart.
Aber auch bei zwei hochrangigen Daimler-Managern standen gestern Vormittag plötzlich Fahnder vor der Tür. Weder die Staatsanwaltschaft noch der Autokonzern nannten zwar Namen. Doch nach Informationen der Stuttgarter Zeitung waren es jene beiden, die Grässlin bei der Börsenaufsicht angegeben hatte: Rüdiger Grube, im Vorstand zuständig für Konzernentwicklung und China, und Hartmut Schick, der Kommunikationschef des Unternehmens. Beide, so will Grässlin ebenfalls von Insidern erfahren haben, hätten ihr Wissen über Schrempps Rückzug genutzt, um selbst oder über Dritte Insidergeschäfte zu tätigen.
Was Grube und Schick, zwei enge Vertraute des Nochkonzernchefs, zu dem Vorwurf sagen - dazu gab es von Daimler-Chrysler gestern keine Auskunft. Das Unternehmen bestätigte lediglich, dass auch Räume in der Konzernzentrale durchsucht worden seien. Im Übrigen arbeite man selbstverständlich mit der Staatsanwaltschaft zusammen.
Vor einigen Tagen hatten die Manager den Verdacht allerdings scharf zurückgewiesen. Als ihre Namen erstmals in einem Boulevardblatt genannt wurden, wehrten sie sich vehement. Es handele sich um »diffamierende Falschaussagen, die jeglicher Grundlage entbehren«, sagte ein Sprecher damals. Schick sprach empört von »absoluter Verleumdung«. Er und Grube gaben eidesstattliche Erklärungen ab, denen zufolge der Insiderverdacht völlig haltlos sei. Zugleich kündigte Daimler-Chrysler rechtliche Schritte an, von denen Grässlins Anwalt Holger Rothbauer bisher freilich nichts weiß.
Anders als die Staatsanwaltschaft und der Autokonzern zeigte sich Rothbauer gestern durchaus auskunftsfreudig. Die Durchsuchung in der Daimler-Zentrale sei zu begrüßen, jene bei den Kritischen Aktionären dagegen »völlig überzogen« und rechtswidrig. Man habe daher umgehend Rechtsmittel eingelegt. »Hier wird ein Aufklärer zum Täter gemacht«, schimpfte der Anwalt. Es gehe doch nur darum, die »undichte Stelle« bei Daimler-Chrysler zu finden.
Ganz erfolglos waren die Fahnder bei Grässlin dabei offenbar nicht. Bisher hatte er sich immer geweigert, seinen Informanten zu offenbaren; dessen Schutz gehe vor. Unter dem Eindruck der Staatsmacht aber, berichtet sein Anwalt, sei er weich geworden und habe den Namen genannt. Es handele sich jedoch nicht um die Primärquelle im Unternehmen, sondern um einen Mittelsmann von außerhalb. Bei diesem würden die Fahnder nun wohl weiterbohren.
Die Staatsanwaltschaft machte zum Ergebnis der Razzia derweil nur
dürre Angaben: Nun müsse man erst einmal die beschlagnahmten Unterlagen auswerten. Die
Dauer der weiteren Ermittlungen lasse sich noch nicht absehen.