Bericht »Daimler unter Verdacht«
in junge welt vom 19.08.2005


 


»Daimler unter Verdacht«

Insidergeschäfte? Finanzaufsicht weitet Ermittlungen gegen Stuttgarter Automobilkonzern aus. Behörde prüft auch Verstoß gegen Ad-hoc-Vorschriften

Beim Stuttgarter Automobilproduzenten DaimlerChrysler knirscht es weiter im Konzerngetriebe. Nach der überraschenden Rücktrittsankündigung von Vorstandschef Jürgen Schrempp Ende Juli, Problemen bei der wichtigsten Marke Mercedes-Benz, Verlusten im Kleinwagenbereich (Smart) und offensichtlichen Rangeleien in der Führungsriege, bekam das Unternehmen nun auch noch eine Untersuchung der deutschen Finanzaufsicht an den Hals. Zusätzlich zum Verdacht auf Insiderhandel prüfe die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) jetzt auch, ob der Autokonzern den Schrempp-Rücktritt zu spät veröffentlicht und damit gegen die Ad-hoc-Vorschriften (Regelungen bei aktienrechtlich begründeten Pflichtmitteilungen) verstoßen habe, sagte BaFin-Sprecherin Anja Neukötter am Donnerstag in Bonn. Sie bestätigte damit einen Bericht der Financial Times Deutschland. Dem Konzern droht in diesem Fall eine Geldstrafe von bis zu einer Million Euro. Daimler wollte dies nicht kommentieren.


Verdächtige Geschäfte

Aufmerksam wurden die Prüfer, da bereits kurz vor Bekanntgabe des bevorstehenden Rücktritts der Aktienkurs von DaimlerChrysler gestiegen war. Nach ersten routinemäßigen Untersuchungen der Finanzaufsicht hatte sich der Verdacht auf Insiderhandel erhärtet: Die Vorermittlung, bei der die Meldungen der Banken auf verdächtige Aktiengeschäfte untersucht werden, wurde zu einer förmlichen Untersuchung ausgeweitet. In diesem zweiten Schritt müssen die Geldhäuser die Namen und Daten ihrer Kunden herausrücken. Die Aufsichtsbehörde prüft nun deren Wertpapiergeschäfte und nimmt auch Verwandte und Bekannte unter die Lupe. »Wir haben jetzt umfangreiche Auskunftsrechte gegenüber jedem, der mit der Sache zu tun haben könnte«, sagte die BaFin-Sprecherin.

Diese Rechte gelten gegenüber dem Konzern, aber auch gegenüber dem Vorsitzenden des Dachverbandes Kritische Aktionäre bei DaimlerChrysler, Jürgen Grässlin. Der Schrempp-Biograph hatte erklärt, er habe bereits am 16. Juli also zwölf Tage vor der offiziellen Bekanntgabe von Schrempps Rücktritt gewußt. Damit seien Insidergeschäften »Tür und Tor geöffnet« gewesen, sagte Grässlin. Der Schrempp-Kritiker behauptete zudem, er wisse aus sicherer Quelle, daß zwei Daimler-Manager Insidergeschäfte selbst oder über Dritte getätigt hätten. Dabei habe es sich um einen Vorstand und um eine Schrempp nahestehende Führungskraft gehandelt. DaimlerChrysler war daraufhin juristisch gegen Grässlins Behauptungen vorgegangen und hatte eine Unterlassungserklärung gefordert.

Nach dem Rücktritt Schrempps, dessen Vertrag ursprünglich bis zum Jahr 2008 lief, waren die Aktienkurse von DaimlerChrysler innerhalb kurzer Zeit um bis zu zehn Prozent gestiegen. Das erhöhte den Börsenwert des Unternehmens um vier Milliarden Euro. Die Geschäfte mit den Daimler-Aktien um diesen Zeitraum herum, beschäftigen nun die Ermittler. Denn es ist Konzernangehörigen (Insidern) verboten, Wissen, das nicht, oder noch nicht öffentlich bekannt ist, zu Spekulationszwecken zu benutzen. Hätte beispielsweise ein Manager zu diesem Zeitpunkt Aktien gekauft und sie denn auf dem Höhepunkt des Kursanstieges wieder verkauft, wäre das zwar ein lukratives Geschäft, aber strafbar. Das träfe auch zu, wenn eine dritte Person dies auf Hinweis eines Insiders getan hätte.


Option auf Reichtum

Mit Aktien kann man aber auch so gut verdienen: Unmittelbar nach Schrempps Rücktrittsankündigung hatten auch zahlreiche Spitzenmanager des Konzerns offiziell Kasse gemacht. Da in deren vertraglicher Vergütung sogenannte Aktienoptionen enthalten sind, machten sie bei dieser Gelegenheit davon Gebrauch. Nach Bekanntwerden des Schrempp-Abganges kaufte und verkaufte beispielsweise Mercedes-Chef Eckhard Cordes Aktien und realisierte einen Gewinn von 479000 Euro. Andere leitende Angestellte taten es ihm nach und besserten ihre hohen Einkünfte damit auf. Kritiker fordern seit längerem, daß die Aktienoptionen abgeschafft werden sollen. manche gehen sogar so weit zu fordern, daß kein Betriebsangehöriger mit den Aktien seines Unternehmens handeln dürfe. Diese Art der Managervergütung kommt aus den USA und hat sich inzwischen bei den Kapitalfunktionären der meisten Konzerne »eingebürgert«. Wohin diese Art der Bezahlung führt, macht ein Zeitungsbericht deutlich: So würde der zum Jahresende ausscheidende DaimlerChrysler-Chef Schrempp durch seine Aktienoptionen noch reicher werden, als er ohnehin schon ist. Ausgehend von einer Wertsteigerung der Daimler-Aktie um jährlich sechs Prozent berechnete die Wirtschaftswoche bis zum Jahr 2009 ein Zusatzeinkommen von 27,6 Millionen Euro. Verliefe der Aktienkurs besser, lägen Einnahmen von gut 101 Millionen Euro im Bereich des Möglichen. Aber immerhin hatte Schrempp ja auf eine Abfindung verzichtet.