Stuttgart, 18. September 1998
Sehr geehrte Damen und Herren,
heute steht in getrennten Hauptversammlungen die geplante Fusion von Daimler-Benz und Chrysler auf der Tagesordnung. Die Fusion bringe »Vorteile für Sie als Aktionäre, aber auch für die Kunden, und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«, so versprechen es die Vorstandsvorsitzenden Jürgen E. Schrempp und Robert J. Eaton.
Über Gefahren und Risiken der Megafusion verlieren Schrempp und Eaton bisher kaum ein Wort. Wir, die Kritischen Aktionäre, nehmen Jürgen Schrempp heute ins Kreuzverhör. Denn wer wie Schrempp »die Zukunft gewinnen« will, muß die Gefahren und Risiken der Gegenwart sehen.
Die Kritischen Aktionäre Daimler-Benz fragen nach den Gefahren und Risiken der Fusion:
1. Unternehmensgröße
Über siebzig Prozent der Fusionen verfehlen ihr Ziel. Eine Vielzahl von Fusionen sind gescheitert. Die beiden Giganten der Automobilbranche, General Motors und Ford, haben »gerade wegen ihrer Größe« Schwierigkeiten, auf aktuelle Entwicklungen schnell und richtig zu reagieren. Wirtschaftliche Vernunft läßt sich nicht an der Umsatzgröße bestimmen. Darüber hinaus ist eine wirksame Einflußnahme (»Primat der Politik«) durch den Gesetzgeber kaum mehr möglich.
2. Aktionärsdemokratie
Erst bei der ersten ordentlichen Hauptversammlung im Mai 1999 wird die DaimlerChrysler AG einen von den Aktionären gewählten Aufsichtsrat erhalten. Für eine Interimszeit von sechs Monaten soll ein gerichtlich bestellter Aufsichtsrat in der wichtigen Anfangsphase die Geschäfte des Vorstands kontrollieren. Dieses Vorgehen läuft dem gesetzgeberischen Willen zuwider und verletzt die Aktionärsdemokratie.
3. Aktienoptionen
Das Top-Management ist der eigentliche Gewinner der Fusion. Risikolose Aktienoptionen fördern die Selbstbereicherung von Schrempp, Eaton & Co. Doch wer nur auf die Börse starrt, kann die eigene Firma aus den Augen verlieren. Mit der Fusion sollen die Vorstandsgehälter der Daimler-Vorstände nach oben hin angepaßt werden.
Schon jetzt verdient Jürgen Schrempp 2,7 Millionen Mark, Robert J. Eaton bis zu 20 Millionen Mark im Jahr. Das Lohngefälle im neuen Unternehmen zwischen Top-Management und den Angestellten in der Produktion wird erheblich größer. Während der Vorstand den Beschäftigen predigt, sie sollen den »Gürtel enger schnallen«, sahnt er selbst immer mehr ab.
4. Arbeitsplätze
Nach Ansicht des baden-württembergischen IG-Metall-Bezirksleiters Gerhard Zambelli kostet die Fusion langfristig Arbeitsplätze. Gegenteilige Behauptungen des Vorstandes bezeichnet er als »Beruhigungspille für die Beschäftigten«. IG-Metall Betriebsrat Gerd Rathgeb nennt Zahlen: 100.000 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.
Die Chrysler Corporation hat mit einem Drittel der Beschäftigten den doppelten Operating Profit wie Daimler-Benz. Forderungen nach weiteren Rationalisierungsmaßnahmen und Arbeitsplatzabbau in den deutschen Werken werden deshalb nach der Fusion laut werden. Der Vorstand wird diesem Druck aus den USA nachgeben. Diese Entwicklung wird durch die globale Krise der Automobilindustrie verstärkt werden. »Die Krise kommt in den nächsten zwei Jahren. Zuerst in den USA«, so der BMW-Vorstandsvorsitzende Pischetsrieder.
5. Umweltschutz
Die Fusion bremst die ehedem unzureichenden Bemühungen um die Ökologisierung der DB-Produktpalette. Statt eine technisch machbare Halbierung des Kraftstoffverbrauchs umzusetzen, wird die Pkw-Palette um Dinosaurier-Fahrzeuge von gestern erweitert. Der ohnehin bereits hohe Flottenverbrauch der Mercedes-Pkw wird durch die Fusion mit der Chrysler Corporation weiter ansteigen. Schon heute rangiert Mercedes beim Flottenverbrauch seiner angebotenen Fahrzeuge mit 10,8 Litern auf 100 Kilometer hinter den Konkurrenzunternehmen BMW und Audi.
Diese Negativbilanz wird durch den Flottenverbrauch der Chrysler-Automobile (in Deutschland 11,9 Liter) weiter verschlechtert. In absoluten Zahlen wird der Gesamtschadstoffausstoß der DC-Fahrzeugflotte erneut steigen. Der »Viper-GTS« beispielsweise verbraucht innerorts über 33 Liter Benzin und ist damit trauriges Schlußlicht aller nach Europa importierten Pkw. Die notwendige Stärkung des Bus- und Bahnbereichs bei Evobus und Adtranz unterbleibt. Die Ökologie wird angesichts dieser ausschließlich auf Wachstum ausgerichteten Unternehmenspolitik zunehmend unter die Räder geraten.
6. Daimler-Benz Aerospace
Die Daimler-Benz Aerospace (DASA) bleibt nach der Fusion mit Chrysler der größte »deutsche« Produzent von Kriegswaffen/Rüstung mit einem Umsatz von gut fünf Milliarden DM jährlich im militärischen Bereich. Die Gefahr besteht, daß Daimler durch Kooperationen, Zukäufe oder Übernahmen auch amerikanischer Rüstungsfirmen noch mehr Geld mit dem Verkauf und Export todbringender Waffen verdienen will. Zugleich besteht die Möglichkeit, daß die DASA aus dem DaimlerChrysler-Konzern ausgegliedert wird.
Eine Konversion (Umstellung auf zivile Produkte, z.B. umweltfreundliche Zukunftstechnologien) der Rüstungsarbeitsplätze wird bei DaimlerChrysler bedauerlicherweise nach wie vor nicht angestrebt.
Haben auch Sie Bedenken gegen die Fusion von Daimler-Benz mit Chrysler? Dann können Sie uns hier während der Hauptversammlung Ihr Stimmrecht übertragen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Kritischen Aktionärinnen Daimler-Benz