Zu Artikel zu Jürgen E. Schrempp
Von C. Herz und M. Maisch
Wer wusste wann was? Die deutsche Finanzaufsicht vermutet Insidergeschäfte rund um den Rücktritt von Jürgen Schrempp. Eine Rekonstruktion zeigt: Der Kreis der Mitwisser wurde bereits Tage vor der kritischen Aufsichtsratssitzung stetig größer.
HB STUTTGART. Eigentlich müsste Jürgen Erich Schrempp an diesem Morgen des 28. Juli melancholisch zu Mute sein. Um neun Uhr versammeln sich die Kontrolleure von Daimler-Chrysler im »großen Aufsichtsratssaal« in den postmodernen Betonklötzen der Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen, um das Ende von Schrempps Karriere als Vorstandschef des Autoriesen zu besiegeln. Der 60-Jährige macht vorzeitig Platz für seinen Nachfolger Dieter Zetsche.
Für den größten Industriekonzern Deutschlands läutet der Wechsel das Ende einer Ära ein. Krise beim Miniauto Smart, Krise beim Herzstück Mercedes und Dauerkrise an der Börse: All das ficht Schrempp an diesem Morgen nicht an, er wirkt fast euphorisiert ob des Überraschungscoups. Bis zuletzt war es dem Konzern gelungen, die Spitzenpersonalie geheim zu halten: »Meine Herren, das wird einschlagen wie eine Bombe«, ruft Schrempp den Aufsichtsräten fast ausgelassen zu.
Am Abend steht auf der Kurstafel der Frankfurter Börse hinter dem Kürzel DCX ein dickes Plus von zehn Prozent. 61,5 Millionen Aktien wechseln bis Handelsschluss im elektronischen Xetra-System den Besitzer, dreimal mehr als am Vortag. Schrempp jubelt schon nachmittags: »Ein Meisterstück!« Wirklich?
Die deutsche Finanzaufsicht vermutet, dass die Börsenhausse für einige schon lange begonnen hatte, bevor der Rücktritt verkündet war: Insiderhandel. Als die Stuttgarter um 10.32 Uhr den Stabwechsel offiziell melden, ist die Rally längst im Gang. Der Verdacht der Ermittler der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): Insider nutzten ihr Wissen um Schrempps vorzeitigen Abgang für illegale Börsengeschäfte.
Der Verdacht wiegt schwer. Denn den Aufsehern liegen konkrete Indizien vor, sonst hätten sie keine formelle Untersuchung eingeleitet. Anno 2004 nahm die BaFin 300 Fälle unter die Lupe. Eine formelle Untersuchung starteten sie nur 57 Mal.
Leck beim akribisch vorbereiteten Geheimprojekt Schrempp-Rücktritt? Eine Rekonstruktion zeigt, dass der Kreis der Mitwisser bereits Tage vor der kritischen Aufsichtsratssitzung stetig größer wurde.
Mai 2005: Nach der Hauptversammlung im April, auf der Aktionäre den Rücktritt des Daimler-Chrysler-Chefs fordern, beginnen im engsten Führungszirkel die Vorbereitungen für den Rücktritt. Diskret machen sich die beiden Duzfreunde Schrempp und Aufsichtsratschef Hilmar Kopper auf den Weg nach Auburn Hills, in die Zentrale von Chrysler, um Dieter Zetsche den Job an der Daimler-Spitze anzutragen. Der Mann mit dem markanten Schnurrbart sagt Ja.
Dann ziehen Schrempp und Kopper Erich Klemm ins Vertrauen. Mit dem Chef des Gesamtbetriebsrats wollen sie den optimalen Zeitpunkt für den Wechsel festzurren. Auch Kommunikationschef Hartmut Schick weiß spätestens Anfang Juni Bescheid.
25. Juli: Drei Tage bevor Kopper und Schrempp an die Öffentlichkeit gehen, wächst der Kreis der Mitwisser rapide. An diesem Montag weiht Klemm seine Aufsichtsratskollegen von der Arbeitnehmerseite ein. Zugleich bricht in Schrempps Büro hektische Aktivität aus. Die Vorbereitungen für den Wechsel laufen an. Auch für einige unbeteiligte Daimler-Mitarbeiter lässt die Aufregung nur einen Schluss zu: »Der Chef geht.«
27. Juli: Das Präsidium des Aufsichtsrats trifft sich nachmittags in der Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen, von Schrempp einst als »bullshit castle« bespöttelt. Kopper, Klemm, Ex-Bayer-Chef Manfred Schneider und Gewerkschafter Thomas Klebe legen sich formell auf Zetsche als neuen Konzernlenker fest. Der Chrysler-Sanierer ist an diesem Abend bereits in Stuttgart. In einer Bar wartet er die entscheidenden Stunden ab. Als bis 22 Uhr alles ruhig bleibt, ist sich Zetsche sicher: Alles o.k., niemand versucht, den Wechsel in letzter Sekunde zu stoppen.
28. Juli 2005: Um neun Uhr läuft der Computerhandel an der Deutschen Börse an, gleichzeitig kommen die Daimler-Aufseher zusammen, um den Stabwechsel von Schrempp zu Zetsche abzunicken. Der Kurs der Autoaktie dümpelt bei 36,50 Euro vor sich hin. In den ersten Minuten wechseln nur kleinere Pakete den Besitzer. Das ändert sich schlagartig, als die Nachrichtenagentur DPA um 9.50 Uhr die Meldung über den Schrempp-Rücktritt über den Ticker schickt. Der Kurs beginnt rasant zu steigen. Lange schon galt Schrempp als Belastung für die DCX-Aktie.
Jeden Tag füttern die Ermittler der BaFin ihr EDV-System »Swap« mit den anonymisierten Daten aller Wertpapiergeschäfte. Doch aus den Trades am Morgen des 28. Juli dürfte der Computer im Referat WA 24 kaum Ausreißer herausgelesen haben. »Bei einem so großen Wert wie Daimler-Chrysler gehen einzelne Insidergeschäfte in der Menge einfach unter«, heißt es aus der Behörde. Woher dann der Verdacht der Ermittler? Die Aufseher haben Tipps bekommen. Einer nicht der einzige stammt vom Chef der Vereinigung kritischer Daimler-Aktionäre, Jürgen Grässlin.
Es ist ein freundlicher Tag, als sich der Mann aus Freiburg mit seiner Frau und zwei Freunden im Opel Ascona auf den Weg zu einer Hochzeit ins rheinhessische Eckelsheim macht. Unterwegs erreicht ihn ein Anruf: »Ein langjähriger Kontakt aus dem unmittelbaren Umfeld von Schrempp informierte mich über die Rücktrittspläne.«
Das Pikante daran: Die Hochzeit fand am 16. Juli statt, zwölf Tage vor der offiziellen Verkündung der Personalie. Am 30. Juli meldet sich Grässlins Kontakt erneut. Dieses Mal verrät er, dass ein Vorstand und ein Manager aus dem Führungskreis Schrempps Rücktritt für illegale Insidergeschäfte genutzt hätten. Das erzählt Grässlin auch in den Medien. Daimler schießt mit einer Unterlassungsverfügung zurück: Das sei alles falsch.
Grässlin, der wie Schrempp aus Freiburg stammt, verbindet seit Jahren eine Art Hassliebe mit dem Daimler-Chrysler-Chef. Er ist nicht nur Autor einer unautorisierten Biografie des Managers. Er malt in seiner Freizeit auch gerne Schrempp-Portraits Acryl auf Leinwand, 100 mal 80 Zentimeter.
12. August 2005: Grässlin teilt den Ermittlern in einem dreiseitigen Schreiben die Namen der beiden Verdächtigen sowie weitere Details mit. Wenige Tage später leitet die Behörde das Ermittlungsverfahren ein. Aber: Warum sollten Führungskräfte, die durch die Aktienoptionen in ihrem Bonusprogramm ohnehin von jedem Kursanstieg profitieren, das Risiko von Insidergeschäften eingehen?
16. August 2005: Die BaFin-Maschinerie läuft an. Von Daimler fordern die Ermittler eine Liste aller Personen, die vom vorzeitigen Chefwechsel wussten. Gleichzeitig verschicken die Ermittler Serienbriefe an Banken. Die müssen nun Konten offen legen und Infos über verdächtige Transaktionen liefern. Theoretisch würde es reichen, beide Listen miteinander zu vergleichen. Doch jeder intelligente Insiderhandel-Täter würde illegale Kaufaufträge über Dritte abwickeln. So gleicht die Fahndung der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Für den Konzern könnte der größte Ärger ohnehin von ganz anderer Seite drohen. Denn die Finanzaufseher wollen auch wissen, warum die Firma die Quartalszahlen schon um 9.59 Uhr meldete, den Schrempp-Rücktritt aber erst um 10.32 Uhr. Sollte der Konzern die Nachricht nicht wie vom Gesetz gefordert »unverzüglich« veröffentlicht haben, dürfte die BaFin ein Bußgeld von bis zu 200 000 Euro verhängen.
Das sind Peanuts für einen Milliardenkonzern. Aber Anleger, die vor Veröffentlichung der Pflichtmitteilung ihre Aktien »zu billig« verkauft hätten, könnten Schadensersatz fordern. Die ersten Anlegeranwälte wittern bereits millionenschwere Entschädigungen.