[Fotos] Streit um das Sturmgewehr G36: Die Bundeswehr will ihr Standardgewehr wegen angeblich mangelnder Treffsicherheit ausmustern, der Hersteller bestreitet dies. Foto: imago/Stefan Zeitz
Nordhorn/Oberndorf. Der Waffenhersteller Heckler&Koch (H&K) macht nicht erst seit der Affäre um das Bundeswehr-Gewehr G36 von sich reden. Das Unternehmen ist in Bedrängnis. Sein aus Nordhorn stammender Mehrheitseigner Andreas Heeschen hat deshalb in der Geschäftsführung das Ruder übernommen.
Er ist einer der Größten seiner Branche, doch kaum jemand in seiner Herkunftsregion kennt ihn: »Nie gehört«, antwortet Jens Lübbers auf die Frage, ob ihm der Name Andreas Heeschen etwas sage. Der Büchsenmacher führt in Itterbeck in der Grafschaft Bentheim ein Jagdwaffengeschäft. 20 Kilometer entfernt liegt die Stadt Nordhorn. Dort wurde Heeschen, Mehrheitseigner des Waffenherstellers Heckler&Koch, im Jahr 1960 als Sohn eines Erdölunternehmers geboren.
Andreas Heeschen? Fehlanzeige auch bei Waffen Potthoff in Meppen im Emsland und Waffen Schmidt in Fürstenau im Landkreis Osnabrück: Der Mann ist Waffenhändlern in der Region kein Begriff. Heckler&Koch schon. Das baden-württembergische Unternehmen, das Heeschen zu 51 Prozent gehört, produziert Jagdgewehre und bei Sportschützen beliebte Pistolen.
Bei Rüstungsgegnern berüchtigt
Unter Waffen-Fans berühmt und bei Rüstungsgegnern berüchtigt ist H&K aber für seine Sturm- und Maschinengewehre, die Armeen und Polizeieinheiten vieler Länder einsetzen. Und für die Vorwürfe, es exportiere seine tödliche Ware auch dorthin, wo sie gar nicht sein dürfe. In mexikanische Unruhegebiete etwa, für die es keine deutschen Exportgenehmigungen gibt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat deshalb Anfang November Anklage gegen sechs frühere H&K-Mitarbeiter erhoben. Gegen Heeschen, der mitteilen ließ, sein Unternehmen habe die Aufklärung des Falls mithilfe von Wirtschaftsprüfern unterstützt, aber nicht.
Dass in Nordhorn und Umgebung kaum jemand von Heeschens lokaler Herkunft weiß, mag daran liegen, dass er seine Kindheit teils in Libyen, Nigeria und Großbritannien verbrachte und auf das bayerische Internat Schloss Neubeuren ging. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass Heeschen, der heute in London lebt, die Öffentlichkeit meidet, so gut er kann.
»Heeschen ist kein Waffenhändler, sondern Finanzinvestor«
Denn Waffen-Unternehmer haben viele Gegner. Einer der prominentesten ist der Friedensaktivist, Buchautor und Realschullehrer Jürgen Grässlin, der Mitte November an einer Podiumsdiskussion im Osnabrücker Rathaus teilnahm. In seinem »Schwarzbuch Waffenhandel« widmet er H&K ganze 120 Seiten. Heeschen bezeichnet er in seinem »Täterprofil« als »Manager der Mortalität«. Dabei sei der Mann eigentlich gar nicht vom Fach und bei Heckler& Koch 2002 wohl nur eingestiegen, weil die Firma günstig zu haben gewesen sei. »Andreas Heeschen ist kein Waffenhändler, sondern Finanzinvestor«, sagt Grässlin. »Aber das Morden nimmt er offensichtlich billigend in Kauf.«
Tests in Meppen brachten Mängel des G36 ans Licht
Grässlin geht gegen H&K auch auf die Straße und vor Gericht. Mittlerweile vier Strafanzeigen hat der frühere Grünen-Politiker aus Freiburg eingereicht, eine davon ausdrücklich auch gegen Heeschen. Er wirft ihm vor, beim Verkauf von 180000 Gewehren des Typs G36 an die Bundeswehr Qualitätsmängel vertuscht zu haben.
Einsatzerfahrungen von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan und Untersuchungen der Wehrtechnischen Dienststelle 91 für Waffen und Munition in Meppen brachten Mängel am G36 ans Licht.
»Man fährt eben kein Formel-1-Rennen mit einem Golf«
Demnach verliert das Standardgewehr der Bundeswehr unter großer Hitzeeinwirkung seine Treffgenauigkeit. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat auf Grundlage eines Prüfgutachtens angekündigt, das G36 auszumustern. H&K will nun per Feststellungsklage beim Landgericht Koblenz nachweisen, dass das Gewehr keine Mängel habe. Im »Spiegel« verglich Heeschen das G36 kürzlich mit dem VW Golf. »Da behaupten Sie doch auch nicht, der ist schlechter als ein Ferrari oder ein Formel-1-Wagen, oder? Man fährt eben kein Formel-1-Rennen mit einem Golf«, zitiert das Magazin den Manager.
60 Millionen Euro aus eigener Tasche
Die Geschäfte liefen schon mal besser, H&K braucht offenbar Geld: Mit 60 Millionen Euro aus eigener Tasche will Heeschen sein Unternehmen wieder auf Kurs bringen. Das Unternehmen leidet unter seiner schlechten Bewertung am Finanzmarkt. Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte ihm zuletzt die Note »CCC« gegeben und einen negativen Ausblick attestiert.
Nach der Finanzspritze soll die Nettoverschuldung noch bei etwa 200 Millionen Euro liegen. Die geringere Schuldenlast sei ein Signal an Firmen, dass Heckler& Koch ein zuverlässiger Partner sei, erklärte Heeschen Mitte November. »Wir sind ein Mittelständler mit Spitzentechnologie – das ganz schlechte ‚CCC'-Rating ist da völlig unangemessen«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Auch mit anderen Investments wenig Glück
Für Jürgen Grässlin, der das Unternehmen seit mehr als 30 Jahren beobachtet, sind die 60 Millionen Euro aus Heeschens Vermögen ein Indiz dafür, dass es nicht gut steht um H&K. Schon mit früheren Projekten hatte der des ehemalige Investmentbanker Heeschen wenig Glück. Den Waschmittelproduzenten Luhns und den Gartengerätehersteller Wolf verkaufte er nach der Finanzkrise 2008/2009 mit Verlust. Wolf meldete später Insolvenz an. Beim Petrochemie-Konzern LyondellBasell wurde seine Beteiligung verwässert. und er stieg 2010 wieder aus. »Heckler&Koch könnte für Heeschen der letzte Rettungsanker sein«, sagt Grässlin.
Gewinn brach um 64 Prozent ein
Das Unternehmen machte 2013 noch einen Umsatz von 221 Millionen Euro, ein Jahr später sanken die Erlöse um 30 Prozent auf 155 Millionen Euro. Der operative Gewinn brach um 64 Prozent auf 22 Millionen Euro ein. Vor allem die strikter gewordene Exportkontrolle des Bundeswirtschaftsministeriums machte H&K zu schaffen, es verweigerte eine Ausfuhrlizenz für G-36-Teile nach Saudi-Arabien. Dort soll das Gewehr in Lizenz produziert werden.
Heeschen kämpft um den Ruf seines Unternehmens
Andreas Heeschen steht unter Druck. Er kämpft um den Ruf seines Unternehmens. Die Waffenschmiede in Oberndorf am Neckar gehört ihm nicht nur, er hat im Februar auch die Geschäftsführung übernommen. Bei Gewehr- und Pistolenfreunden weltweit genoss Heckler&Koch stets ein glänzendes Image. Die Negativschlagzeilen über H&K-Waffen in Mexiko, Libyen und Georgien, dann die Querelen um das G36 schaden der Marke. Das könnte der Grund dafür sein, dass der als scheu geltende Heeschen nun die Öffentlichkeit sucht und mit Journalisten spricht.
Helfen könnte seiner Einschätzung nach die wieder schärfer werdende Sicherheits- und Rüstungspolitik der Nato. Bei der französischen Armee etwa steht die Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs an. Auch bei der Ausschreibung für den Nachfolger des G36 dürfte das Unternehmen mit einem anderen Modell wieder ins Rennen gehen.
Ex-Thyssenkrupp-Manager soll Geschäftsführung übernehmen
Seit Heeschen Heckler&Koch auch operativ leitet, ist er oft in Oberndorf. Den Vorsitz der Geschäftsführung dauerhaft behalten will der Finanzinvestor aber nicht. Der im Juni eingestellte frühere Rheinmetall- und Thyssenkrupp-Manager Nicola Marinelli soll ihn in Bälde ablösen. Heeschen wolle sich dann »vornehmlich um strategische Fragen kümmern«, heißt es in einer H&K-Mitteilung. (mit dpa)
Ein Artikel von Christian Schaudwet
Von regional bis global - Christian Schaudwet schreibt über Wirtschaftsthemen und koordiniert die NOZ-Wirtschaftszeitung »Die Wirtschaft«. Er war Zentral- und Osteuropakorrespondent des Magazins WirtschaftsWoche und sammelte in Berlin Erfahrungen in Politikberatung und Öffentlichkeitsarbeit.