Zeitungsbericht »Viel Leid, aber auch viel Unwissen.
BZ-Interview mit Sabine Wölfle, Wolfram Wette und Jürgen Grässlin
über ihr Engagement gegen deutsche Rüstungsexporte«
in Badische Zeitung vom 15.12.2010



Viel Leid, aber auch viel Unwissen

BZ-INTERVIEW mit Sabine Wölfle, Wolfram Wette und Jürgen Grässlin über ihr Engagement gegen deutsche Rüstungsexporte.

Juergen Graesslin, Sabine Woelfle und Wolfram Wette
Jürgen Grässlin, Sabine Wölfle und Wolfram Wette engagieren sich weiter gegen Rüstungsexporte. Foto: Rebekka Sommer

WALDKIRCH. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur weltweit. Anfang 2009 übergaben Mitglieder des SPD-Ortsvereins zusammen mit dem Bundessprecher der deutschen Friedensgesellschaft, Jürgen Grässlin, die bundesweit 14 500-mal unterzeichnete »Waldkircher Erklärung« an Staatsminister Gernot Erler (SPD) und forderten mehr Transparenz und einen weitgehenden Rüstungsexportstopp. Seitdem hat sich die Zahl der Rüstungsexporte verdoppelt. BZ-Mitarbeiterin Rebekka Sommer hat mit den Initiatoren der »Waldkircher Erklärung« – Jürgen Grässlin vom Rüstungsinformationsbüro Freiburg, Wolfram Wette (SPD) und Sabine Wölfle (SPD) gesprochen.

BZ: Am 2. Dezember fand in Waldkirch eine Aufklärungsveranstaltung zu den deutschen Rüstungsexporten statt. War das der Auftakt für eine neue Initiative?

Jürgen Grässlin: Nein, es war eher eine Zwischenbilanz. Im März werden wir mit der Kampagne »Aktion Aufschrei« beginnen, bei der uns Hayrettin Altun, ein kurdischer Lehrer und Gewerkschaftler, den ich auf meinen Reisen kennengelernt habe, durch Deutschland begleitet. Die türkische Armee hat sein Heimatdorf mit G3-Gewehren und Granatwaffen zerstört, die von der Oberndorfer Firma »Heckler & Koch« hergestellt wurden. Wenn Hayrettin sich auf den Marktplatz stellt und fragt, wer Gewalt durch deutsche Waffen miterlebt hat, ist er sofort von Zeugen umringt. Allein in der Türkei habe ich 220 Opfer deutscher Waffen ausfindig gemacht – das war nicht schwer.

BZ: Sie haben die Friedensdemonstrationen 1984 im Bonner Hofgarten aktiv miterlebt. Seither hat sich die Friedensbewegung scheinbar verändert, solche Massenbewegungen gibt es nicht mehr. Wollen Sie die Leute wieder auf die Straße bringen oder hat die Friedensarbeit eine andere Qualität bekommen?

Jürgen Grässlin: Eine Veränderung gibt es definitiv. Wir haben heute weniger Proteste, dafür aber hochqualifizierte Akteure in unseren Reihen, die sich direkt an die Politiker und die Rüstungshersteller wenden. Zu dieser neuen Qualität gehört es auch, dass wir die Opfer nach Deutschland holen, damit sie den Menschen von ihren Schicksalen erzählen.

BZ: Die Friedensarbeit soll wieder emotionaler werden?

Prof. Wolfram Wette: Es wäre ein unrealistisches Ziel, damit Hunderttausende auf die Straße zu kriegen. Dafür ist die Bedrohung zu weit entfernt. Unser Ziel ist es, dass politische Entscheidungen wieder vor einem moralischen Hintergrund, und nicht aus ökonomischen Interessen heraus getroffen werden.

Sabine Wölfle: Aber wir müssen auch den Menschen vermitteln, dass es hier nicht um ein normales Wirtschaftsgut geht: Mit deutschen Waffen werden Menschen getötet. Auf der Straße stoßen wir oft auf Ablehnung und Unwissen.

BZ: Ein Beispiel für Ablehnung ist das Argument »Wenn wir keine Waffen liefern, tun es die Anderen«.

Grässlin: Als der Bundessicherheitsrat 2001 nach der Ermordung des nepalesischen Königs durch seinen Sohn Dipendra eine von Heckler & Koch intendierte Lieferung von 65 000 G36E-Gewehren in das Bürgerkriegsland stoppte, verkaufte kein anderes Land die gewünschten Waffen nach Nepal.

Wölfle: Was im Bundestag besprochen wird, ist vielen Bürgern unbekannt. Bei den Haushaltsberatungen im November forderte das CDU/CSU-Mitglied Klaus-Peter Willsch, im Zuge der Bundeswehrverkleinerung für unsere »hervorragende Wehrindustrie« Wege zu finden, »ihre Produkte in der ganzen Welt abzusetzen«.

Wette: Das Argument der vergleichsweise wenigen gefährdeten Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie könnte durch eine Verlagerung auf neue Technologien entkräftet werden, zumal sie nur einen minimalen Teil der Gesamtwirtschaft ausmacht und stark subventioniert wird.

Grässlin: Ich habe ausgerechnet, dass seit der Firmengründung auf jeden Arbeitsplatz bei Heckler & Koch 30 Tote durch deren Waffen kommen. Mit welchem Argument will man diese Arbeitsplätze rechtfertigen?

Wette: Unwissen besteht auch unter Politikern. Dass der Bundessicherheitsrat alles hinter verschlossenen Türen regelt, hat etwas von der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts. Wir müssen die Parlamentskontrolle zurückholen.

BZ: Herr Grässlin, Sie setzen sich seit 27 Jahren gegen Waffentransfers ein und haben trotz gewonnener Prozesse durch mehrere Klagen des Rüstungskonzerns Daimler mehrere Zehntausend Euro verloren. In dem Film »Allein gegen die Waffenindustrie« (WRD, 2009) sagen Sie, dass Sie ein glücklicher Mensch seien und Ihnen das helfe, diesen zähen Kampf zu ertragen. Kann man das auf die Gruppe der Waldkircher Rüstungsgegner übertragen? Gibt es unter Ihnen einen besonderen Zusammenhalt?

Grässlin: Zunächst – ein glücklicher Mensch bin ich auch deshalb, weil ich als Mitglied einer Wohlstandsgesellschaft nur marginale Sorgen habe. Wenn ich nach Somalia reise, treffe ich Menschen, die bei einer zweiten Reise schon nicht mehr da sein könnten.

Wölfle: Dass die Erklärung ausgerechnet in Waldkirch formuliert wurde, erklärt sich durch die Nähe zum Freiburger Rüstungsinformationsbüro...

Wette: … und durch die lange, friedensbewegte Tradition der Waldkircher SPD, die sich von der Bundes-SPD abhebt. Willi Brandt konnte von Waffen als »Teufelszeug« sprechen, weil das Parteimeinung war – das möchten wir revitalisieren.

»Aktion Aufschrei«

Zusammen mit den »Überschusswaffen« des Kalten Krieges führen Rüstungsexporte zu einer weltweiten Anhäufung von Waffen und Munition. Deutsche Exporte gehen an EU-Länder oder NATO-Partner, durch unkontrollierte Handelswege des globalen Waffenmarkts gelangen sie auch in Konfliktgebiete.

Kriegswaffen- und Außenwirtschaftsgesetz ermöglichen eine restriktive Genehmigungspraxis für die BRD, gleichzeitig lassen die »Politischen Grundsätze für den Rüstungsexport« aber größeren Spielraum. Rüstungsexportberichte geben nur begrenzt Auskunft über Kleinwaffen oder »Dual-Use-Güter«, die sowohl für militärische als auch zivile Zwecke genutzt werden können. Wer sich für die Aktion »Aufschrei« interessiert, kann sich über info@aktion-aufschrei.de in den Mailverteiler aufnehmen lassen. Weitere Informationen auf http://www.rib-ev.de oder http://www.juergengraesslin.com

http://www.badische-zeitung.de/viel-leid-aber-auch-viel-unwissen