Der DaimlerChrysler-Konzern tut sich zunehmend schwer mit öffentlicher Kritik an seiner Unternehmenspolitik. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man das rigide juristische Vorgehen gegen den Konzernkritiker Jürgen Grässlin betrachtet. Dieser ist einer von fünf Sprechern der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) und Autor mehrerer Bücher über den Auto- und Rüstungsgiganten.
Die Auseinandersetzungen lassen sich bis auf das Jahr 1991 zurückverfolgen, als Grässlin mit Friedensfreunden die Kritischen Daimler-Benz-Aktionäre gründete. Seither prallen die Ansichten vor allem bei den Hauptversammlungen des Konzerns hart aufeinander. Seit eineinhalb Jahrzehnten konfrontieren die Kritischen AktionärInnen den Daimler-Vorstand mit Menschenrechtsverletzungen durch Waffengeschäfte bei der Daimler-Benz Aerospace bzw. der DaimlerChrysler Aerospace (Dasa), die mittlerweile in die European Aeronautics Defence and Space Company (EADS) übergegangen ist. Bis heute ist der Daimler-Konzern mit Abstand Deutschlands größter Rüstungsproduzent und -exporteur. Grässlin war zudem einer der Mitinitiatoren der beim RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und den Kritischen Daimler-Aktionären angesiedelten Kampagne gegen die Dasa-Landminen, mit der beispielsweise die Produktion der Panzerabwehrrichtmine 2 (PARM 2) verhindert werden konnte. Bis heute ist Daimler über Firmenbeteiligungen weiterhin an der Fertigung des Eurofighters, an Atomwaffenträgern und Streumunition beteiligt. Grund genug für Grässlin und seine Mitstreiter, im April 2007 die Aktion »Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!« ins Leben zu rufen. (Siehe dazu vorstehenden Artikel in diesem Heft.) Warum aber hat sich der Daimler-Vorstand gerade Grässlin aus dem Kreis der Konzernkritiker herausgepickt? Die Antwort liegt wohl in seiner unentwegten schriftstellerischen Tätigkeit. In seinem Werk »Daimler-Benz. Der Konzern und seine Republik« zeigte er 1994 Waffenexportskandale und die Verwicklung von Politikern in Daimler-Rüstungsgeschäfte auf. Nach seiner Biografie »Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne« brach der damalige Daimler-Chef jegliche Gespräche mit dem Autor ab. Anlass heftiger Auseinandersetzungen war sein im Herbst 2005 erschienenes Buch »Das Daimler-Desaster«, in dem Grässlin u.a. über automobile Graumarktgeschäfte in der Ära des Daimler-Vertriebsvorstands Dieter Zetsche und das »Ethik-Desaster« im Rüstungsbereich beleuchtete. Kein Autor der Republik hat sich über die Jahre hinweg intensiver mit den Machenschaften der Daimler-Konzernspitze auseinandergesetzt und damit mehr Unmut auf sich gezogen. Grässlin legt den Finger in die Wunde und ist damit so etwas wie der Lieblingsfeind des Konzernvorstands geworden, der Spiegel titulierte ihn gar als »Daimlers schärfster Widergänger«. Seit Erscheinen des »Daimler-Desasters« schießt die Unternehmensspitze scharf. Nachdem die Publikation des konzernkritischen Desaster-Buches nicht verhindert werden konnte, verklagen Jürgen Schrempp und DaimlerChrysler den Freiburger Autor auf Unterlassung seiner Mutmaßungen über die Rücktrittsgründe des früheren Konzernchefs. Grässlin hatte seine Schrempp-Kritik bei einem TV-Interview in Worte wie »Ich glaube dass.« gefasst, was das Landgericht Köln dazu veranlasste, Daimlers Klageansinnen mit dem Verweis auf die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit abzulehnen. Erst die berüchtigte Pressekammer des Hamburger Landgerichts nahm die Klage an und verurteilte den Freiburger Friedensaktivisten in erster Instanz zur weiteren Unterlassung. Zeitgleich klagt auch der amtierte Daimler-Chef und frühere Vertriebsvorstand Dieter Zetsche auf Unterlassung von Grässlins Vorwürfen bezüglich Zetsches Zeugenaussage in einem früheren Gerichtsverfahren zu Graumarktgeschäften. Das Landgericht Berlin gab Zetsche und dem Konzern Recht. In rekordverdächtigen 13 Minuten wurde Grässlin in der Hauptsacheverhandlung ohne Anhörung auch nur einer der von ihm benannten neun Zeugen zum Schweigen verurteilt. Im Gegenzug erstattete der Autor Anzeige gegen Zetsche und weitere Mercedes-Manager und Mercedes-Händler vor dem Landgericht Stuttgart. Dieses lehnte die Strafanzeige gegen Zetsche erst einmal ab, ermittelt aber gegen die anderen vier Angezeigten. Zetsche forderte von Grässlin als Schmerzensgeld »freiwillig eine immaterielle Geldentschädigung in Höhe von 50.000,00 Euro zu zahlen«. Sollte dies nicht geschehen, »werden wir gerichtliche Schritte einleiten«. Der Autor konterte kühl: »Ich schlage die Gründung eines Schmerzensgeldfonds vor, wohlgemerkt für die Opfer von Daimler-Rüstungsexporten!« Auch wenn die Ermittlungen gegen Dieter Zetsche wegen des Verdachts einer uneidlichen Falschaussage bislang nicht aufgenommen wurden, befasst sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft offenbar ernsthaft mit dem Verdacht einer falschen eidesstattlichen Versicherung von Zetsche gegen Grässlin im besagten Berliner Verfahren, was sich noch als äußerst folgenschwer für den Daimler-Chef erweisen könnte. Warum aber inszeniert DaimlerChrysler diese Klageflut gegen den Freiburger Autor und Aktionärssprecher? »Der Konzern will mich mundtot machen«, erklärt Grässlin auf Nachfrage, »und das regelt man am besten über die finanzielle Schiene. Bisher haben mich persönlich die Prozesse knapp 40.000 Euro gekostet. Wenn ich im Schrempp-Verfahren wie geplant bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehe, steht nochmals eine vergleichbare Summe an.« Dabei geht es mehr als zwei Aussagen Grässlins zum Schrempp-Rücktritt. Der Journalist Hermanus Pfeiffer kommentierte das Verfahren in der Hansestadt wie folgt: »In Hamburg streitet der frühere DaimlerChrysler-Herrscher Jürgen Schrempp mit dem Autor von ,Das Daimler-Desaster'. Aber eigentlich steht die Meinungsfreiheit vor Gericht.« Denn wenn in Deutschland ein Aktionär, Schriftsteller oder Journalist zukünftig nicht mehr mutmaßen darf, aus welchen Gründen ein Konzernschef nach katastrophaler Geschäftspolitik vorzeitig zurücktritt, »dann leben wir in einer anderen Republik« - kommentiert Grässlin Rechtsanwalt Holger Rothbauer aus Tübingen. Die Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler haben einen Unterstützerkreis gegründet und einen Finanzfonds für diese und weitere Klageverfahren des Konzerns eingerichtet. Sie bitten dringend um finanzielle Unterstützung in den Gerichtsverfahren! Siehe hierzu http://www.juergengraesslin.com. Martin Singe arbeitet beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln und ist Redakteur des FriedensForums.