Von Jürgen Grässlin
Im November 2019 sorgte eine Meldung des UN-Flüchtlingshilfswerks für Aufsehen. So verkündete das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR): »Wir gehen davon aus, dass vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben als im Mittelmeer selbst«, sagte Vincent Cochetel, der UNHCR-Sondergesandte für das Mittelmeer und Libyen.
Dabei sei diese Aussage eher niedrig angesetzt, denn angesichts der schwer ermittelbaren Datenbasis könne die Zahl der Todesopfer auf den Flüchtlingsrouten in Afrika realiter »auch viel höher« sein, so Cochetel. Niemand könne die Anzahl der bislang Gestorbenen »mit Sicherheit sagen, aber es ist eine Tragödie«.
Der weite Weg nach Europa, je nach Herkunftsland durch Regionen von Halbwüsten und Wüsten der Sahara nach Norden führend, hat sich für Abertausende Geflüchteter zu einer Überlebensfrage entwickelt. Denn längst beginnt die Abschottungspolitik der Maghrebstaaten im Norden Afrikas – unterstützt von der Europäischen Union (EU) – nicht erst an den Küsten des Mittelmeers, sondern an den Südgrenzen der vier großen Maghrebstaaten Marokko, Algerien, Libyen und Ägypten.
Noch existiert kein durchgehendes Grenzsicherungssystem quer durch den Maghreb. Doch die Abschottung Europas in Afrika wird von Jahr zu Jahr perfider und perfekter. Dabei sind die Methoden, Flüchtlinge abzufangen, in den verschieden, teils verfeindeten Ländern, höchst unterschiedlich.
Wo noch keine festen Grenzsicherungsanlagen errichtet sind, werden zuweil andere drastische Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr ergriffen. So setzten algerische Beamte in den letzten Monaten des Jahres 2018 Tausende von Menschen in der Wüste aus. In mehreren Massenabschiebungen schickten staatliche Sicherheitskräfte auch Frauen und Kinder zwangsweise auf einen Gewaltmarsch an der Grenze zum Niger, teilweise bei Temperaturen deutlich über 40 Grad Celsius. Dies berichtet der Journalist Sofian Philip Naceur. Um in Niger anzukommen, mussten die Ausgesetzten »bei sengender Hitze einen Gewaltmarsch durch die Nordsahara absolvieren«. Hintergrund der brutalen Massenabschiebung ist die Tatsache, dass Algerien seit Mitte 2017 »sein Vorgehen gegenüber afrikanischen Migranten und Flüchtlingen in beispielloser Manier verschärft und dabei abgewiesene Asylwerber in die beiden südlichen Nachbarländer Niger und Mali ausgewiesen« hat.[#1]
Derlei Vorgehen hat Methode. Bereits im Sommer 2018 dokumentierten Menschenrechtler das inhumane Vorgehen staatlicher Sicherheitskräfte Algeriens. Damals waren rund 13.000 Migranten in der Sahara ausgesetzt worden. Flüchtlinge litten bei Temperaturen von 48 Grad Celsius Durst und Hunger. Einzelne Überlebende berichteten später von grauenhaften Zuständen. Schwangere hätten ihre Babys verloren, die Körper toter Frauen hätten herumgelegen, andere Migranten seien in der Wüste vermisst, unzählige Menschen gestorben.[#2]
Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch bestätigte die Deportationen Tausender Männer, Frauen und Kinder. Bereits im Januar 2018 begannen die Abschiebungen in die Sahara-Staaten Mali und Niger unter unmenschlichen Bedingungen – ungeachtet des z.T. legalen Status zahlreicher Flüchtlinge.[#3]
Algerien ist ein enger Verbündeter der Bundesrepublik Deutschland und zuweilen Hauptempfängerland deutscher Kriegswaffen und Rüstungsgüter im Maghreb. In den alljährlichen Rüstungsexportberichten der Bundesregierung rangierte Algerien zeitweise gar die Nummer 1 aller Empfängerländer der hiesigen Rüstungsindustrie.
Ungeachtet der schweren Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland wurde über Jahre hinweg alles geliefert, was das Herz der Militärs der algerischen Regierung Bouteflika forderte: u.a. Fregatten für die Flüchtlingsabwehr auf dem Mittelmeer, ein Produktionswerk für Spürpanzer Fuchs sowie vielfach Militärfahrzeuge für die Verriegelung des Landwegs gegen Geflüchtete.
Denjenigen Menschen, denen es gelingt die afrikanische Mittelmeerküste erreichen und die auf unsicheren Schiffen die Überfahrt nach Europa wagen, droht das Kentern der völlig überfüllten Boote. Längst ist das Mittelmeer zum tödlichsten maritimen Sarg der Welt verkommen.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) registrierte im Zeitraum von 2014 bis Ende Oktober 2019 summa summarum 19.005 Todesopfer im Mittelmeer. Dank besserer Quellen sei die Anzahl der im Mittelmeerraum ums Leben Gekommenen relativ klar erfassbar.[#4]
Wer Überlebte, landete vielfach in den Fängen der EU-Grenzschutzbehörde FRONTEX, die entscheidend zur Perfektionierung der Festung Europa auf dem Seeweg beiträgt. Schon der allererste Einsatz von FRONTEX-Grenzschützern trug zur Flüchtlingsabwehr bei. Mit der Operation HERA wurden Kriegsschiffe um Abfangen von Flüchtlingsbooten in Hoheitsgewässern des Senegal und von Mauretanien eingesetzt.
Innerhalb kürzester Zeit hat sich FRONTEX »zum Dreh- und Angelpunkt für das europäische Krisenmanagement bei der Flüchtlingsabwehr entwickelt«, analysiert die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) in ihrer lesenswerten Broschüre GEGEN RÜSTUNGSEXPORT UND MIGRATIONSABWEHR. Laut EAK-Studie stieg »die Zahl abgeschobener Geflüchteter durch Rückführungsoperationen zwischen 2008 und 2017 von 8000 auf 14.200«. Mehr noch: Allein im Jahr 2016 wurden 370.000 Menschen abgefangen und umgeleitet.[#5]
Im November 2019 zelebrierten Millionen Menschen in Deutschland und in der Europaischen Union die Dreißig-Jahr-Feiern zum Fall der Berliner Mauer. Beschworen wurde allseits die friedliche Revolution, maßgeblich ausgehend von der kirchlich geprägten Friedensbewegung in der damaligen DDR.
Gelernt aber hat Europa nichts Gutes aus dem Einreißen der deutsch-deutschen Grenzmauer. Längst setzen Großkonzerne in der Europäischen Union die Errichtung neuer High-Tech-Grenzsicherungsanlagen um. Allen voran profitieren die Rüstungskonzerne Airbus S.A.S., Leonardo S.p.A. und der Thales Group »von millionenschweren Aufträgen, die auch von der EU und ihren Mitgliedstaaten vergeben werden«. So das Ergebnis der Studie »The Business of Building Walls« des globalisierungskritischen Netzwerk Transnational Institute, des spanischen Friedensforschungsinstituts Centre Delàs und der niederländischen Kampagne gegen Waffenhandel (Stop Wapenhandel).[#6]
Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete und Abschottungsmaßnahmen sind ein äußerst lukratives Geschäft für rüstungsproduzierende Unternehmen der industrialisierten Welt. Weltweit betrachtet liefern Rüstungskonzerne vielfach Kriegswaffen an menschenrechtsverletzende oder kriegführende Staaten in Afrika, Asien oder Amerika – wohlgemerkt mit Genehmigung der jeweiligen Regierung.
Neben den klassischen Großwaffensystemen wird auch Abschottungstechnologie exportiert. Denn für perfekte Überwachungssysteme benötigen Militärs u.a. Biometrie (Messung an Lebewesen, z.B. zur Gesichtserkennung), IKT (Informations- und Kommunikationstechnik), bemannte Fahrzeuge, Boden- und Seesysteme, Schiffe, Luftsysteme wie Helikopter, unbemannte Flugzeuge (meist Überwachungsdrohnen) und Militärsatelliten, zudem physische Infrastruktur, Support und andere Dienstleistungen. Mittels dieser Techniken werden unzählige Menschen bedroht und beschossen, aus ihrer Heimat vertrieben, an Grenzen überwacht und abgefangen. Baufirmen profitieren von der Abschottung, z.B. der USA ins südlich gelegene Mexiko.
Direkt an den Grenzsicherungsanlagen kommen vielfach Kleinwaffen (Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehre) bei staatlichen Sicherheitskräften, wie der Border Patrol, gegen Migrant*innen zum Einsatz. Militärfahrzeuge dienen u.a. dem Materialtransport an die Grenzen und dem Abtransport von Geflüchteten.
Besonders zynisch ist die Tatsache, dass verschiedene Konzerne in aller Welt sogar in doppeltem Sinne vom Geschäft mit dem Tod profitieren: Genau sie sind es, die einerseits Waffen und technisches Know-How an Scheindemokraten, Repressoren und Diktatoren exportieren und somit Konflikte verschärfen. Und die andererseits Rüstungsgüter, Überwachungselektronik oder Drohnen- bzw. Satellitentechnik liefern, mit denen Grenzen abgeschottet und Menschen an der Flucht in ein sicheres Nachbarland gehindert werden.
Firmenbeispiele siehe INFOKASTEN 1 »Liste ausgewählter Unternehmen, die von der Abschottung profitieren«.
INFOKASTEN
Die Unternehmensliste lässt sich in vier Rubriken unterteilen:
Großwaffensysteme und Abschottungstechnologie
• Airbus Group SE • BAE Systems Plc • Elbit Systems • Leonardo SpA • FLIR Systems Inc. • General Atomics • General Dynamics Corporation • Harris Corporation • Hensoldt Holding • Israel Aerospace Industries (IAI) • L-3 Technologies Inc. • Leidos Holdings Inc. • Lockheed Martin Corporation • Northrop Grumman Corporation • QinetiQ Group • Raytheon (The Raytheon Company) • Rheinmetall AG • Rockwell Collins Inc. • Saab AB • Safran SA • Smiths Group • Textron Inc. • Thales Group etc.
Kleinwaffen
• Beretta Holding • Colt Defence LLC • Fabrique Nationale Herstal • Jisrael Galili • Konzern Kalaschnikow (Ischmasch) • Heckler & Koch AG • SIG Sauer Group etc.
Militärfahrzeuge
• zahlreiche Hersteller militärischer Fahrzeuge, u.a. Mercedes-Benz Military (Daimler AG).
Bauunternehmen
• zahlreiche Bauunternehmen, u.a. Fisher Sand & Gravel Company.
Mit FALL 06 haben wir uns beim GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) die Aufgabe gestellt an ausgewählten Fallbeispielen zu dokumentieren, wie Konzerne in aller Welt von Waffenlieferungen und vom Geschäft mit der Abschottung profitieren. Pars pro toto zeigen wir, was sich an folgenden Grenzen in aller Welt ereignet:
zwischen den USA und Mexiko,
rund um Israel und gegen Palästina,
rund um Saudi-Arabien,
weitere Beispiele tödlicher Abschottung sollen folgen, z.B. die Grenzsicherungssysteme – unterstützt von der Europäischen Union (EU) – im Norden Afrikas (Maghreb) und die Grenze zwischen Indien und Pakistan).
Mit diesem sechsten Fall geben wir den Opfern eine Stimme und den Verantwortlichen in Täterprofilen Name und Gesicht. Und wir erstellen Firmenprofile, um die beteiligten Unternehmen als das zu entlarven, was sie sind: als rein profitorientierte skrupellos agierende Rüstungs- und Baukonzerne.
Die Publikation von FALL 06 erfolgt im März 2020 in Englisch, Spanisch, Deutsch und weiteren Sprachen auf der Website www.gn-stat.org.
Der Verlauf der US-amerikanischen-mexikanischen Grenze erstreckt sich gegenwärtig quer über den Kontinent über 3185 km vom Pazifischen Ozean im Westen bis zum Golf von Mexiko im Osten, beginnend zwischen der mexikanischen Stadt Tijuana und dem Imperial Beach in Kalifornien. Große Wüsten, unwegsame Bergregionen und ein reißender Strom prägen sie.
Heute dient die Grenze als Rechtfertigung, um aus wirtschaftlichen und politischen Interessen Strategien der Kontrolle für den ganzen Kontinent aufzulegen. Prägend sind wirtschaftliche Kontrollmaßnahmen, Rohstoffausbeutung, massive Waffenlieferungen und gewaltsäende Unterwanderung.
The »Southern Border« oder »La Frontera del Norte« (je nachdem aus welchem Land sie betrachtet wird) steht heute in den Schlagzeilen, einerseits wegen der Tausenden mexikanischer, mittelamerikanischer und afrikanischer Migranten, die auf dem Weg ins »gelobte Land USA« aus sehr unterschiedlichen Motiven diese gefährliche Linie immer wieder zu überwinden suchen. Andererseits wegen des schon vor seiner Wahl 2016 formulierten markanten Anspruchs des US-Präsidenten Donald Trump, durch den Bau einer »mächtigen und schönen« Mauer entlang der gesamten Grenze, eine dauerhafte Lösung »for a safer America«, also für die »bedrohte Sicherheit« seines Landes, zu liefern.
Etwa die Hälfte des Grenzverlaufs ist bereits von Tijuana bis El Paso mit einem Zaun unterschiedlichster Machart (Wellblech, Stacheldraht, Stahlgitter) versehen. Denn schon seit 1920 Jahre begann allmählich – von US-amerikanischer Seite her – die Errichtung einer »weichen Mauer«. Diese... [Kurzfassung: Die vormals »weiche Mauer« wurde mittels mehrerer Milliarden Dollar teurer Abschottungsprogramme stufenweise in befestigte Grenzanlagen verwandelt. Hierzu zählen breit angelegte Grenzdämme aus Beton mit doppelten Reihen von Stahlgitterzäunen, die Umsetzung von menschenverachtenden Abschreckungsprogrammen, die allmähliche Militarisierung der Grenzsicherung durch die mit immer raffinierteren Waffen ausgerüstete Border Patrol und jüngst auch durch die Army National Guard.
Die Border Patrol verfügt u.a. über Ausrüstung mit Kleinwaffen US-amerikanischer Hersteller, wie Smith & Wesson und Remington Arms, sowie Fabrikaten aus der Europäischen Union mit deren US-Niederlassungen, wie Heckler & Koch Defense (in Virginia), Glock Inc. (Georgia), SIG Sauer (New Hampshire), Beretta (Italien) und der Herstal Group (Belgien).
Die »virtuelle Mauer«, umfasst den Einsatz der weit in beide Länder reichenden Überwachung mittels elektronischer Geräte unterschiedlicher Herkunft, besonders aber mittels israelischer Überwachungstechnologie, vor allem des Unternehmens Elbit.
Die US Customs and Border Protection (CBP) mit den Abteilungen US Border Patrol, CBP Air & Marine und BORTAC (United States »Border Patrol Tactical Unit), führt Inspektionen an der Grenze durch. CBP Air & Marine verfügt über 500 Piloten und 250 Luftfahrzeuge. Es werden Hubschrauber des Typs Sikorsky UH-60 Blackhawk, Eurocopter AStar AS 350D und Flugzeuge Typ C-210, C-12 sowie 1 Lockheed P-3 Orion mit Aufklärungsradar verwendet. Damit unterhält die Behörde die weltgrößte Luftflotte einer Polizei- bzw. Zollorganisation.
Die Behörde besitzt etwa 200 Wasserfahrzeuge verschiedener Typen, die größten sind die der Klasse Midnight Interceptors mit einer Länge von 11,89 Metern (39 Fuß) über alles. Seit September 2005 sind unbemannte Drohnen des Typs Elbit Systems Hermes 450 in Arizona an der Grenze im Einsatz, die im Rahmen des Projekts Unmanned Aircraft Systems (unbemannte Luftfahrzeugsysteme) getestet und eingeführt wurden. Derzeit sind zudem vier Drohnen des Typs Predator im Einsatz.
Laut Department of Homesecurity (DHS) haben 26.568 Personen im Jahr 2017 Asyl erhalten. Die Herkunftsländer der meisten von ihnen waren China, El Salvador, Guatemala und Honduras. Aus diesen Ländern sind seit Oktober 2018 44.000 Migranten in den USA aufgegriffen worden. Die Trump-Administration teilte mit, die Zahl mit illegalem Status aufgegriffene oder an der Grenze abgewiesene Personen sei im Juni 2019 auf 104.000 gefallen, im Vergleich zu 144.000 einen Monat früher. Trotzdem ist die Zahl der im Juni verhafteten Migranten doppelt so hoch wie im gleichen Monat des Vorjahrs.
Von María-Eugenia Lüttmann Valencia
für das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE
Israel hat auf dem Gebiet der elektronischen Grenzsicherungstechnologie, aber vor allem auf dem Gebiet der Drohnen-Technologie, eine Nische besetzt, in der es als »Weltmarktführer« auftreten kann. Diese Marktführerschaft bedeutet: Technologie-Präsenz bei der Absicherung und Abschottung von Grenzen in Territorien, in denen islamistische Terrorgruppen ihren Machtbereich zu erweitern versuchen oder ethnisch verfolgte Freiheitskämpfer*innen – wie in Kaschmir oder in Myanmar – um ihre Unabhängigkeit kämpfen.
Vor allem aber nutzt Israel seine technologische Überlegenheit zur Sicherung der eigenen Grenzen gegen feindliche Nachbarn wie Libanon, Syrien, Irak und gegen die palästinensischen Autonomiegebiete. Die Firma Elbit Systems Ltd z.B. baut derzeit einen bis zu 40 Meter in die Tiefe reichenden Zaun an der Grenze zu Gaza. Damit soll der Bau palästinensischer Tunnel, wie sie in der Vergangenheit von israelischen Sicherheitsorganen aufgespürt und bombardiert wurden, unterbunden werden. Der unterirdische Zaun folgt dabei im Verlauf den oberirdischen, z.T. noch im Bau befindlichen Grenzschutzanlagen. Er reicht bis zum Grundwasserspiegel und soll Kämpfer der Hamas daran hindern, in größerer Tiefe auf israelisches Territorium vorzustoßen.
Ein Zaun mit elektronischen Sicherungssystemen entstand bereits auf dem Sinai an der Grenze zu Ägypten, ein weiterer wurde entlang der Grenze zum Libanon und zu Syrien auf dem Golan errichtet. Jetzt wird an der Grenze zu Jordanien, rund 400 km lang, eine dritte Sperranlage gebaut. Wenn alle diese Anlagen fertig sind, ist Israel nach Norden und Osten von Zäunen oder hohen Mauern mit elektronischen Grenzschutzsystemen wie Radar, Kameras und Bewegungsmeldern umgeben. Palästinensische Enklaven wie das Westjordanland, Ostjerusalem und Bethlehem sind von bis zu 10 Meter hohen Betonwänden eingeschlossen. Die Seeseite im Westen Israels und entlang des Roten Meeres im Süden wird von Küstenradar und Drohnen wie der Aufklärungsdrohne Heron überwacht.
Von Wolfgang Landgraeber
für das GLOBAL NET - STOP THE ARMS TRADE
Im Jahr 2004 zog der damalige Rüstungskonzern EADS, jetzt Airbus, einen Auftrag an Land, der bis heute als das größte Border-Security-Programm weltweit gilt. Auftraggeber war das saudi-arabische Königshaus, der Auftragswert betrug rund zwei Milliarden Euro.
Airbus verpflichtete sich zum Bau eines ca. 5.000 Kilometer langen High-Tech-Zauns an den Nord- und Südgrenzen des Landes. Als Ziel wurde angegeben, das Einsickern islamistischer Terroristen aus Ländern wie Syrien, dem Irak, dem Libanon und dem Jemen zu verhindern, Waffenschmuggel zu unterbinden und Flüchtlingsbewegungen zu stoppen.
Firmen wie Airbus profitieren bei derlei Geschäften doppelt: sie liefern High-Tech-Waffen für Milliarden Euro an die Kriegskoalitionäre Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und weitere arabische Staaten, die seit 2015 einen Krieg gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen führen. Und sie setzen noch einmal Milliarden mit der Errichtung von Grenzschutzanlagen um, die unter anderem das Ziel haben, die vom Krieg betroffenen Menschen an der Flucht – auch nach Europa – zu hindern.
Grenzüberwachungstechnologie von Airbus wird vielfach in Deutschland entwickelt und produziert, z.B. im Werk in Immenstaad am Bodensee mit 2.250 Mitarbeiter*innen. Laut Airbus werden dort »Führungs-, Aufklärungs- und Überwachungssysteme« sowie »Zieldarstellungsdrohnen für zivile und militärische Kunden« und »Plattform-Hersteller für Hubschrauber, Kampfflugzeuge, Transportflugzeuge und UAV« (unbemannte Luftfahrzeuge, Drohnen, d.A.) entwickelt und gebaut.
Die humanitäre Situation im Jemen wird sich weiter verschlimmern. Davon ist die für den Jemen zuständige Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Shabia Mantoo überzeugt. »Seit Beginn des Konflikts wurden insgesamt mehr als vier Millionen Menschen zur Flucht gezwungen, von diesen haben viele mittlerweile versucht, nach Hause zurückzukehren [...] Die Mehrheit hat keine andere Wahl, als im Jemen zu bleiben [...] Nur ein vergleichsweise kleiner Teil, rund 65.000 Personen, sind in Nachbarstaaten oder weitere Länder des nahen Ostens geflohen.«
Noch riegelt der Krieg die Grenze nach Norden weitgehend ab. Ist er irgendwann einmal vorbei, dann werden der High-Tech-Zaun und die Meeresüberwachungsanlagen von Airbus weiterhin Menschen an der Flucht verhindern. Flüchtende aus Somalia, Dschibuti und Äthiopien, die vom Jemen aus auf die arabische Halbinsel zu entkommen versuchen, werden durch den Zaun abgefangen.
Schon jetzt kommt es zu gewaltsamen Rückführungen, oft von denselben Schleppern, die die Leute ins Land gebracht haben, weiß Shabia Mantoo. »Gemäß UNHCR sind Zehntausende von Jemenitinnen und Jemeniten nach Dschibouti, Somalia und Äthiopien geflohen. Sie leben dann oft in denselben Camps wie die afrikanischen Flüchtlinge, die aus dem Jemen zurückgekehrt sind.«
Von Wolfgang Landgraeber
für das GLOBAL NET - STOP THE ARMS TRADE
Was können wir tun?
Wie aber sehen konkrete Handlungsoptionen aus, mit denen wir alle den Profiteuren der Abschottung aktiv entgegentreten können? Was können wir tun?
Wir können...
das bislang weitgehend unbeachtete Thema der Rüstungsexport- und Abschottungspolitik zum Thema machen, in indem wie andere informieren und eigene Handlungsansätze entwickeln;
Friedens-, Menschenrechts- oder Flüchtlingsorganisationen unterstützen durch Mitgliedschaft und durch aktives Handeln;
bei Kritischen Aktionär*innen von Rüstungskonzernen mitmachen, wie z.B. bei Airbus N.V. oder Rheinmetall AG, oder bei Fahrzeugunternehmen, z.B. der Daimler AG wg. deren fortwährenden Lieferungen von Mercedes-Military-Fahrzeugen in Krisen- und Kriegsgebiete;
Strafanzeigen unterstützen, die wir beispielsweise bei illegalem Waffenhandel stellen, wie unsererseits bereits bei Heckler & Koch und bei SIG Sauer mit Erfolg praktiziert (siehe FALL 02 und FALL 04);
vor allem aber beim GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE mitmachen:
> durch Mitgliedschaft beim RüstungsInformationsBüro e.V.,
> durch – steuerlich absetzbare – finanzielle Zuwendungen (denn unsere weltweiten Recherchen kosten das RIB e.V. viel Geld),
> durch Reiseberichte, Filme und Fotos aus Krisenregionen,
> durch eigene Recherchen zu Grenzsicherungsanlagen (bestehende Berichte in FALL 06 erweitern oder neue Fälle von Border Security aufzeigen)
> oder beispielsweise durch Übersetzungen vorhandener Textpassagen in andere Sprachen.
Für Ihre und eure Rückmeldungen, für Tipps und Mitarbeit sind wir im Autor*innenteam sehr dankbar.
Jürgen Grässlin
Kurzvita
Jürgen Grässlin ist Buchautor,
Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch (KA H&K). 2018 gründete Grässlin mit Friedensfreund*innen beim RIB e.V. das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT).
Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Zuletzt verfasste er das »Schwarzbuch Waffenhandel« und das »Netzwerk des Todes«.
Grässlin wurde mit bislang zehn Preisen für Frieden, Zivilcourage, Medienarbeit und Menschenrechte ausgezeichnet, zuletzt mit dem »GRIMME-Medienpreis« und dem »Marler Medienpreis Menschenrechte« von Amnesty International.
Wichtige Websites
siehe www.gn-stat.org, www.aufschrei-waffenhandel.de, www.dfg-vk.de und www.juergengraesslin.com
Kontakte
ArmsInformationCentre / RüstungsInformationsBüro e.V.
Tel.: 0049-761-7678088, Email: rib@rib-ev.de
Quellenverzeichnis
[#1] »Algeriens umstrittene Abschiebungen in die Wüste« in der Der Standard vom 08.01.2019, siehe https://www.derstandard.at/story/2000095611637/algeriens-umstrittene-abschiebungen-in-die-wueste
[#2] https://www.independent.co.uk/news/world/africa/algeria-migrants-sahara-desert-denies-women-children-without-food-drink-a8415681.html
[#3] Human Rights Watch: »Algeria: Inhumane Treatment of Migrants« vom 28.06.2018, siehe https://www.hrw.org/news/2018/06/28/algeria-inhumane-treatment-migrants
[#4] »Route zur Küste gefährlicher als das Mittelmeer« in Badische Zeitung vom 04.11.2019
[#5] EAK, Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (Hrsg.): »GEGEN RÜSTUNGSEXPORT UND MIGRATIONSABWEHR«, Bonn 2019, S. 20 ff.
[#6] Akkerman, Mark: »The Business of Building Walls«. November 2019; siehe https://www.tni.org/en/businessbuildingwalls
>> Anmerkung JG: Bei dem Text dieses Artikels handelt es sich um die Volltextfassung als Vorlage an das FRIEDENSFORUM. ** Der mehr als 40-seitige GN-STAT FALL 06: »Mörderische Mauern. Wie Rüstungskonzerne mit Waffenlieferungen und Grenzsicherungssystemen Milliarden verdienen – und was wir aktiv dagegen tun können« wird ab März/April 2020 in mehreren Weltsprachen auf der Website des GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE, siehe www.gn-stat.org, veröffentlicht werden. <<