Von Hanspeter Walter
[Foto] Bild: hpw
Anlässlich der jüngsten Weltbürger-Tagung in Überlingen hat der Gastreferent, Rüstungskritiker Jürgen Grässlin aus Freiburg, zum Widerstand gegen vermeintliche Kriegslogik ermuntert. Er wolle den Opfern eine Stimme geben, sagte Grässlin und berichtete über die Traumatisierung von Betroffenen.
»Vom Zuschauen zum Handeln« lautete der Titel der Weltbürger-Tagung in Überlingen. Als Vorbild bestens geeignet schien den Organisatoren der Rüstungskritiker Jürgen Grässlin, der 1994 sein erstes Buch über deutsche Waffenexporte geschrieben hat (»Den Tod bringen Waffen aus Deutschland«). Über sich selbst als Mensch zu sprechen, hatten ihn die Gastgeber gebeten. Zum einen falle ihm das schwer, sagte der Freiburger, zum anderen ist der Mensch Grässlin ohne sein Eintreten gegen deutsche Rüstungsexporte gar nicht vorstellbar.
Im Kampf »David gegen Goliath« hatte er vor vier Jahren beim Bundesgerichtshof einen Durchbruch geschafft: Mit dem Urteil, dass die vom Grundgesetz geschützt Meinungs- und Pressefreiheit höher zu bewerten sein als der Persönlichkeitsschutz von Managern. Er warte daher vergeblich auf Klagen gegen sein »Schwarzbuch Waffenhandel«, in dem er eine Rangliste mit »Täterprofilen« beschreibt und auch Claus Günther von »Diehl Defence« in Überlingen beim Namen nennt, der zuletzt in den Medien gegen Exportbeschränkungen zu Felde zog.
Jürgen Grässlin will es auch nicht hinnehmen, dass christlich-demokratische Politiker aus dem Ländle mit lauter Stimme gegen Christenverfolgungen zu Felde ziehen – um dann leise für Waffen- und Panzerverkäufe nach Saudi-Arabien zu votieren, wo Menschenrechte wenig zählten und Christen so vehement verfolgt würden wie in kaum einem anderen Land. Jede vermeintliche Kriegslogik ist für Grässlin spätestens dann ad absurdum geführt, wenn er Angehörigen von Opfern in die Augen blickt, wie er dies im türkischen Kurdistan ganz bewusst für sein Buch »Versteck dich, wenn sie schießen« tat. »Ich will den Opfer eine Stimme geben«, formuliert Grässlin und berichtet über die Traumatisierung der Betroffenen.
Trotz aller aktuellen Kriege sieht Rüstungskritiker Jürgen Grässlin für seine Mission ein kleines Licht am Horizont. »Wie kann man Erfolg messen? Wie kann man eine Lebensaufgabe definieren?«, fragte Grässlin. Natürlich sei »eine Welt ohne Waffen eine Vision«, doch habe er drei konkrete Ziele: »Alle Kleinwaffen abschaffen, Streumunition verbieten und Landminen verbieten.« Immerhin gebe es inzwischen das Ottawa-Abkommen gegen Landminen, das Oslo-Abkommen gegen Streumunition und aktuell hätten mehr als 50 Staaten den UN-Waffenhandelskontrollvertrag (Arms Trade Treaty, ATT) ratifiziert, der damit internationales Recht werde. »Das tut zwar noch niemand richtig weh«, sagt Grässlin, »aber die Menschheit ist auf einem Weg.«
Das schreibt Grässlin insbesondere jenen ins Stammbuch, die am Bodensee gerne den Mantel des Schweigens über das unschöne Thema breiten. »Man spricht hier nicht darüber«, sagt Grässlin, »wo der See doch so schön ist.« Noch immer wundert sich mancher, dass Überlingen auf den Landkarten der Rüstungsstandorte unter den Top 5 in Deutschland geführt wird.