Rezension »Das Schwarzbuch Waffenexporte.
Unanständig dick - mit moralischem Gewicht«
von Rupert Neudeck vom 10.07.2013



:: Das Schwarzbuch Waffenexporte
Unanständig dick - mit moralischem Gewicht.
Von Rupert Neudeck

Man kann das Buch am Ende nur stumm mit zusammengebissenen Zähnen beiseite legen. Es zeigt ein Pandämonium, das auf unsere Herzen und unsere Vernunft umso bedrückender wirkt, als der Autor mit diesem Weißbuch ja ‚nur' über uns Deutsche und unser Deutschland spricht, nicht über die globalen Waffenhändler und Schieber. Neben der Gesundheit sollte die Rüstungs-Waffen-Industrie der zweite Bereich einer Gesellschaft sein, der vergesellschaftet wird, denn die Gesundheit der Menschen und die Waffen-Produktion gehören nicht in die Hände von denen, die damit Profit machen dürfen.

Der Autor kann nur atemlos berichten, weil man lesend eigentlich von Skandal zu Skandal hüpft. Wo man hinpackt, heilloses Entsetzen. Bei den Waffen ist alles »a frere cochon«. Es gibt Zusammenarbeit mit Teufel und Beelzebub: Mit dem Südafrika der Apartheid wie mit dem Spanien von Franco. »Verkäufe von Waffenbestandteilen an Israel und an das verfeindete Saudi – Arabien, Verkäufe von Drohnen und von Lenkflugkörpern zur effektiven Bekämpfung von Drohnen: was gibt es Lukrativeres als Armeen verfeindeter Staaten mit Waffen bzw. deren (Ersatz-)Teilen zu versorgen? Und was ist profitabler als ein neues Waffensystem auf dem Markt zu Platzieren und dessen Vernichtungswaffe gleich anzubieten?«

Die Rüstungsdeals des Riesen Diehl versorgen die Krieger beiderseits der Front mit tödlichen Waffensystemen. Grässlin zwischendurch: »Moralische Bedenken oder gar Skrupel plagen den Diehl-Defence-Vorsitzenden Claus Günther nicht im mindestens.« Warum auch?, fragt er sich und den Leser: Das Geschäft mit dem Tod sei das tagtägliche Geschäft der Verteidigungssparte seines Unternehmens.

Es gibt vorweg gesagt, ein Argument gegen das Buch, das kein wirkliches ist. Es ist einfach zu dick: 624 Seiten, alles Text, dichte Anmerkungen, Kästen, Statistische Einschübe. Der Philosoph Odo Marquardt nannte dieses Genre das der »unanständig dicken Bücher«. Er hat aber auch erzählt, dass es für einen gestandenen Autor wichtig sei, am Beginn seiner Karriere einmal ein Buch zuschreiben, dessen physische Eigenkraft schon in der Lage wäre, einen Rezensenten zu erschlagen.

Ich denke, das ist kein Einwand. Aber es wäre gut, es gäbe eine verkürzte klare Streitschrift von 80 Seiten, die die unglaublich fleißigen Recherchen zusammenfasst, die Jürgen Gräßlin seit Jahren, wenn nicht schon Jahrzehnten anstellt. Für die Recherche und Schreibleistung muss man dem Autor wirklich danken. Aber um das an den Kreis der politisch Interessierten, die Bundestagsabgeordneten, die kirchlichen Akademien, die politischen Thinktanks und Stiftungen heranzubringen, wäre ein verkürzter Thesenentwurf nicht schlecht und würde sicher dankbar aufgenommen.

Das Kapitel Eins erinnert daran, woran auch Heinrich Böll seine Freude gehabt hätte: An den Verfassungsbruch und seine Folgen. Hatten wir uns doch 1945ff. geschworen, dass von unserem Boden nicht nur kein neuer Krieg ausgehen sollte, sondern sicher auch keine Exporte mit tödlichen Waffen. »Wie Deutschland zur Weltmacht beim Waffenhandel aufsteigen konnte.«

Das zweite Kapitel beschreibt die Enttäuschung aller Friedensfreunde und Waffengegner über die rot Grüne Regierung Schröder/Joschka Fischer: »Wie SPD und Grüne das in sie gesetzte Vertrauen verspielen«. Das dritte Kapitel beschreibt die Große Rüstungsexportkoalition, die auch in der Zeit der Regierungszeit von Angela Merkel weiter den Waffenhandel so stark machte, dass Deutschland weltweit zur Nummer. drei wurde. Die nächsten Kapitel widmeten sich den Geschäften auf völlig grenzenlosen Märkten. Das längste Kapitel des Buches widmet sich den Großwaffenkonzernen als »Kriegsprofiteuren«. Das instruktivste Teil des Buches widmet sich dem schwäbischen Waffenhersteller Heckler und Koch, »der mit Kleinwaffenexporten und Lizenzvergaben den Weltmarkt schon erobert« hat Darin ist der politisch interessanteste Teil der über Saudi Arabien, das von unserer Regierung mit der G3 Lizenzvergabe, dann mit der gleichen Lizenzvergabe für das neue G36 Gewehr bedacht wurde. Im Schlusskapitel beschreibt der Autor, wie Banken und Bundesregierungen Waffenhandel finanziell absichern.

Wenn das Buch eines deutlich macht, dann ist es die Tatsache, dass die Politiker manchmal uns Bürgern bei diesem Thema Sand in die Augen streuen. Die Regierung, die am lautesten getönt hat, was die Kriege und was die Waffenexporte angeht, versagt und verrät die Grundsätze nach Tische der Regierungsbildung am schamlosesten. Im Falle von Saudi-Arabien kann der Autor beim Wechsel von Kohl/Kinkel zu Schröder/Fischer nur sagen: »Jede Rüstungsexportmedaille hat zwei Seiten: die der amtierenden Bundesregierung und die ihrer Vorgängerregierung. Im Falle fortgeführter Waffenlieferungen an Saudi-Arabien grinst der Tod auf beiden Seiten«.

Das ist das Befreiende an diesem Buch, der Autor verliert sich nicht in die Haarspaltereien jurisdiktioneller Quisquilien, er urteilt immer im Sinne der Opfer und ihre Angehörigen. »Dass die Regierung Schröder/Fischer angesichts der bedrückenden Menschenrechtslage in Saudi- Arabien einen Rüstungsexportstopp gegen Riad verhängte und sämtliche Geschäftskontakte mit dem saudischen Königshaus abbrach sowie deren Wiederaufnahme von konkreten Schritten der Demokratisierung abhängig machte: Eine Annahme, die verfehlter nicht sein könnte«.

Rot-Grün betrieb die Aufrüstung des Regimes in Riad konsequent. Der Wert der Waffenexportgenehmigungen durch Bundesregierung und Kontrollbehörden stieg von 51,1 Mio. DM 1999 auf 712,8 Mio. DM 2000.

Diejenige, die am lautesten geschrieen hatte gegen diese Politik, wurde mit hochrangigen Ämtern besänftigt. Claudia Roth stieg im März 2003 auf zur Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitären Hilfe im Auswärtigen Amt. Man müsste in Abwandlung des damals für die Politiker geflügelten Wortes des Innenministers Hermann Höcherl sagen: Ein Grüner kann nicht immer mit dem letzten Jahresbericht von Amnesty International unter dem Arm herumlaufen.

Saudi Arabien ist nur ein Fall. Die Waffenexporte Deutschlands nach Portugal und Griechenland, also Waffenlieferungen für EU-Staaten, die schon schwach auf der Brust und mit Schuldenproblemen zu kämpfen hatten, berichtet Grässlin in der gewohnten Ausführlichkeit. Das Kapitel über die enttäuschende Rot-Grün Regierung ist eindeutig. Für einen Aufrüstungs- und Waffenexport-Gegner ist es hanebüchen: Unter Schwarz-Gelb geht alles noch famoser weiter. »Anstatt den eigenen Vorgaben gemäß Waffengeschäfte zurückhaltend zu genehmigen, warf Schwarz-Gelb jegliche Bedenken über Bord und steigerte die tatsächlichen Kriegeswaffenausfuhren 2010 auf ein in der Geschichte bundesdeutscher Rüstungsexporte bislang einmaliges Rekordniveau.«

Das Buch ist ein Kompendium. Es ist auch der Katechismus eines Autors, der dieses alles nicht hinnehmen will und gegen die Zunahme der Rüstungsgüterexporte auf die Barrikaden geht.

Im Vorwort hat er sehr eindrucksvoll ein Foto und einen Satz als Widmung hineingeschrieben: »Mehr als zwei Millionen Menschen starben bisher durch Kugeln aus den Läufen von H&K Waffen. Mohammed Jana aus Berbera (Somaliland) erhielt bei einem mit G-3 Gewehren verübten Massaker einen Kopfschuss«. Er wird zeitlebens geistig behindert sein. Ich kann dem Autor nur zustimmen: Rüstungsexport ist ein eiskaltes Geschäft.

Ob Armut oder Menschenrechtsverletzung: Die Situation im Empfängerland spielt de facto keinerlei Rolle. Das wahre Gesicht zeige die Rüstungsindustrie immer auf den Waffenmessen. Die schlimmste sei die IDEX, alle zwei Jahre als Waffenmesse stattfindet: »Während sich von Tunesien aus der Widerstand gegen die verhassten Diktatoren formierte, feierte die weltweite Rüstungscommunity im Februar 2011 in Abu Dhabi ihre Todesprodukte mit Waffenschauen und Kampfvorführungen«.

Ein Motiv durchgehend in dem Buch: Die Rolle der Religionen und der Kirchen. Die Christen jedenfalls haben von ihrem Gründer einen pazifischen, also einen Friedens- Auftrag, der durch nichts zu hintergehen ist. Dieser Auftrag wird aber immer wieder an den Rändern verraten. Der Autor Grässlin zitiert die Bemühungen kleinerer Geschäftsbanken, deren Ethik Transaktionen mit Rüstungs-exportierenden Unternehmen ausschließen. Das sind in Deutschland die Triodos Bank, die GLS-Gemeinschaftsbank, die Ethikbank und einige Kirchenbanken. Manche sind dabei zu einem umfassenden Nein zu Geschäften jeder Art von Waffen gekommen, sie klassifizieren nicht nur Landminen, Streu- und Uranmunition oder Atomwaffen mit deren Trägersystemen als Tödliche Gefahr für Mensch und Umgebung. Grässlin: »Ethisch orientierte Banken haben erkannt, dass gerade Kleinwaffen die Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhundert sind«.

Der Aktionsradius der kleinen, aber beweglichen kirchlichen Aktionsbündnisse reicht manchmal sehr weit. So hat die »Ökumenische Aktion Ohne Rüstung« immer wieder darauf kritisch hingewiesen, dass deutsche Rüstungsexporte mit unseren von uns bezahlten staatlichen Hermes-Bürgschaften abgesichert werden, wobei damit weiter Öl ins Feuer bestehende Konflikte gegossen wird. Das ist das die Stunde kirchlich-radikaler Kritik. Der ORL fordert von der Bundesregierung ein »generelles Verbot von Hermes Bürgerschaften für Rüstungsexporte«.

Als 2011 die Ausfuhrgenehmigungen der Regierung für die Rüstungsbranche auf einen neuen Negativ Rekord von 10,79 Mrd. Euro stiegen, warnten die Kirchen Die Begründung der Regierung stellten sie in Zweifel, dass der erhöhte Wert mit der Umstellung der IT Software im Bundesamt für Ausfuhrkontrolle und Wirtschaftsförderung zu tun habe. Die Kirchen dürften da aber nicht hinterher rennen, sondern müssten weiter, opportune importune – Abrüstungsschritte weltweit fordern. In Deutschland Konversionen der Rüstungsbetriebe. Erst dann würden sie glaubwürdig werden, als Christen und Kirchen.

Quelle: Rupert Neudeck 2013

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