Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
wir haben uns heute vor der Motoren- und Turbinen-Union in Friedrichshafen versammelt. Die MTU blickt auf eine bewegte und äußerst aussagekräftige Firmengeschichte zurück: von der Unternehmensgründung 1909 in Bissingen/Enz, dem Umzug 1911/12 nach Friedrichshafen bis hin zur Umstellung der Produktion auf Militärfahrzeuge 1933. Bis 1945 lieferte das Vorläuferunternehmen Maybach Motorenbau rund 140.000 Motoren für den Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten aus. 1969 wurde die MTU Friedrichshafen GmbH gegründet, 2006 wurde die Tognum Unternehmensgruppe mit MTU als Kernmarke. Im Jahr darauf folgte der Börsengang als Aktiengesellschaft.
Im Jahr 2008 erzielte das Unternehmen einen Jahresumsatz von 3,1 Milliarden Euro. 2010 begann die Montage von Motoren mit NORINCO. Dieser chinesische Staatskonzern zählt zu den führenden Waffenproduzenten im Reich der Mitte. Die NORINCO-Produktpalette reicht von Handfeuerwaffen und Sprengstoffen bis hin zu Panzern und Antriebskomponenten für strategische Atomwaffen.[#1]
Im 3. Quartal 2011 meldete die Daimler AG, die Übernahme von Tognum sei „erfolgreich abgeschlossen“. Die Daimler AG und Rolls-Royce Holdings plc sichern sich rund 99 Prozent der Tognum-Aktien.[#2]
MTU – der unterschätzte Rüstungsriese
Längst zählt MTU, genauer gesagt die Daimler/Rolls-Royce-Beteiligungsgesellschaft Tognum, zu den weltweit führenden Herstellern von Dieselmotoren und Antriebssystemen für zivile und militärische Schiffe, schwere Land- und Schienenfahrzeuge und Industrieantriebe.
Vielsagend ist die aktuelle Werbung von MTU. Im Handbuch der Bundeswehr und der Verteidigungsindustrie 2011/2012 wirbt das Unternehmen: „Unter extremen Bedingungen benötigen Sie ein Antriebssystem, auf das Sie sich verlassen können. Mit mehr als 60 Jahren Erfahrung in militärischen Anwendungen ist MTU die erste Wahl, wenn es um den Antrieb gepanzerter Fahrzeuge geht.“ Dabei erfüllt MTU „individuellste Antriebswünsche“.[#3]
Mehr als 60 Jahre ist auch der versteckte Hinweis darauf, dass sich die nationalsozialistische Reichswehr im Zweiten Weltkrieg auf die MTU und deren Motoren verlassen konnte. Individuellste Antriebswünsche hegen Militärs menschenrechtsverletzender und diktatorischer Regime heute in aller Welt. Auch sie werden von MTU/Tognum bestens bedient.
Wer so schamlos für Waffenbestandteile wirbt, zeigt wessen geistiges Kind er ist. Nicht nur Waffenwerbung wie diese, sondern Waffenwerbung generell gehört verboten!
Verbreitung von MTU-Dieselmotoren der Tognum AG in Militärschiffen:
Die MTU wirbt damit, seit Anfang der fünfziger Jahre mehr als 10.000 Antriebs- und Bordstromsysteme an nahezu alle Marinen der Welt geliefert zu haben. Im Bereich konventioneller U-Boot-Motoren ist das Friedrichshafer Unternehmen „Weltmarktführer“. Lang ist die Tognum-Lieferliste laut Studie der Kritischen Aktionäre. Hier eine Auswahl der Verbreitung von MTU-Dieselmotoren der Tognum AG in Militärschiffen.
MTU-Dieselmotoren finden sich in
Die Menschenrechtslage in all diesen Ländern ist desaströs, die Sicherheitslage vielfach dramatisch. Viele dieser Länder liegen in Krisengebieten. Mit jeder kriegerischen Auseinandersetzung, bei der MTU-Motoren im Einsatz sind, macht sich die Geschäftsführung von Tognum mitschuldig am Morden!
MTU-Dieselmotoren wurden geliefert an die Marine Indiens, Pakistans und Chinas. Sie finden sich in Patrouillenbooten von Taiwan und China – allesamt verfeindete Staaten. MTU-Dieselmotoren wurden eingebaut in Kriegsschiffe Griechenlands und der Türkei – gleichsam feindlich gesinnte Länder, die sich seit Jahrzehnten in ihrer Hochrüstung überbieten und zwischen denen kriegerische Auseinandersetzungen nie ausgeschlossen werden können. Dennoch lieferte MTU Dieselmotoren beispielsweise für U-Boote des Typs 209 und Fregatten des Typs MEKO 200 HN bzw. MEKO 200 an Griechenland und die Türkei!
Diese profitorientierte Geschäftspolitik ist zutiefst beschämend!
MTU-Dieselmotoren für U-Boote und Fregatten in Griechenland? Was für absurde Geschäfte angesichts der Finanzkrise und der Not der Bevölkerung dieses Landes![#4]
Allein diese begrenzte Auswahl belegt: Tognum/MTU ist ein Global Player kriegerischer Auseinandersetzungen auf den Weltmeeren. Anders als die weithin bekannten Waffenschmieden Daimler/EADS, Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall, Diehl, ThyssenKrupp Marine Systems oder Heckler & Koch ist Tognum/MTU ein unterschätzter Rüstungsriese. Denn die MTU-Motoren sind weithin unsichtbar – aber umso wirkungsvoller. Sie bringen Militärfahrzeuge und Kampfpanzer zu den Schlachtfeldern und Kriegsschiffe zu den Orten der Seeschlachten.
Menschenverachtender und verwerflicher kann Wirtschaftspolitik nicht sein!
In diesen Tagen sieht sich Günter Grass heftigster Kritik und Diffamierung ausgesetzt. Dabei hat der Lübecker Literaturnobelpreisträger zu Recht auf die Gefahr hingewiesen, dass Israel von Deutschland mit U-Booten aus- und hochgerüstet wird. Laut einer Studie der Kritischen Aktionäre finden sich MTU-Dieselmotoren in Korvetten, Patrouillenbooten und U-Booten der israelischen Marine. Das vierte und fünfte U-Boot sind bei Howaldtswerke-Deutsche Werke (HDW) nahezu vollendet. Der Vertrag für das sechste U-Boot des Typs Dolphin wurde seitens der deutschen und der israelischen Regierung im März 2012 unterzeichnet. Dieses und andere U-Boote wären durch Umrüstung atomwaffenfähig. [#5]
Günter Grass gebührt Dank für seine mahnenden Worte. Das gegen ihn verhängte Einreiseverbot ist falsch und unberechtigt!
MTU-Antriebe für Militärfahrzeuge und Kampfpanzer
Wie bei Kriegsschiffen besitzt MTU auch bei militärischen Landfahrzeugen eine Jahrzehnte währende Tradition. Offensiv werden auf der Firmenhomepage Panzer beworben: „Bei militärischen Konflikten suchen Kampfpanzer den direkten Kontakt.“ Mobilität sei „eines der wichtigsten Kriterien“ und „ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg der Missionen“. Gemeint sind auch Kriegseinsätze. Um äußerst mobile und effizient gepanzerte Fahrzeuge realisieren zu können, würden „kraftvolle und zugleich kompakte Antriebssysteme benötigt“. Anforderungen, die die MTU-Motoren der Baureihen 837, 870 und 880 – laut Eigenwerbung – „in beeindruckender Weise“ erfüllen. Eingebaut in Kampfpanzer der Typen LEOPARD 1, LEOPARD 2 und LECLERC TROPICALISÉ hätten sich diese MTU-Motoren „einen hervorragenden Ruf erworben und setzen weltweit Maßstäbe in Bezug auf Mobilität, Leistungsdichte und Zuverlässigkeit“.[#6] Zweifelsohne ist MTU Friedrichshafen erfolgreich beim Bau vom Panzermotoren, zweifelsohne hat sich MTU Friedrichshafen bei aggressiv operierenden Militäreinheiten und kriegsführender Staaten seinen Ruf erworben. Obwohl zwischen Indien und Pakistan bereits vier Kriege tobten, wurden 124 indische ARJUN-Kampfpanzer mit MTU-838-Ka-501-Motoren aus Friedrichshafen ausgerüstet.[#7] Zudem sollen in US-amerikanischer Lizenz gefertigte MTU-MB-873-Motoren in israelische Merkava-4-Panzer eingebaut worden sein. Diese Mk4-Panzer wurden u.a. bei der Operation Cast Lead, OCL (Operation gegossenes Blei) gegen Palästinenser eingesetzt – mehr als eintausend Menschen starben, Tausende wurden verwundet, darunter zahlreiche Kinder.[#8]
Zwei Beispiele von vielen, bei denen MTU-Motoren tödliche Dienste verrichten. Der folgenschwerste aber steht noch aus: Der vom Bundessicherheitsrat im Sommer 2011 genehmigte Export von 270 Kampfpanzern LEOPARD 2 an das Königshaus in Saudi-Arabien. Die Lieferungen soll in der Version A7+ erfolgen: für „urbane Operationen“ in Städten wie Riad oder Mekka, bestens geeignet zur Unterdrückung der Demokratiebewegung im eigenen Land.[#9] Mit einer Motorleistung von 1.500 PS erreicht der 67,5 Tonnen schwere LEOPARD 2 eine Geschwindigkeit von bis zu 72 km/h. Bei einer Reichweite von immerhin 450 Kilometern kann der Flächenstaat Saudi-Arabien nicht nur Staatsgebiet militärisch sichern, sondern nach Belieben in Nachbarstaaten intervenieren. Auch weitergehende Angriffe gegen den Iran über irakisches bzw. gegen Israel über jordanisches Territorium sind keinesfalls auszuschließen.[#10]
Die in der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ zusammengeschlossenen Organisationen haben beschlossen, diesen Panzerexport mit gewaltfreien Aktionen verhindern zu wollen. Gemeinsam mit Peter Grottian von attac und Martin Singe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie wollen wir zivilen Ungehorsam praktizieren an den Orten der Verantwortung des geplanten Panzergeschäfts: beispielsweise in München, Kassel, Düsseldorf und auch in Friedrichshafen, wo die Kampfpanzer und ihre Bestandteile gefertigt werden. Weitere Aktionen sollen vor dem Bundeskanzleramt und dem Deutschen Bundestag, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesausfuhramt stattfinden, wo die politischen Entscheidungen getroffen bzw. der Export genehmigt wird.
Noch sind die LEOPARD-2-Panzer nicht ausgeliefert, noch kann dieser Rüstungsexport mit einem breit getragenen Protest gestoppt werden!
Den Opfern eine Stimme geben – für Rüstungskonversion
Die Opfer – Tote und Verstümmelte – der MTU-Rüstungsexportpolitik sind unzählbar, sie gehen in die Abertausende. Ihre Stimmen erreichen weder die Stadt noch die Waffenschmiede, ihre Schreie ersticken ungehört. Wir wollen den Opfern der MTU-Geschäftspolitik eine Stimme geben, wir wollen zur Umkehr auffordern.
Unsere Forderungen richten sich an die Geschäftsführung: Steigen Sie aus dem Geschäft mit dem Tod aus! Unsere Forderungen richten sich an die christlichen Kirchen: Haben Sie den Mut, die Wahrheit auszusprechen! Sprechen Sie in den Kirchen über die MTU-Rüstungsexporte und die verwerflichen Folgen dieser Wirtschaftsweise!
Unsere Forderungen richten sich an die IG Metall: Geben Sie den entscheidenden Impuls, indem Sie konkrete Modelle zur Rüstungskonversion – der Umstellung auf eine nachhaltige zivile Fertigung – bei MTU erarbeiten. Wir fordern: Brennstoffzellen-Motoren für zivile Schiffe statt Dieselmotoren für Kriegsschiffe!
In diesem Sinne muss sich in Friedrichshafen ein „Runder Tisch der Rüstungskonversion“ zusammenfinden, bei dem neben Firmenvertretern und Gewerkschaftern alle gesellschaftlich betroffenen Verbände und Organisationen repräsentiert sind. Ausgehend von Friedrichshafen sollte der Impuls in die Rüstungsregion Bodensee gesandt werden. Rüstungskonversion ist das Gebot der Stunde!
Jürgen Grässlin
ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“,
der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und der Kritischen AktionärInnen
Daimler (KAD) sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.);
Träger des Aachener Friedenspreises 2011, Buchautor
Quellen:
#1 „Rüstungsatlas Bodensee” der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL) vom Oktober 2010, S. 16
#2 Geschäftsbericht der Daimler AG 2011, S. 8
#3 Handbuch der Bundeswehr und der Verteidigungsindustrie 2011/2012, S. 820
#4 „Rüstungsatlas Bodensee”, a.a.O., S. 18 ff.
#5 „Deutschland liefert U-Boot nach Israel“, in tagesschau.de vom 20.03.2012
#6 http://www.mtu-online.com/mtu/anwendungen/militaerische-fahrzeuge/kampfpanzer/index.de.html?no_cache=1&sword_list%5B0%5D=leopard
#7 http://www.waffenvombodensee.com/mtu-motoren-fur-chinesische-panzer/mtu-und-menschenrechte/panzer-fur-indien/
#8 http://www.waffenvombodensee.com/mtu-motoren-fur-panzer/
#9 janes.com; EUROSATORY 2010
#10 Website von Krauss-Maffei Wegmann, www.kmweg.de, LEOPARD_PSO