Auch 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges brodelt es heftig. Ukraine-Konflikt, Krieg im Nahen Osten und Krisen-Szenarien in Europa – wohin führt der Weg? Wer die Zukunft gestaltet, sollte die Vergangenheit kennen, heißt es. Haben wir dazu gelernt und reichen die diplomatischen Verhandlungsstrategien aus, um die Welt zu befrieden? Eine Betrachtung von Marlen Albertini.
Es ist beängstigend, was um uns herum geschieht. Niemand wird ernsthaft leugnen, dass wir in gefährlichen Zeiten leben. Konflikte brodeln, lodern plötzlich auf und münden in schrecklichen Kriegsszenarien. Die aktuelle Auseinandersetzungen mit Russland in Hinblick auf den Ukraine-Konflikt und der mörderische Krieg im Nahen Osten führen uns vor Augen, wie zerbrechlich und filigran der Frieden ist.
Es brodelt unter Europas Decke
Unter der Decke des seit Jahrzehnten befriedeten Kontinents Europa braut sich auch in Hinblick auf die andauernden Finanzkrisen und den bestehenden sozialen Härten einiges zusammen. Es wird sich irgendwann Luft verschaffen. Haben wir aus der Vergangenheit genug gelernt, um gewappnet zu sein und reichen die derzeit praktizierten diplomatischen Verhandlungsstrategien aus, um sich dem wichtigsten Fortschritt überhaupt – Frieden auf dieser Welt – zu nähern?
Medien machen Politik
Natürlich muss sich Europa bzw. die Welt in Hinblick auf den Ukraine-Konflikt und Russland positionieren und Flagge zeigen. Da geraten diplomatische Bemühen der Politiker schnell einmal ins Kreuzfeuer der Kritik. Im Namen der Rechthaberei sollen möglichst üppige Sanktionen ausgesprochen und die in Jahrzehnten mühsam errungenen, konsensgesteuerten Kompromisse eilfertig zur Disposition gestellt werden. Das erscheint so manchem angesichts der Annexion der Krim und dem Vorantreiben des Krieges in der Ost-Ukraine nur folgerichtig. Auch steht eine Mitverantwortlichkeit Russlands für den Abschuss einer malaysischen Passagiermaschine im Raum. Viel Stoff also, um hart durchzugreifen.
»Das muss so sein und noch viel mehr", poltert es deutlich vernehmbar aus einigen Redaktionsstuben. So manche Medien heizen Forderungen nach weiteren und noch drastischeren Sanktionen gegenüber Russland kräftig an. Sie möchten gerne mitmischen am Roulett-Tisch entscheidungsträchtiger Weltpolitik und es scheint so, als pariere die Politik. Die eigentliche Aufgabe der Berichterstattung, Reflexion und nüchterner Bilanzierung sowie Darlegungen der Ist- und Soll-Zustände bleiben dann durchaus auf der Strecke. Zum Schaden interessierter Leser, die sich bei ausreichendem Hintergrundwissen um die Faktenlage lieber eine eigene Meinung bilden.
Politiker auf außenpolitisch wackliger Plattform
Es steht viel auf dem Spiel, denn der Frieden gerät ernsthaft in Gefahr. Derzeit balancieren selbst Politiker höchst unsicher auf der außenpolitisch so wackligen Plattform. Es wird vorsichtig austariert und gewichtet und dies ist jenseits der lautstarken Marktschreier dringend vonnöten. Deutschlands zweifelsfrei umsichtiger Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fordert nunmehr für das Nahost-Krisengebiet und den Gazastreifen eine umfassende Friedenslösung. Ob das funktioniert, um Frieden zu stiften? Schließlich müssen die Beteiligten selbst mit ins Boot. Ein Unterfangen, das diplomatische Herausforderung der Extraklasse und einen unermüdlichen und ununterbrochenen Einsatz fordert – auch vor Ort.
Probier`s mal mit Gemütlichkeit
Als Eil-Sache liegt das in Deutschland wohl nicht auf dem Tisch. Immerhin befinden sich die meisten Politiker inklusive der Kanzlerin in den Ferien und genießen erst einmal ungetrübte Urlaubsfreuden. Es sei ihnen von Herzen gegönnt, nur das Timing fordert zum Missmut heraus. Die Lage ist ernst. Wird sie restlos unterschätzt? Wenn Russland »nichts mehr zu verlieren« habe, drohe Krieg, äußerte der renommierte Innsbrucker Politologe und Osteuropa- und Russlandexperte Prof. Dr. Gerhard Mangott erst kürzlich.
Im Angesicht der fortgesetzten wirtschaftlichen Sanktionierungen Russlands sollte den möglicherweise daraus resultierenden Gefahren ausreichend Raum zu Überlegungen gegeben werden. Liegt das Kind plötzlich im Brunnen, nutzen auch eilige Rückzüge aus dem Urlaub nichts. Bisher sieht man deutsche Spitzenpolitiker nicht nach Moskau reisen und die Kanzlerin bevorzugt im Zweifel das Telefon. Auch der einstige Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der seine persönliche Freundschaft zu Wladimir Putin stets mit Stolz betonte, sendet bisher wohl keine Signale, um diplomatisch zu intervenieren. Überhaupt mag sich niemand so recht Szenarien wie etwa Krieg vor der eigenen Haustüre ausmalen. Und wenn doch? Aktionen führen in der Regel zu Reaktionen.
Krieg als »ultima ratio-Element"?
Das Evangelium sei nicht zwingend pazifistisch, äußerte Bundespräsident Joachim Gauck schon mal vorsorglich mit Blick auf alle Eventualitäten und in einem Brief an ostdeutsche Pfarrer, die seine Haltung zu Kriegseinsätzen kritisch beurteilen. In diesem Statement, das von seinem Staatssekretär David Gill verfasst wurde, rechtfertigt Gauck seine zustimmende Haltung zu Kriegseinsätzen »als ultima ratio-Element einer Gesamtstrategie und unter klaren verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie dem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen«. Der Bundespräsident schließt sich in der Erklärung auch Gills Vergleich und Formulierung an, wonach beispielsweise ohne den Einsatz bewaffneter Soldaten »keine Befreiung von der Hitler-Diktatur möglich gewesen« wäre.
Die Jahrhundert-Mahnung
Gauck wird als ehemaliger Pastor wissen, wie er das Evangelium auslegen darf. Wenn die Menschheit auch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht wirklich und tiefgreifend dazugelernt hat, wenn sie zu Verhandlungen auf Augenhöhe und zur Findung angemessener Kompromisse nicht in der Lage ist, sucht sie naturgemäß nach Legitimation für die bewaffnete Auseinandersetzung und ordnet dies beruhigend »als ultima ratio-Element« ein. Sie wird sich weiterhin das vermeintliche Recht mit Waffen erkämpfen. Dies impliziert allerdings immer auch die Inkaufnahme der Toten, die anstelle einstiger Feldherren heute an vorderster Front in die Schlachten ziehen. Es beinhaltet auch den Tod unzähliger Zivilisten, die in der Regel keine Chance haben, der aufoktroyierten Gewalt zu entkommen. Und es bleibt die persönliche Schuld eines jeden, der initiierend beteiligt ist, auch dann, wenn ferngesteuert und damit deutlich enthemmt getötet wird. Schließlich aber setzt es die Spirale der Gewalt unermüdlich fort. Gerade so, als wolle man gar nichts aus der Vergangenheit lernen.
»Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen«, äußerte schon Albert Einstein in weiser Voraussicht, dass sich die Sache mit dem Dazulernen schwierig gestalten kann.
»Der Tod kommt aus Deutschland«
Strikt gegen »ultima ratio-Elemente« hält der profilierteste Rüstungsgegner Deutschlands, Jürgen Grässlin. Er prangert zudem an, dass der Tod auch aus Deutschland kommt. Während Spitzenpolitiker von Frieden sprechen, unterstütze die BRD »mittels üppiger Waffenexporte Kriege, Mord und Todschlag anderswo«. Es stehe zwar im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, dass die deutschen Waffenexporte reduziert werden sollen. Ausgerechnet führende »christliche« Politiker würden dies jedoch verhindern und die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel schweige zu diesem Skandal, empört sich Grässlin. »Du sollst nicht töten!« – in einem christlich geprägten, politischen Umfeld nur Nomenklatur?
Wer die Geschichte kennt…
Natürlich haben Kriege immer auch wirtschaftliche Hintergründe. Im Wesentlichen aber geht es um Grenzüberschreitungen und die Verteidigung bestimmter Terrains. Die vielen Leidtragenden dieser vermeintlich nur durch Gewalt lösbaren Konflikte bleiben ratlos und entsetzt zurück. Ihnen bleibt angesichts der Schlachtfelder, unfassbarer Gewalt und grausamster Menschenrechtsverletzungen nur die Frage, wer den Akteuren und Protagonisten eigentlich das Recht dazu gibt, so unmenschlich zu wüten. Politiker sollten wissen, welche Entscheidungen die Richtigen sind. Sie tragen die Verantwortung. Auch dafür, dass ihre politische Bilanz nicht in einem Kriegsschauplatz mündet. Fast sieben Jahrzehnte hat Deutschland es geschafft, sich ohne Kriegsbeteiligung zu behaupten. Wer daraus keine Schlüsse zieht, bleibt hoffnungsloser Ignorant.
http://www.spreezeitung.de/16275/gefaehrliche-zeiten-voellig-unterschaetzt/