24.12.2003:
Interview junge Welt »Widerstand gegen USA in Irak:
Gewaltlos wie damals in Indien?«
jW fragte
Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
* Die DFG-VK plädiert für einen ausschließlich gewaltfreien Widerstand gegen die
US-Besatzer in Irak
F: Wer Geld für Waffen sammelt und das Abschießen von Soldaten gutheißt«, schrieben Sie jüngst zur Unterstützung des Widerstandes in Irak durch deutsche Kriegsgegner, »stellt sich außerhalb der Friedensbewegung«. Wie steht die DFG-VK zum US-Angriff auf Irak?
JG: Aus Sicht der DFG-VK stellt der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak einen Bruch des Völkerrechts dar. Die rot-grüne Bundesregierung hat de facto auch Unterstützung für die Militärschläge geleistet. Aus diesem Grund hat die DFG-VK Strafanzeige gegen die Bundesregierung wegen Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gestellt.
F: Wie beurteilen Sie die Besatzungspolitik der USA in Irak?
JG: Sie ist primär von ökonomischen Interessen geprägt. Bei ihren menschenverachtenden Militäraktionen nehmen die Besatzer bewußt in Kauf, daß eine Vielzahl von Zivilisten verstümmelt oder erschossen wird.
F: Andere Gruppen in der Friedensbewegung teilen diese Einschätzung und unterstützen daher den Widerstand gegen die US-Truppen. Weshalb verweigern Sie diese Hilfe?
JG: Als pazifistischer und antimilitaristischer Verband plädiert die DFG-VK für Methoden des gewaltfreien Widerstands. Die 10-Euro-Kampagne, mit der finanzielle Mittel für Waffen zum Widerstand im Irak akquiriert werden sollen, lehnen wir strikt ab. Ich bin persönlich extrem verärgert, wenn Einzelpersonen oder einzelne Gruppen die Friedensbewegung für diese Zwecke instrumentalisieren. Wer den militärischen Widerstand im Irak stärken und Gewalt mit Gegengewalt bekämpfen will, kann das ehrlicherweise unter dem Logo einer antiimperialistischen Organisation machen. Meines Erachtens birgt diese Eskalationspolitik jedoch die Gefahr, daß weltweit neue Guerillakriege entfacht werden.
F: Mißachten Sie dabei aber nicht Artikel 51 der UN-Charta, der bei Angriffen auf ein Land das Recht auf »individuelle oder kollektive Selbstverteidigung« eingesteht?
JG: Artikel 51 gesteht dieses Recht zu, »bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat«. Da die USA vorgeben, nunmehr den Übergang zu einer vom irakischen Volk gewählten Regierung leisten zu wollen, sehe ich das Recht auf militärische Selbstverteidigung als nicht gegeben an. Wichtig ist, daß den Vereinten Nationen beim Demokratisierungsprozeß eine entscheidende Rolle zukommt.
Was die Methoden des Widerstandes betrifft, ließe sich moralisch die Verhältnismäßigkeit der Mittel anführen.
Ein völkerrechtswidriger Krieg stellt keine Legitimation für das Legen von Minen, für Attentate oder Terrorakte dar. Wer Geld für Waffen im Irak sammelt, der weiß, daß Guerillagruppen mit diesen Waffen mörderische Akte verüben werden. Dieses Vorgehen ist keinesfalls moralisch oder rechtlich legitimiert.
F: Worin sehen Sie den Unterschied zwischen einem Widerstands- und einem Terrorakt?
JG: Legitim ist der Widerstand dann, wenn er mit zivilen Mitteln vollzogen wird. Das Mittel der Gewaltfreiheit gegen eine Besatzungsmacht wurde von Mahatma Gandhi und seinen Anhängern schon gegen die Kolonialmacht der Briten in Indien erfolgreich angewandt.
F: Die Situation zwischen Indien und Irak läßt sich aber doch kaum vergleichen.
JG: Sie läßt sich insofern vergleichen, als daß eine westliche Industriemacht ein Land besetzt hält, dessen Rohstoffe ausbeuten will, das Volk mit militärischen Mitteln unterdrückt und sich die Mehrheit der Menschen dagegen wehrt. Die Briten mußten sich aus Indien zurückziehen, so wie sich die Besatzer im Irak zurückziehen müssen, wenn die Menschen im Irak mit gewaltfreien Aktionen Widerstand leisten. Gefährlich finde ich dagegen eine andere Art von Vergleich: Wer den Widerstand im Irak mit dem gegen die Nationalsozialisten in Deutschland gleichsetzt, der verharmlost den Holocaust.
Interview: Harald Neuber