Auf einen Kaffee mit Maik Schluroff, der im Café Wessenberg über Rüstung und die Friedensinitiative spricht.
Herr Schluroff, die Friedensinitiative Konstanz hat mit ihrem klammheimlichen Antrag dafür gesorgt, dass der Freiburger Friedensaktivist Jürgen Grässlin gerade den Aachener Friedenspreis verliehen bekam. Macht Sie das ein bisschen stolz?
Na, stolz wäre übertrieben, es freut mich einfach unheimlich, weil Jürgen Grässlin diese Auszeichnung wirklich verdient.
Wie kam es dazu, dass Sie diesen Antrag gestellt haben?
Herr Grässlin hat setzt sich seit 30 Jahren mit unzähligen Aktionen, Vorträgen und Büchern überaus aktiv für Abrüstung und das Verbot von Waffenexporten ein. Wenn man sich anguckt, für was andere Leute einen Preis kriegen, dann denken wir, dass er durchaus den Friedensnobelpreis verdient hätte. Wir haben halt eine Nummer kleiner angefangen (grinst).
Grässlin war auf Ihre Einladung hin ein paar Mal in Konstanz und hat Veranstaltungen gemacht. Bekommt er dabei viel Gegenwind?
Leider selten. Wir haben immer versucht, bei unseren Veranstaltungen auch Rüstungsbefürworter oder Regierungsvertreter einzuladen. Aber alle, die dafür in Frage kommen, wollen nicht anreisen, wenn sie hören, dass Grässlin kommt. Sie wissen wohl, dass sie ihm nicht gewachsen sind. Er ist enorm sachkundig und kann das sehr lebendig rüberbringen. Dabei wäre es eigentlich viel besser, wenn bei Diskussionen jemand von der Gegenseite da wäre.
Leben Sie selbst so, dass Sie die Rüstungsindustrie überhaupt nicht unterstützen? Meiden Sie Schiffe mit MTU-Motor wie die Fähre, fliegen Sie nicht mit dem Zeppelin, haben Sie kein Auto mit ZF-Teilen aus Friedrichshafen?
Ich achte schon ein bisschen darauf, aber in unserer Gesellschaft kann man sich nie ganz raushalten – wenn ich Kaffee trinke und der nicht fair gehandelt ist, dann hänge ich auch drin. Wenn ich einen Mercedes kaufe, was ich nicht tue, dann unterstütze ich indirekt auch die große Rüstungsproduktion. Ich fahre natürlich schon Fähre, auch wenn MTU Motoren für Fregatten und Panzer baut. Man kann sich wie gesagt nie ganz raushalten. Deshalb finde ich es wichtiger, wenn man über die Zusammenhänge aufklärt und so seinen Teil zur Verbesserung der Gesellschaft beiträgt. Das halte ich sogar für wirksamer als individuellen Boykott.
So ist wahrscheinlich auch die Friedensinitiative entstanden?
Die Friedeninitiative ist entstanden, als beschlossen wurde, in Mitteleuropa atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren, SS-20 und Pershing 2. Damals war die Furcht sehr groß, dass innerhalb von 15 Minuten aus Versehen oder durch eine Krise ein Atomkrieg ausgelöst werden kann. Dagegen haben sich sehr viele gewehrt.
Welche Aktionen hat die Konstanzer Friedensinitiative gestartet?
Die Konstanzer Sektion war eine der aktiveren in Deutschland. Eine Großtat war es, 1984 zu einer Demonstration in Bonn zu fahren, wohin immerhin 400 000 Leute aus der ganzen Bundesrepublik kamen. Außerdem haben wir Bodensee-Ostermärsche organisiert, bei denen Teilnehmer aus der Schweiz und aus Liechtenstein kamen. Dabei haben wir 3000 Leute verpflegt. Aber wir haben nicht nur demonstriert, sondern auch viel informiert. Wir waren wohl die erste und einzige Friedeninitiative, die mit dem Bundesverband der Reservisten gemeinsam Veranstaltungen gemacht hat. Beim Vorbereitungstreffen waren die Bundeswehrangehörigen ziemlich überrascht, weil sie langhaarige linke Spinner in Jesuslatschen erwartet hatten. Aber wir kamen ganz solide daher und wussten zum Teil wesentlich besser über waffentechnische Details Bescheid.
Was haben Sie noch gemacht?
Wir hatten noch die Aktion »Konstanz – atomwaffenfreie Zone«. Auf unsere Initiative hin gibt es einen Gemeinderatsbeschluss, nach dem auf dem Gebiet der Stadt Konstanz keine ABC-Waffen transportiert, gelagert oder hergestellt werden dürfen. Bei unserer Umfrage nach den Methoden der Allensbacher Demoskopie kam heraus, dass damals über 80 Prozent der Konstanzer Bevölkerung nachweisbar dafür waren, Konstanz zur Atomwaffen-freien Zone zu erklären. Die Verwaltung war zunächst dagegen, weil sie meinte: »Das geht Konstanz nichts an – das ist große Politik«. Und wir haben noch etwas ins Leben gerufen: Als der Jugoslawienkrieg kam, ist eine Art Partnerschaft mit Pancevo entstanden. Das ist eine Stadt südlich von Belgrad, wo die Wehrmacht ein furchtbares Massaker angerichtet hat, das auch in unserer Wehrmachtsausstellung behandelt wird. Wir haben versucht zu helfen, indem wir unter anderem Medikamente dorthin transportiert haben. Und bei unserem ‚Schweineprojekt' haben wir drei Schweine und deren Aufzucht bezahlt. Das Fleisch ging dann an Kindergärten. Die Stadt Konstanz, insbesondere Horst Frank, hat das sehr stark unterstützt. Auch der Gemeinderat hat mit Finanzspritzen geholfen.
Warum wurde die Friedensinitiative im Lauf der Jahre immer kleiner und besteht heute nur noch aus wenigen Aktiven?
Unsere Initiative war Teil der Friedensbewegung. Es galt, die Stationierung der Mittelstreckenraketen zu verhindern. Als das dann geschafft war, fühlten sich viele Leute nicht mehr so direkt bedroht und waren nicht mehr so aktiv. Bei jedem Krieg, also dem Jugoslawienkrieg, dem Irakkrieg, waren wieder ein paar mehr Leute aktiv, aber das ist auch wieder abgeebbt.
Dabei wird die Bodenseeregion immer wieder als einer der größten Rüstungsstandorte gehandelt. Interessiert das die Leute nicht?
Dem Großteil der Menschen fehlt die persönliche Betroffenheit. Außerdem ist es ja erst in letzter Zeit durch die Presse ein bisschen bekannter geworden, dass hier viel Rüstung produziert wird. Und am Bodensee werden ja keine Panzer oder Bomben hergestellt, sondern die hier produzierten Teile werden irgendwo verbaut. Damit fürchtet man sich weniger davor.
Die »Zeit« hat geschrieben: »Echte Pazifisten sind rar am Bodensee«. Stimmen Sie zu?
Die »Zeit« weiß wohl nicht so genau, was Pazifisten sind. In der Friedensinitiative sind nicht alle Pazifisten, ich bin auch kein Pazifist. Denn ich bin froh und dankbar, dass die USA, England und damals die Sowjetunion uns vom Faschismus befreit haben. Wenn man unter Pazifisten Leute versteht, die auf der Straße stehen und demonstrieren, dann würde ich mir natürlich mehr davon wünschen. Aber da unterscheidet sich Konstanz nicht so sehr von anderen Gegenden.
Ist eine Welt ohne Waffen möglich oder ist es doch eine Utopie?
Utopien können sehr fruchtbar sein – als Richtungsangabe, wohin man will, auch wenn das nie ganz eingelöst werden kann. Natürlich muss die Polizei bewaffnet sein. Dabei würde ich mir schon wünschen, dass wir eine Gesellschaft haben, in der das nicht mehr nötig wäre. Je weniger Konflikte man mit Gewalt regeln muss, desto besser lebt die Gesellschaft insgesamt. In den USA gibt es acht- oder zehnmal mehr Morde als bei uns. Das hängt auch mit der Verfügbarkeit der Waffen dort zusammen. Und Griechenland hat für acht Milliarden Euro Waffen von Deutschland gekauft. Das griechische Haushaltsdefizit wäre sehr viel geringer, wenn das nicht geschehen wäre. Würde man dieses Geld an hungernde Kinder in Afrika geben, wären wir ein gutes Stück weiter. Das ist natürlich eine Utopie. Ein Leitbild, in welche Richtung es gehen soll oder muss. Dass Deutschland Waffen exportiert, und zwar auch an Diktaturen und in Bürgerkriegsregionen, ist ein nicht hinzunehmender Skandal.
Fragen: Kirsten Schlüter
Zur Person
Maik Schluroff, 68 Jahre, wurde in Berlin geboren. Nach seiner Zeit als Flüchtlingskind wuchs er bei Kassel auf und machte sein Abitur in Mittelhessen. Es folgten das Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie in Marburg, ein Jahr USA und 1970 der Umzug nach Konstanz. Dort hat Maik Schluroff promoviert. Er war 1979 Gründungsmitglied der Konstanzer Friedensinitiative. Seit 1980 ist er als EDV-Berater selbstständig und arbeitet als Protokollführer beim Flüchtlingsempfangszentrum Kreuzlingen. In seiner Freizeit fährt der 68-Jährige Rad und Kajak, engagiert sich bei der Initiative Stolpersteine, macht Mikro-Theater mit Feuerspucken und magischen Tricks.