Interview mit JG
»Trotz der Niederlage wird man weiter Drohnen entwickeln«
im Weserkurier, Seite 3, vom 24.05.2013



Trotz der Niederlage wird man weiter Drohnen entwickeln

Der Autor und Friedensaktivist Jürgen Grässlin hat gestern in Berlin das »Schwarzbuch Waffenhandel« vorgestellt. Paul Hellmich sprach mit ihm über die deutsche Rüstungsbranche.

Welche Rolle spielt der Waffenhandel für Deutschland?

Grässlin: Deutschland ist nach den USA und Russland die drittgrößte Waffenexportnation der Welt. Trotzdem ist die Rüstungsbranche keine Schlüsselindustrie. Heute sind gerade einmal 80000 Menschen mit der Kriegswaffenproduktion beschäftigt. Der Anteil am deutschen Gesamtexport liegt bei 0,12 Prozent.

Mit dem Euro Hawk ist gerade ein großes Drohnen-Projekt gescheitert. Sind Drohnen für deutsche Firmen noch interessant?

Der EADS-Vorstand hat auf der vorletzten Hauptversammlung verkündet, dass es zwei Zukunftsoptionen für den Konzern gebe: Grenzsicherungssysteme und unbemannte Flugkörper. Trotz der Niederlage wird man weiter Drohnen entwickeln.

Was bedeutet es für die Industrie, wenn die Regierung jetzt auf geleaste amerikanische oder israelische Drohnen setzt?

Das wäre ganz im Sinne der EADS. Leasen bedeutet eine zeitliche Befristung. Der Konzern hätte somit Zeit, die er benötigt, um eigene Kampfdrohnen auf den Markt zu bringen.

Welche Rolle spielt die Bundeswehrreform für den Waffenhandel?

Für die Rüstungsindustrie stellt die Verringerung der Truppenstärke ein immenses Problem dar, weil damit Aufträge reduziert werden oder ganz wegbrechen. Sie setzt verstärkt auf Export; auf den Ausbau bestehender Märkte, aber auch die Erschließung neuer Märkte, etwa in Brasilien.

Wie hat sich der Waffenhandel in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Unter Helmut Kohl nahm der Waffenhandel rapide zu. Mit seinen vier Legislaturperioden ist er bis heute Rüstungsexportmeister Deutschlands. In den ersten Jahren von Rot-Grün wurde der Waffenhandel erfreulicherweise abgebaut. Nach den Attentaten des 11. September 2001 änderte sich das aber radikal. Unter der Regierung Merkel wurde 2010 der bisherige Rekordwert erreicht - mit Kriegswaffenlieferungen im Wert von über zwei Milliarden Euro.

In Ihrem Buch kritisieren Sie Politiker aller großen Parteien.

Es gibt eine Koalition zwischen SPD, Grünen, FDP und der Union, die Waffenexporte fördert. Aus diesem Grunde habe ich im »Schwarzbuch Waffenhandel« Täterbiografien von Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Angela Merkel, Guido Westerwelle und Joschka Fischer verfasst. Sie alle tragen Mitschuld am Massenmorden.

Sie beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit dem Thema. Hat Sie bei den Recherchen für Ihr Buch noch etwas überrascht?

Mir ist bewusst geworden, wie dramatisch das Scheitern von Rot-Grün war. Außerdem stoße ich immer wieder auf Aussagen von Rüstungsmanagern, denen nicht bewusst ist, welch exorbitante Zahlen von Opfern sie auf dem Gewissen haben.

[Foto JG]

Zur Person
Jürgen Grässlin
, Jahrgang 1957, hat mehrere Bücher über die Bundeswehr und die deutsche Waffenindustrie verfasst. 2011 wurde er für seine Arbeit mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.