Interview von Panja Schollbach mit JG
»Illegaler Waffendeal bei Heckler & Koch
‚Offenbar sollen Sündenböcke herhalten'«
in Südwestrundfunk SWR online vom 03.12.2013



Interview in SWR online vom 03.12.2013

Illegaler Waffendeal bei Heckler & Koch
»Offenbar sollen Sündenböcke herhalten«

Zwei Ex-Mitarbeiter von Heckler & Koch sollen für illegale Waffenlieferungen nach Mexiko verantwortlich sein. Das Unternehmen weist jede Verantwortung zurück. Der Freiburger Rüstungsexperte Jürgen Grässlin hatte den Fall ins Rollen gebracht. Im Interview schildert er, woher seine geheimen Infos stammten.

[Portraitfoto JG]

Sie selbst haben mit einer Strafanzeige gegen Heckler & Koch vor drei Jahren den Stein ins Rollen gebracht und die illegalen Waffenlieferungen in vier mexikanische Unruheprovinzen aufgedeckt. Wie kamen Sie an die Infos?

Jürgen Grässlin: 2009 hat sich ein verzweifelter Mitarbeiter aus dem Waffenvorführteam von Heckler & Koch bei mir gemeldet. Er behauptete, über handfeste Beweise für einen illegalen Waffendeal des Oberndorfer Unternehmens zu verfügen. Eine Lieferung von G36-Sturmgewehren nach Mexiko – auch in die Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco. Er selbst war einer von drei Mitarbeitern, die wegen des Rüstungsdeals nach Mexiko reisten. G36-Gewehre wurden sowohl in Mexiko-Stadt vorgeführt, aber auch nachweislich in zwei der vier Unruheprovinzen, in die Waffenlieferungen streng verboten sind. Und das lässt sich belegen: Es existiert eine Dankesurkunde an Heckler & Koch-Mitarbeiter seitens der Polizei aus der Provinz Jalisco. Ich habe mich mehrfach mit dem Informanten getroffen, seine Aussagen kritisch geprüft und dann meinen Anwalt Holger Rothbauer eingeschaltet. In meinem Namen stellte er dann im April 2010 Strafanzeige gegen Heckler & Koch. Der Mitarbeiter hat das Unternehmen wegen des illegalen Waffendeals verlassen.

Heckler & Koch weist eine Verantwortung an dem Deal von sich und beschuldigt stattdessen zwei Ex-Mitarbeiter. Die klagen gegen ihren Rauswurf. Halten Sie es für möglich, dass keiner der Chefs etwas von dem illegalen Deal gewusst hat?

Grässlin: Mein Informant sagt unmissverständlich, auch im Topmanagement habe man von dem illegalen Waffendeal gewusst. In dem Zusammenhang ist der Fall des Ex-Geschäftsführer von Heckler & Koch, Peter Beyerle, besonders spannend. Er war zuvor Landgerichtspräsident in Rottweil, das üblicherweise auch über illegalen Waffenhandel von Heckler & Koch entscheidet. Nach seiner Pensionierung wechselte er in die Geschäftsführung der Oberndorfer Waffenschmiede. Höchstpersönlich hat er den Waffendeal mit Mexiko beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, dem BAFA, und dem Bundeswirtschaftsministerium beantragt. Nach meiner Strafanzeige ist er - offiziell aus Altersgründen - zurückgetreten. Gemäß der Aussagen meines Informanten spricht aber vieles dafür, dass die Führungsebene direkt in den illegalen Waffendeal involviert war.

Wie lässt sich das belegen?

Grässlin: Alle Auslandsreisen - auch nach Mexiko in die verbotenen Provinzen - müssen von einem Mitglied der Geschäftsführung bei Heckler & Koch abgezeichnet werden. Zuständig ist in der Regel der Rüstungskontrollbeauftragte der Firma.

Wie groß war denn der Auftrag Ihren Erkenntnissen zufolge?

Grässlin: Wir reden nicht von einzelnen Gewehren, sondern von 9.652 Sturmgewehren, die Heckler & Koch nach Mexiko lieferte – unglaubliche 4.796 Gewehre landeten in den vier Unruheprovinzen. Das Geschäft hatte einen Gesamtwert von mehr als 13 Millionen Euro. Mein Informant erhebt den Vorwurf, dass auch ein General aus dem mexikanischen Verteidigungsministerium bestochen worden sein soll. Für jede Waffe, die er dann in die vier verbotenen Provinzen weitergeliefert haben soll, soll er zwischen 20 und 25 US-Dollar bekommen haben.

[Foto G36 bei der Bundeswehr]

Wie gelangten denn die Waffen in die Unruheprovinzen? Liegt das in der Verantwortung von Heckler & Koch?

Grässlin: Die ehemalige Bundesregierung hat verfügt, dass nur 28 von 32 mexikanischen Provinzen beliefert werden dürfen, in denen die Sicherheitslage zuweilen besser ist. Soweit man weiß, wurde das Verteidigungsministerium in Mexiko beliefert und von dort wurden die Gewehre dann auch in die verbotenen Provinzen verteilt.
In diesem Sinne hat das mexikanische Verteidigungsministerium bestätigt, dass die Gewehre auch in die vier Unruheprovinzen verbracht wurden. Allerdings habe man nicht gewusst, dass die Waffen nicht dorthin geliefert werden dürften. Die Mitteilung zum Nachweis des Endempfängers, des Endverbleibs und des Verwendungszwecks hätte laut § 17 der Außenwirtschaftsverordnung die Firma Heckler & Koch übernehmen müssen. Sie ist nämlich gesetzlich verpflichtet, den Empfängern Exportbeschränkungen mitzuteilen.

Wie beurteilen Sie den Deal unter dem Gesichtspunkt von Menschenrechten?

Grässlin: Aus Sicht der Menschenrechte ist das alles eine Katastrophe. Die Heckler & Koch-Gewehre werden ja an die Polizei geliefert. Sie ist in Mexiko aber nicht im Mindesten mit der deutschen vergleichbar, sondern vielfach korrupt. Die Sturmgewehre verschwinden, tauchen selbst bei der Drogenmafia auf oder werden bei Polizei-Aktionen eingesetzt, die massiv gegen Menschenrechte verstoßen. Die Gewehre kommen beispielsweise bei friedlichen Protesten von Studenten zum todbringenden Einsatz. Die Folgen sind eklatant: Aufgrund dieses illegalen Waffendeals sterben Menschen. Der Sonderfall Mexiko, wonach einzelne Provinzen eines Landes beliefert, andere nicht beliefert werden dürfen, belegt in erschreckender Weise: Rüstungskontrolle in Deutschland funktioniert nicht im Mindesten.

Sie und Heckler & Koch verbindet eine jahrelang gepflegte Feindschaft. Warum geht Ihnen das Unternehmen so gegen den Strich?

Grässlin: Als Pazifist habe ich keine Feinde, als Demokrat poche ich auf die Einhaltung der Gesetze. Die Massenvernichtungswaffe Nummer eins auf dem Globus ist das Gewehr. Zwei Drittel aller Kriegstoten sind Gewehrtote. Heckler & Koch ist nicht irgendeine x-beliebige Firma, sondern angesichts der Opferzahlen das tödlichste Unternehmen in ganz Europa. Bislang starben mehr als zwei Millionen Menschen durch die Kugeln aus dem Kauf von Heckler & Koch-Waffen. Es gibt nur zwei Regionen, die nicht mit Heckler & Koch-Waffen versorgt sind: die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts und die Antarktis.

Welche Rolle spielten die beiden Ex-Mitarbeiter, die nun in Villingen gegen ihre Entlassung klagen?

Axel H. und Marianne B. wurden von der Geschäftsführung illegaler Handlungen bezichtigt und fristlos entlassen. Inwiefern dieser Vorwurf zutrifft, muss die Justiz entscheiden. Unbestreitbar ist, dass Herr H. vor Ort einer der direkt Beteiligten am widerrechtlichen Mexiko-Deal war, allerdings nicht als Hauptverantwortlicher. Die Spur weist zielgenau in die Konzernspitze. In Villingen sollen aus Unternehmenssicht offensichtlich Sündenböcke für die Machenschaften anderer herhalten.

Wie geht es denn jetzt weiter?

Grässlin: Jedenfalls äußerst spannend. Seit meiner Strafanzeige ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Sie hat mehrere Hausdurchsuchungen in Firmen- und Privaträumen durchgeführt. Auf diesem Weg ist sie beispielsweise in den Besitz der Hotelrechnungen und Reiseunterlagen in die verbotenen Provinzen gekommen, offensichtlich genehmigt von einem Mitglied der Heckler & Koch-Führungsebene.

Wer ermittelt noch in dem Fall?

Sehr ernsthaft ermittelt das Landeskriminalamt Baden-Württemberg, der Abschlussbericht steht mittlerweile vor dem Abschluss. Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen die Verantwortlichen in der Führungsebene von Heckler & Koch in der ersten Jahreshälfte 2014 Anklage wegen Verletzung des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes erheben wird. Haftstrafen ab zwei Jahren aufwärts drohen. In diesem Sinne ist der Prozess gegen die beiden Ex-Mitarbeiter jetzt die Ouvertüre, die Oper wird folgen.

Der Rüstungsexperte Jürgen Grässlin wurde 2011 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. 2013 erschien sein »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient« mit brisanten Informationen zum Mexiko-Deal. Er ist Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.), Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«.

Das Interview führte Panja Schollbach

http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/-/id=1622/nid=1622/did=12481612/ub22lj/index.html