Interview Evangelischer Pressedienst »Der Anti-Bushismus
eint die Widerstandsbewegung«
16. 04. 2003


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16.04.2003: Interview Evangelischer Pressedienst (epd)
»Der Anti-Bushismus eint die Widerstandsbewegung«


Freiburg (epd). Die bereits für tot erklärte Friedensbewegung ist wieder aktiv und wirkt seit Beginn des Irak-Krieges stärker denn je. Über die Hintergründe sprach epd-Mitarbeiterin Ulrike Schnellbach mit dem Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFGVK), Jürgen Grässlin (Freiburg).

epd: Der Irak-Krieg hat der Friedensbewegung unglaublichen Zulauf verschafft. Wer ist es denn, der da auf die Straße geht?

Jürgen Grässlin: Es sind drei Gruppierungen. Wir haben zum einen in der Jugend eine Politisierung wie seit der 68er-Bewegung nicht mehr. Jugendliche organisieren völlig unabhängig von der traditionellen Friedensbewegung Massenkundgebungen mit erstaunlich qualifizierten Rednerinnen und Rednern. Die zweite Gruppe ist die Globalisierungsbewegung unter dem Dach von Attac, die den Blick auf die globalen Folgen von Aufrüstung und Militarisierung lenkt. Und die dritte ist die traditionelle Friedensbewegung aus den 80er Jahren, die in ihren Strukturen bis heute besteht, jahrelang aber unter mangelndem Zulauf litt. Dieser Zusammenschluss, ergänzt durch Vertreterinnen und Vertreter der SPD und der Grünen sowie der Kirchen und Gewerkschaften, hat dazu geführt, dass wir die größten Friedenskundgebungen seit den 80er Jahren hatten zum Teil sogar die größten aller Zeiten.

epd: Nach dem ersten Irak-Krieg wurde die Friedensbewegung oft für tot erklärt. Beim Kosovo-Krieg, beim Mazedonien-Einsatz und beim Afghanistan-Feldzug war ja auch nicht viel von ihr zu sehen. Wie kommt es, dass sie nun wieder so aktiv ist?

Grässlin: Das liegt daran, dass wir diesmal trotz deren passiver Unterstützung des Irak-Krieges - mit Regierungsvertretern gemeinsam demonstriert haben, die sich erfreulich klar gegen diesen Krieg ausgesprochen haben. Dagegen hatte die Bundesregierung ja den Kosovo-, den Mazedonien- und den Afghanistan-Einsatz deutlich unterstützt. Ich hoffe, dass die rot-grüne Bundesregierung aus dem dramatischen Fehler gelernt hat, sich völkerrechtswidrig an dem Krieg gegen die serbische Zivilbevölkerung zu beteiligen. Die klare Ablehnung des Irak-Krieges auf politischer Ebene war richtig. Ich stelle aber der Bundesregierung die Frage, ob sie jetzt wirklich erkannt hat, dass nur die Vereinten Nationen als Weltfriedensorganisation geeignet sind, Konflikte zu entschärfen.

epd: Eine andere Erklärung für den Zulauf der Friedensbewegung könnte diese sein: Es ist eben einfacher, gegen die Supermacht USA zu demonstrieren als gegen eine breite Koalition von Kriegführenden. Hat die Massenbewegung also eher zu tun mit Anti-Amerikanismus oder der Furcht vor einer neuen, amerikanischen Weltordnung?

Grässlin: Wir haben in den letzten Monaten eng mit vielen Nichtregierungsorganisationen in den USA zusammen gearbeitet, die sich nach Kräften gegen diesen Krieg gestemmt haben. Hier wird kein Anti-Amerikanismus betrieben, sondern ein »Anti-Bushismus«. Es ist eine breite, weltweite Widerstandsbewegung, die Nein sagt zu der angedachten neuen Weltordnung und diesem ersten Weltordnungskrieg.

epd: Die Bilder von jubelnden Menschen in Bagdad, die den Sturz der Saddam-Statuen feiern, scheinen den Amerikanern und Briten allerdings Recht zu geben: Wie in Afghanistan wurde ein Volk von einem diktatorischen Regime befreit, nun kann es den Weg zur Demokratie einschlagen. Kann man wirklich dagegen sein?

Grässlin: Ich bin Menschenrechtler und Mitglied von Amnesty International und weiß, dass Saddam Hussein seit 1979 als Präsident des Irak schlimmste Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Der überwiegende Teil des irakischen Volkes hat unter ihm gelitten. Es verwundert nicht, wenn diese Menschen jetzt auf die Straße gehen und die Statuen umreißen. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Jubel nicht den Befreiern gilt, sondern dem Sturz von Saddam Hussein ...

epd: ...den die Amerikaner und Briten herbeigeführt haben!

Grässlin: ... mit militärischen Mitteln und unter Demütigung der gesamten arabischen Welt - und somit unter Inkaufnahme der Folgen. Aus meiner Sicht ist der Sieg der Amerikaner ein Pyrrhussieg. Ich glaube, dass die US-Besatzer relativ schnell zu spüren bekommen, dass man mit Bomben nur Unfrieden und neuen Terrorismus sät. Wir haben im Irak-Krieg, ebenso wie im Krieg gegen Serbien und in vielen anderen Kriegen, wo sich die westlichen Nationen militärisch eingemischt haben, Abertausende ziviler Opfer, von denen hinterher kein Mensch mehr sprechen will. Wenn man sich in diesen Tagen auf die Friedhöfe und in die Krankenhäuser von Bagdad begibt, trifft man dort auf tote und verstümmelte Menschen die so genannten Kollateralschäden -, und das wiederum sät Hass auf Jahrzehnte hinaus. Die ersten Selbstmordattentäter, die amerikanische Soldaten in den Tod gerissen haben, werden keine Ausnahme bleiben. Das Grundproblem des Terrorismus - und der ungerechten Weltwirtschaftsordnung wurde also nicht weggebombt, sondern verstärkt.

epd: Trotzdem könnte es sein, dass der schnelle militärische Erfolg die USA nicht dazu veranlasst, ihre Strategie zu überdenken, sondern eher ein »Weiter so«  bewirkt Stichwort Syrien und Iran.

Grässlin: Das befürchte ich auch. Vordergründig wird dieser Krieg den Amerikanern Rückenwind verleihen - und sie in die Falle führen, die sie sich selbst gestellt haben. Das Signal, das dieser Krieg aussendet, heißt: Wer abrüstet, wird zusammengebombt, wer wie Nordkorea mit A-, B- oder C-Waffen hochrüstet, muss nicht fürchten, dass die Amerikaner intervenieren, weil sie Angst vor diesen Waffen haben. Der Irak-Krieg wird eine neue Aufrüstungsspirale zur Folge haben.

epd: Wie wird es mit der Friedensbewegung nach den Ostermärschen am Samstag (19. April) weitergehen? Werden Sie das Niveau halten können, wenn die USA einen weiteren Krieg führen sollten? Oder würde da nicht ein gewisser Gewöhnungseffekt, eine Resignation eintreten?

Grässlin: Gewöhnung glaube ich nicht, Resignation hoffe ich nicht. Wir haben gelernt, dass wir einen langen Atem brauchen, um Strukturen zu ändern. Es muss uns gelingen, mit den richtigen Argumenten auf die Bedrohung sowohl des Terrorismus als auch des »Bushismus« hinzuweisen. Sollten die USA weitere Staaten wie Syrien, Libanon, Saudi-Arabien, Jordanien, Libyen und viele andere laut US-Vizepräsident Cheney 40 bis 50 Terror-Staaten bombardieren, dann ist allerdings weniger die Frage, ob es der Friedensbewegung gelingt, die Leute dagegen auf die Straße zu bringen. Dann ist vielmehr die Frage, ob es gelingt, den weltweit entstehenden Flächenbrand noch in den Griff zu bekommen. Da sehe ich dann eher schwarz. (0539/16.04.03)