Artikel von JG »Antworten Sie, Dr. Z!«
in die tageszeitung (taz) vom 04.04.2007




Antworten Sie, Dr. Z.!

VON JÜRGEN GRÄSSLIN

Seit zwölf Jahren ist Dr. Dieter Zetsche Mitglied des DaimlerChrysler-Vorstands, seit 2006 lenkt er den Gesamtkonzern. Anfangs als erfolgreicher Nachfolger von Jürgen Schrempp zum Super-Manager stilisiert, fällt seine Gesamtbilanz negativ aus: In seiner Ära als Vertriebsvorstand blühten die Graumarktgeschäfte mit freien Autohändlern, um Absatzprobleme des Konzerns zu verschleiern. Als Nutzfahrzeugvorstand musste er ebenfalls einen Einbruch des Absatzes verkraften, als Vorstand von Chrysler in der US-Zentrale schrieb er trotz radikaler Schnitte rote Zahlen. Heute verantwortet er die verfehlte Chrysler-Fahrzeugpalette, Massenentlassungen und Werkschließungen in den USA.

Die Folgen jahrelanger Fehlsteuerungen sind dramatisch - für den ganzen Konzern. Was einst utopisch klang, fordern auf der heutigen Hauptversammlung die institutionellen Anleger der Banken und Fonds: die Zerschlagung von DaimlerChrysler. Verantwortlich für das Scheitern der »Welt AG« ist allerdings Jürgen Schrempp, Zetsches Vorgänger als Vorstandschef. Als Schrempp am 18. September 1998 die Fusion von Daimler und Chrysler verkündete, versprach er, der Konzern werde »das innovativste, profitabelste und das weltweit am besten aufgestellte Unternehmen seiner Branche werden«. Doch schon bei Schrempps Abgang im Dezember 2005 war die »Hochzeit im Himmel« (Schrempp) zur Bruchlandung auf Erden verkommen: Börsenwert und Aktienkurs hatten sich in der Zeit fast halbiert, über 80.000 Beschäftige wurden entlassen, rund 100.000 überproduzierte Fahrzeuge standen auf Halde und in Showrooms.

Die Karriere von Dieter Zetsche war schillernd. Als er im September 1999 vom Vertriebsvorstand auf den Chefsessel der Sparte Nutzfahrzeuge wechselte, trat er einen Posten an, um den ihn anfangs viele beneideten. Bevor Zetsche kam, konnte die Produktion von 1998 auf 1999 um mehr als 58.000, der Absatz um mehr als 65.000 Fahrzeuge gesteigert werden. Damals hatten die Mercedes-Trucks im sechsten Jahr in Folge neue Rekordwerte erzielt. Doch in der nur einjährigen Amtszeit des Nutzfahrzeugvorstands Zetsche erhielt die vormals brillante Bilanz unschöne Schrammen: Der Operating Profit stagnierte weitgehend, die Produktion musste von 1999 bis 2000 um knapp 3.000 Fahrzeuge verringert werden, fast 6.000 Stück wurden weniger verkauft.

Dem Kurztrip in die Welt der Trucker folgte im November 2000 die Berufung zum Chrysler-Chef in der Firmenzentrale in Auburn Hills. In der schwer angeschlagenen US-Sparte verrichtete Zetsche, in den USA »Setschi« genannt, ganze Arbeit: Sechs Werke wurden geschlossen, zur Freude der Börse fanden sich anfangs 26.000, letztlich sogar 38.000 Beschäftigte vor der Tür wieder. Der Kurs der DaimlerChrysler-Aktie stieg, wenngleich sie bis heute nicht den Wert vor der Fusion erreicht hat.

Dem Versagen von Jürgen Schrempp als Konzernchef verdankt Zetsche seinen eigenen Aufstieg. Schrempp hat es geschafft, das DaimlerChrysler-Desaster zu fabrizieren und als größter Arbeitsplatz- und Kapitalvernichter in die Daimler-Firmengeschichte einzugehen. Seine falsche Konzernstrategie verschlang Milliarden Dollar und Euro, mit denen die falschen Managemententscheidungen bei Mitsubishi Motors und Chrysler finanziert wurden. Das Geld fehlte schließlich hierzulande, um die Qualität der weltweit begehrten Mercedes-Wagen und damit die Arbeitsplätze bei der Mercedes Car Group zu sichern.

Der Retter in der Not nahte im Sommer 2005 just in Person des als Sanierer gefeierten Chrysler-Chefs Dr. Dieter Zetsche. Dieser setzte sich in der heißen Phase des Schrempp-Rücktritts für viele überraschend gegen seinen Mitkonkurrenten, den Mercedes-Vorsitzenden Eckhard Cordes, durch. Zetsches Image schien makellos: Die rigiden Restrukturierungsmaßnahmen hatten Chrysler anscheinend wieder auf Kurs gebracht.

Außerdem ließ er sich als menschlicher Manager bestens vermarkten: Zetsche zapft sich zuweilen das Bier bei Partys selbst. Zetsche spielt gut Gitarre, er tanzt gerne, beim Essen reiht er sich auch hinter Angestellte ein.

Zetsche ist ein hartgesottener Manager, dem der Humor dennoch nicht abhandengekommen ist - verbreiteten die Daimler-PR-Abteilung und die Wirtschaftspresse, Analysten und Anleger nahmen es gern auf. Hinter der irrationalen Euphorie um Zetsches Person verbarg sich nicht zuletzt die nachvollziehbare Sehnsucht nach einem Messias, der den Auto- und Rüstungsriesen DaimlerChrysler aus der Schrempp'schen Dauerkrise führen sollte. Rational erklärbar aber war das nur bedingt. Denn Zetsches rigider Restrukturierungskurs hatte die dramatischen Verkaufseinbrüche und selbstzerstörerischen Rabattschlachten auf dem US-Markt nicht beendet. Das ganze Chrysler-Debakel offenbart sich in den Bilanzen: Seit der Jahrtausendwende - Zetsches Amtsantritt in Auburn Hills - konnten lediglich Gewinne in Höhe von 4 Milliarden Euro erwirtschaftet werden. Bis zu seinem Antritt als DaimlerChrysler-Vorsitzender in Stuttgart im Januar 2006 konnte er die Verluste der US-Sparte in den Jahren 2001 und 2003 in Höhe 5,8 Milliarden Euro nicht ausgleichen.

Bis heute geht das Chrysler-Desaster ungebremst weiter, was auch Zetsche angelastet werden muss. Als langjähriger Chrysler-Chef trug er bis 2005 auch die Verantwortung für die Fahrzeugentwicklung des US-Unternehmensbereichs. Während Toyota mit den ökologisch orientierten Hybridfahrzeugen Prius und Lexus den US-Markt eroberte, hatte er auf spritfressende Pickups und Minivans gesetzt, die viel zu oft zu Ladenhütern mutierten.

Selbst die auf ihn zugeschnittene Werbekampagne »Ask Dr. Z.« konnte da nicht helfen. Im Juli 2006, dem Monat, als die Werbefigur Dr. Z. die US-Öffentlichkeit mit originellen Spots beglückte, brach der Chrysler-Markt um rund 35 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ein. Die Personality-Kampagne wurde bereits im September wieder gestoppt. Treffend kommentierte der CNW-Marktforscher Art Spinella in der US-Fachzeitschrift Automotive News: »Das Marketinggeld zwischen Dr. Z. und Discountangeboten aufzuteilen, hat überhaupt nichts gebracht«, kostete jedoch geschätzte 100 Millionen Dollar. Die Arbeit ist Zetsche dennoch nicht ausgegangen: Als Internetakteur nahm der virtuelle Dr. Z. unter www.askdrz.com bisher fast 6,5 Millionen Anfragen entgegen. Geholfen hat das aber nahezu nichts. Allein im vergangenen Jahr belastete der US-Patient Daimlers Bilanz um weitere 1,1 Milliarden Euro, macht abzüglich der Gewinne einen Gesamtverlust von 2,9 Milliarden Euro für die vergangenen sechs Jahre. Bislang hat Zetsche zudem kein überzeugendes Sanierungskonzept vorgelegt. Klar ist nur, dass DaimlerChrysler weitere Milliarden investieren muss, um weitere Verluste zu begrenzen.

Dem neuen DaimlerChrysler-Chef Zetsche kann man allenfalls zugutehalten, dass er die Mercedes Car Group - wenn auch in altbekannter Manier - vorerst in die schwarzen Zahlen zurückgeführt hat. Zetsches Sanierungspolitik in den USA ist jedenfalls kläglich gescheitert, der ursächliche Grund seiner Inauguration hinfällig und sein heutiger Anspruch auf den Vorstandsvorsitz der DaimlerChrysler AG schlichtweg verschwunden. Seine zweifelhaften Kompetenzen beim Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen und Schließen von Produktionsstätten bieten keinen Anlass für eine Weiterbeschäftigung als Daimler-Vorsitzender - zumal bei einem Jahressalär von 5 Millionen Euro. Dagegen lassen Zetsches unzureichende Entscheidungen bei der Ökologisierung der Fahrzeugflotte, dem Schaffen neuer Arbeitsplätze und der Konzentration aufs Kerngeschäft mit dem notwendigen Ausstieg aus Waffenproduktion und -exporten beim Rüstungsriesen Daimler/EADS das Schlimmste für die zukünftige Entwicklung des Gesamtkonzerns befürchten.

Am 14. Februar 2007 hat Zetsche Klartext gesprochen und angekündigt, weitere 13.000 Stellen in den USA und Kanada zu streichen und mehrere Werke zu schließen. Zetsches Ankündigung »alle Optionen« - und damit auch den Verkauf von Chrysler - prüfen zu lassen, beflügelte den Kurs der Daimler-Aktie derart, dass sie in kürzester Zeit um über 5 Prozent stieg. Zetsches Manager nahmen Kontakt mit Finanzinvestoren und Autokonzernen auf, und schon bald hieß es, Renault, Nissan und Hyundai wollten Chrysler übernehmen. Mitnichten. Warum sollten sie auch? General Motors könnte sich allenfalls für die Jeep-Sparte interessieren.

Doch selbst wenn es gelingen sollte, Chrysler in naher Zukunft zu verramschen, dürfte der aktuelle Kaufpreis weit unter dem Wert der Vorjahre liegen, als die US-Sparte zeitweilig schwarze Zahlen schrieb. Die Sanierung des Daimler-Konzerns kann jedoch nur gelingen, wenn Chrysler abgekoppelt wird, sei es durch einen eigenen Börsengang oder durch Verkauf. Damit einhergehen muss ein Katalog von Maßnahmen, deren Umsetzung für die Beschäftigten sozialverträglich erfolgen muss. Zu ihnen zählen die Ökologisierung der gesamten Fahrzeugproduktion, die ersatzlose Einstellung der Maybach-Fertigung, die Wiederherstellung höchster Fahrzeugqualität, der völlige Verzicht auf Graumarktgeschäfte mit freien Händlern und die Konzentration auf das automobile Kerngeschäft mit dem Ausstieg aus der Rüstungsproduktion und menschenverachtenden Waffentransfers. Diese konsequente Neuorientierung der Geschäftspolitik würde verlorenes Vertrauen schrittweise wiederherstellen, die Arbeitsplatzsicherheit erhöhen und den Unternehmenswert spürbar steigern.

Auf der heutigen Hauptversammlung von DaimlerChrysler in Berlin wird Dieter Zetsche sich den berechtigten Fragen seiner Aktionäre stellen und glaubwürdige Lösungsstrategien aufzeigen müssen. Der frühere Daimler-Chef Edzard Reuter träumte einst von einem »integriertem Technologiekonzern«, sein Nachfolger Schrempp von der »Welt-AG«. Damit Zetsche nicht eines Tages eine »Toyota-Tochter« verlassen muss, wenn der Daimler-Restkonzern vom japanischen Autokonzern übernommen wurde, muss Zetsche schnell handeln. Die Weichen dafür sind gestellt, die Zeichen stehen auf Verkauf.

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) und Autor mehrerer Bücher über den Konzern. Diese Woche erscheint von ihm »Abgewirtschaftet?! Das Daimler-Desaster geht weiter«.

taz Nr. 8243 vom 4.4.2007, Seite 5, 367 TAZ-Bericht JÜRGEN GRÄSSLIN