Adrian Prechtel
[Fotos] Sie sind die »Meister des Todes«: Udo Wachtveitl als deutscher Waffen-Vertreter und Heiner Lauterbach als Vertriebschef bei der Waffenpräsentation vor mexikanischem Militär. Die im Film gezeigte Firma HSW hat nicht zufällig größte Ähnlichkeiten mit Heckler & Koch. Foto: Diwa Film
Illegaler Waffenhandel: Nach dem Themenabend der ARD »Meister des Todes« können in Industrie und Bund Köpfe rollen. Was ist faul im Staate? Ein Interview mit einem, der es weiß: Jürgen Grässlin.
Jürgen Grässlin sitzt der Rüstungs- und Autoindustrie im Nacken und ist sich sicher: »Millionen Menschen werden heute gebannt vor dem Fernseher sitzen und sich die Augen reiben: Denn dieses Desaster der Zusammenarbeit von Unternehmen und Bundesausfuhramt, Bundeswirtschaftsministerium und Auswärtigem Amt kann man sich kaum vorstellen!«
AZ: Herr Grässlin, Bayern hat gerade Franz Josef Strauß' 100. Geburtstag begangen. Merkwürdig für jemanden wie Sie, der illegalem Waffenhandel nachspürt, oder?
JÜRGEN GRÄSSLIN: Ja, Bayern hat den Münchner Flughafen nach dem größten deutschen Rüstungsprotegé benannt. Strauß hat als Bundesverteidigungsminister die junge Republik zum Negativen verändert. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes gingen von der Friedenspflicht aus, als sie in Artikel 26 (2) die Verantwortung für Waffenhandel der Bundesregierung zusprachen. Das Nähere regelt ein Ausführungsgesetz, heißt es ergänzend.
Das sind das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz.
Und Strauß verantwortet die Schaffung zweier Ausführungsgesetze – schon hier stellt sich die Frage des Rechtsbruchs. Das Kriegswaffenkontrollgesetz sorgt für die scharfe Kontrolle innerhalb Deutschlands. Aber ab den deutschen Grenzen gilt das Außenwirtschaftsgesetz, das den »freien Warenhandel« definiert. Geschickt gemacht. Bezugnehmend auf das Außenwirtschaftsgesetz werden seit Jahrzehnten kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten mit deutschen Kriegswaffen vollgepumpt.
Nach diesen gesetzlichen Vorgaben legal oder illegal?
Geschätzte 98 Prozent der Rüstungsexporte erfolgen legal, rund zwei Prozent illegal – Tendenz steigend. Allerdings gibt es eine klare Regelung jenseits der Nato-Staaten oder Nato-assoziierten Staaten. Kriegswaffenexporte in sogenannte »Drittstaaten« dürfen nur in begründeten Ausnahmefällen genehmigt werden.
Das wäre ja vielleicht okay.
Nein, denn die sogenannte Ausnahme wurde zur Regel: 63,5 Prozent der Rüstungsexporte gehen mittlerweile in Staaten, wie Ägypten, Algerien, Saudi-Arabien und viele weitere, wo man mit deutschen Kriegsgerät die Demokratiebewegungen und Regime-Gegner zusammenschießt. Aufgrund der hemmungslosen Genehmigungspolitik des Bundessicherheitsrats unter Angela Merkel ist Deutschland zum viertgrößten Rüstungsexporteur der Welt avanciert.
Daniel Harrichs »Meister des Todes« spielt in Mexiko, ist fiktiv, beruht aber auf Fakten.
Ja. Als fachlicher Berater bei »Meister des Todes« muss ich bilanzieren: Mexiko war ein Testfeld der Bundesregierung dafür, ob Tausende von G36-Sturmgewehren in ein Land mit vereinzelt sicheren Bundesstaaten geliefert werden können und diese Waffen dort verbleiben. Das Ergebnis ist tödlich: Die Waffen wandern, Unschuldige werden mit G36 erschossen.
Aber wie ist das passiert?
Der Schuss ist nach hinten losgegangen. Heckler & Koch lieferte die Kriegswaffen an Mexiko. Widerrechtlich gelangten die G36-Gewehre in verbotene Unruheprovinzen, wo korrupte Polizisten eng mit der Drogenmafia zusammenarbeiten. H&K bildete sogar Polizisten in den Unruheprovinzen am G36 aus – dort wo die Gewehre nie hätten hingelangen dürfen. Jetzt wird geschossen und gemordet mit diesen Waffen. Ich erinnere nur an die Ermordung von sechs Studenten und das Verschwinden weiterer 43. Von rund 10 000 G36 gelangten die Hälfte in verbotene Unruheprovinzen. Die Posse gipfelte in der Tatsache, dass Heckler und Koch sogar Ersatzteile für diese Regionen nachbestellte. Das Bundesausfuhramt hat darauf hin »überrascht« festgestellt, dass der Antrag auch für Lieferungen in Provinzen gestellt wurden, wo die Waffen gar nicht sein dürften. Bei H&K hat man daraufhin kurzerhand behauptet: Sorry, wir haben versehentlich ein altes Formular benutzt. Das Ganze ist eine brutale Farce mit fatalen Folgen. Die Waffen marodieren und wandern in die Hände der Drogenmafia.
Woher wissen Sie so viel?
Von Aussteigern aus den Firmen Heckler & Koch, Sig Sauer und auch Carl Walther – Firmen, die ich inzwischen über meinen Anwalt allesamt angezeigt habe. Im Jahr 2010 packte ein H&K-Mitarbeiter mir gegenüber voll umfänglich aus.
Ein weiterer Weg, Exportverbote zu umgehen, ist sicher, dass gelieferte Waffen vom Importeur einfach weiterverkauft werden.
Zum Beispiel das diktatorische Regime in Saudi Arabien: In den Siebzigerjahren hatte die Bundesregierung eine Lizenz zur Produktion von G3 Sturmgewehren vergeben. Saudi-Arabien missachtete das Endverbleibszertifikat und exportierte widerrechtlich in die Bürgerkriegsländer Sudan und Somalia. Dennoch erhielt das wahhabitische Herrscherhaus 2008 eine G36-Lizenz – ein extrem folgenschwerer Rüstungsexport.
Was erwarten Sie von der Wirkung eines neuen Buches, das Sie verfasst haben (siehe unten) des Buches, des Filmes »Meister des Todes«, des heutigen Themenabends?
Die Aufdeckung eines in Deutschland bislang nie gekannten Exportskandals, eine Art Watergate für Heckler & Koch und die Bundesregierung – der Beginn von »Hecklergate« mit Auswirkungen weit über die Rüstungsbranche hinaus. Denn involviert in die illegalen Waffentransfers nach Mexiko sind offenbar nicht nur die Oberndorfer Waffenschmiede, sondern auch das Bundesausfuhramt, das Bundeswirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt. Wenn Sie hierzu die vertraulichen Dokumente in meinem Thriller »Netzwerk des Todes« lesen, wird Ihnen speiübel werden.
Versucht man Sie nicht, juristisch mundtot zu machen?
Jahrelang wurde ich wegen meiner Recherchen mit Prozessen überzogen und habe sie alle gewonnen. Jetzt habe ich den Spieß umgedreht und selbst sieben Strafanzeigen gegen H&K, Sig Sauer, Carl Walther und das Verteidigungsministerium gestellt – weitere werden folgen.
Und wenn wir uns in zwei Jahren wieder unterhalten, was könnte passiert sein?
Das Außenwirtschafts- bzw. Kriegswaffenkontrollgesetz sehen Haftstrafen ab zwei Jahren aufwärts vor. Ich wünsche mir, dass mehrere Rüstungsmanager inhaftiert sind, was zu einem heilsamen Schock in der Waffenbranche führen sollte.
Es finden sich immer andere, die in diese Lücke stoßen und Waffen liefern.
Eine der drei klassischen Lügen der Rüstungsindustrie: »Wenn wir das nicht machen, machen's andere.« Dabei ist es vielfach genau umgekehrt: Wenn die anderen nicht liefern, liefert Deutschland. Zum Beispiel Indonesien. Das Militär wollte gebrauchte Leopard-Panzer in Holland kaufen. Dort aber untersagte das Parlament den Waffentransfer. Dafür hat der deutsche Bundessicherheitsrat dem Kauf der Kampfpanzer in Deutschland zugestimmt. Wenn wir »Nein!« gesagt hätten, wäre auch dieses Geschäft nicht zu Stande gekommen. Aber Deutschland rangiert nicht umsonst auf Platz vier der Waffenexporteure.
Dann kommt gleich die Keule: Arbeitsplätze...
Lüge Nummer 2: Direkt an der Rüstungsindustrie hängen bei uns 100 000 Arbeitsplätze. Allein der Wirtschaftszweig regenerative Energietechnik schafft zurzeit 300 000 Arbeitsplätze neu – pro Jahr!
Und die dritte Lüge?
»Eine Waffe ist neutral, der Schütze ist böse.« Als ehemaliger Soldat kenne ich das Sturmgewehr G3: Wenn Sie den Abzugshahn auf Dauerfeuer stellen, liegen in Sekundenschnelle 20 getötete und 50 verkrüppelte »Weichziele« – so die Werbesprache von Heckler & Koch – vor Ihnen. Ein solches Massaker ist niemals neutral!
Die vier medialen Schläge gegen illegalen deutschen Waffenhandel, die Vieles verändern könnten:
Mittwoch, 23.9., 20.15 Uhr, ARD: Der Spielfilm »Meister des Todes« von Daniel
Harrich (AZ-Stern des Jahres für seinen Film »Der blinde Fleck« zum Oktoberfestattentat).
21.45 Uhr, ARD: Die Dokumentation »Tödliche Exporte – wie das G36 nach Mexiko
kam«. Es ist der reale Fall hinter dem Spielfilm. Parallel zum Themenabend der ARD gibt es
ein umfangreiches Info-Angebot im Netz unter DasErste.de/meisterdestodes.
Das Buch: Jürgen Grässlin, Daniel M. Harrich, Danuta Harrich-Zandberg: »Netzwerk des Todes – Die kriminellen
Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden« (Heyne, 384 S. 16,99 Euro, ab 28.9.)