Zeitungsbericht »Meineid-Anklage in Graumarktaffäre.
Staatsanwaltschaft will dem früheren Inlandsvertriebschef
von Mercedes, Jürgen Fahr, wegen Lügen den Prozess machen«
in den Stuttgarter Nachrichten vom 27.06.2009




Meineid-Anklage in Graumarktaffäre

Staatsanwaltschaft will dem früheren Inlandsvertriebschef von Mercedes, Jürgen Fahr, wegen Lügen den Prozess machen

Seit Jahren bestreitet der Daimler-Konzern, systematisch Graumarktgeschäfte betrieben zu haben. Dem widerspricht nun die Stuttgarter Staatsanwaltschaft mit einer Anklage, die es in sich hat.

Von Rainer Wehaus

STUTTGART. Die Staatsanwaltschaft hat beim Schöffengericht des Amtsgerichts Stuttgart Anklage wegen Meineids gegen den früheren Inlandsvertriebschef von Mercedes, Jürgen Fahr (61), erhoben. Sollte das Gericht die Anklage zulassen und den Spross einer angesehenen Stuttgarter Unternehmerfamilie verurteilen, wird er nicht unter einer Freiheitsstrafe von einem Jahr davonkommen. Meineid gilt als »Verbrechen«.

Der Grund für die Anklage liegt schon sechseinhalb Jahre zurück. Damals, im Dezember 2002, war die Welt für Daimler und Fahr noch in Ordnung. Man hatte den Graumarkthändler Gerhard Schweinle unsanft fallengelassen und bezichtigte ihn des Betrugs, weil dieser die insgesamt 1018 Mercedes-Pkw, die man ihm in den Jahren zwischen 1998 und 2001 zu Sonderkonditionen verkaufte, noch vor Ablauf der sechsmonatigen Haltefrist weiterverkauft hatte. Schweinle hingegen beteuerte, die Daimler-Verantwortlichen hätten das gewusst. Was sollte er als kleiner Spediteur denn sonst mit den vielen Autos anfangen?

Da alle Daimler-Zeugen - vom damaligen Vertriebsvorstand Dieter Zetsche über Fahr bis hin zu den betroffenen Niederlassungsleitern - gegen Schweinle aussagten, wurde dieser auch verurteilt. Doch der Mann erwies sich als zäh. Er ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) und bekam dort recht. Das höchste Gericht mochte ein »stillschweigendes Einverständnis« des Konzerns zum sofortigen Verkauf der Fahrzeuge nicht ausschließen, auch weil diese schon von der Ausstattung her eher für andere Kontinente bestimmt waren. Schweinle wurde vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen, das Land muss ihm eine Haftentschädigung zahlen.

Nun nahm Schweinle Rache. Gemeinsam mit dem Daimler-Kritiker und Buchautor Jürgen Grässlin reichte er bei der Staatsanwaltschaft bereits vor Jahren Strafanzeige wegen uneidlicher Falschaussage oder Meineids gegen die Daimler-Zeugen ein.

Gegen Zetsche, inzwischen zum Konzernchef aufgestiegen, gab es zwar einen Anfangsverdacht. So existiert zum Beispiel ein Brief von Fahr aus dem Jahr 1998, in dem der Inlandsvertriebschef seinen Vorstand über die aktuellen Graumarktgeschäfte informiert. Rund 4000 Fahrzeuge pro Jahr verkaufe man auf die Art, um die »Absatzschwächen in einzelnen Baureihen« nicht offenkundig und damit öffentlich werden zu lassen, schrieb Fahr an Zetsche. Aus Sicht der Ermittler war dies allerdings noch kein Beweis dafür, dass Zetsche diese Art von Geschäften förderte oder von einzelnen Deals wusste. Zudem hatte er sich im Prozess gegen Schweinle nach der Erinnerung von Beteiligten eher unpräzise ausgedrückt. Das Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage gegen ihn wurde daher im Februar dieses Jahres eingestellt.

Auch vier andere Daimler-Zeugen kamen straffrei davon. Einen Meineid konnte ihnen die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen - wohl weil sie nicht genug wusste.

Anders die Lage bei Fahr: Er wurde damals im Prozess vereidigt und musste konkreter als Zetsche Auskunft geben. Hinzu kam, dass er, der rund 30 Jahre bei Daimler tätig war, wegen eines anderen Vergehens im Februar 2005 fristlos entlassen wurde. Fahr klagte dagegen, und bei den folgenden Verhandlungen warf ihm der Konzern unter anderem vor, mit einem anderen Graumarkthändler aus Bayern (Franz Attinger), der pro Jahr bis zu 2000 Luxuskarossen bekam und weiterverkaufte, fragwürdige Deals ausgehandelt zu haben.

Zwar einigten sich Daimler und Fahr später außergerichtlich (angeblich bekam Fahr mehrere Hunderttausend Euro), aber die Vorwürfe aus dem Arbeitsgerichtsprozess waren in der Welt, und auch die passten so gar nicht zu dem, was er 2002 vor Gericht gesagt hatte. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat Fahr damals »sich insofern strafbar gemacht, dass er wie folgt ausgesagt haben soll: Die DaimlerChrysler AG liefere grundsätzlich nicht an Wiederverkäufer. Es sei auch im Fall des Angeklagten (Schweinle, die Redaktion) keine Ausnahme gemacht worden. Auch eine andere Firma (Attinger, die Redaktion) sei nicht Wiederverkäufer, sondern Endkunde. So weit die Staatsanwaltschaft am Freitag.

Diese Aussagen Fahrs waren aus Sicht der Ermittler nachweisbar gelogen. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagt dazu: »Tatsächlich bestand nach unserer Ansicht seit spätestens 1997 ein System zur Steuerung von Parallelmarktgeschäften, das heißt: Niederlassungen und bestimmte Autohändler konnten bei der Vertriebszentrale ein Parallelmarktgeschäft beantragen. Dies wurde geprüft, und bei Einhaltung bestimmter Kriterien konnte gegebenenfalls eine Genehmigung erteilt werden.« Fahr habe, so die Sprecherin weiter, von dieser Genehmigungspraxis schon deshalb gewusst, weil er bei der Festlegung der Kriterien dabei gewesen sei »und auch teilweise an einzelnen Genehmigungsvorgängen beteiligt war«.

Damit hat die Staatsanwaltschaft erstmals öffentlich klargestellt, dass die Graumarktgeschäfte am Vertriebsnetz vorbei bei Daimler nach ihren Erkenntnissen sehr wohl systematisch betrieben wurden - etwas, was der Konzern bis heute bestreitet. Würde er es zugeben, riefe dies womöglich die Wettbewerbshüter der EU auf den Plan. Denen ist das exklusive Vertriebsnetz der Autobauer schon länger ein Dorn im Auge. Es lässt sich ihrer Ansicht nach in Zeiten des freien Markts nur rechtfertigen, wenn es auch wirklich exklusiv bleibt.

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/2107043_0_8470_-meineid-anklage-in-graumarktaffaere.html