Daimler-Chrysler braucht die Landesregierung kaum. Die Politiker aber sind wesentlich vom Wohlergehen des Konzerns abhängig. Entsprechend pfleglich behandeln sie die Automanager. Szenen einer ungleichen Beziehung.
Von Andreas Müller Neulich bei der Eröffnung des Mercedes-Benz-Museums. Für die Fotografen klettern Dieter Zetsche und Günther Oettinger in einen Oldtimer aus dem Jahr 1902, Modell Simplex. Gemeinsam lächeln der wichtigste Politiker und der wichtigste Wirtschaftsführer Baden-Württembergs in die Kameras. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass der Ministerpräsident dem Daimler-Chrysler-Chef nicht ganz ebenbürtig ist: Zetsche sitzt auf dem Fahrerplatz und hat beherzt das Lenkrad ergriffen. Oettinger ist Beifahrer und legt die Hände in den Schoß. Immerhin darf er überhaupt mit aufs Bild. Hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht kurzfristig abgesagt, dann würde sie wohl hier posieren - und der Landeschef müsste wie Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster neben dem Wagen stehen. Demnächst bei der Fußball-WM: der Autokonzern und das Land empfangen gemeinsam die Gäste aus aller Welt. »Baden-Württemberg-Haus« heißt das Besucherzentrum gegenüber dem Gottlieb-Daimler-Stadion während der vier WM-Wochen, danach ist es wieder die »Mercedes-Benz-Welt«. Für beide Partner sei das die »ideale Plattform«, schwärmte der Exvorstandschef Jürgen Schrempp, der die Kooperation noch einfädelte: »Wie unser Unternehmen steht auch das Land für Innovationskraft, Zukunftsperspektiven und Wirtschaftskompetenz.« Beim Geld endet die Ebenbürtigkeit allerdings. Die gemeinsame Loge im Stadion - 400 000 Euro teuer - bezahlt zu neunzig Prozent Daimler-Chrysler, Oettinger muss aus der leeren Landeskasse lediglich 40 000 Euro beisteuern. Die zwei aktuellen Schlaglichter - eines eher symbolisch, eines ganz konkret - sind bezeichnend für das Verhältnis zwischen dem Global Player Daimler-Chrysler und dem südwestdeutschen »Ländle«. Vordergründig begegnen sich die Mächtigen beider Sphären auf gleicher Augenhöhe. Aber tatsächlich sind die einen viel mehr auf die anderen angewiesen als umgekehrt. Der Weltkonzern, wissen die Regierenden, ist das wirtschaftliche Herz des »Musterlands«. Ihm, weniger der Politik, verdankt Baden-Württemberg zu einem guten Teil seine Spitzenstellung. Als Autoregion liege man international ganz vorne, knapp vor Detroit in den USA, referiert Oettinger gerne. Etwa 440 000 Menschen arbeiteten landesweit in der Branche, das seien zwölf Prozent aller Vollzeitjobs. Entsprechend wichtig ist es für die Politik, dass es dem Unternehmen gut geht, entsprechend pfleglich wird es behandelt. »Wenn Daimler niest«, besagt eine alte Redensart, »hat das Land Schnupfen.« Noch deutlicher beschreibt Jürgen Grässlin, Schrempp-Biograf und Sprecher der kritischen Daimler-Aktionäre, die Machtverhältnisse: »Relevante Entscheidungen fallen in der Stuttgarter Zentrale des reichen Automobil- und Rüstungsriesen, die Landesregierung verwaltet den finanziellen Notstand.« Unter dem Daimler-Stern, spottet Jürgen Grässlin, wirkten die Ministerpräsidenten »wie ergebene Regionalpolitiker« - von Lothar Späth über Erwin Teufel bis zu Günther Oettinger. Brav akzeptiere der amtierende Premier sogar den massiven Stellenabbau, obwohl er Zetsche deswegen eigentlich »die Freundschaft aufkündigen müsste«. Nicht nur den Konzernkritiker hat die verständnisvolle Reaktion auf den Sparplan irritiert. Aber sie ist typisch für Oettingers Beziehung zu Daimler-Chrysler. »Respekt« - sein Lieblingswort - war das Erste, was er für die Entscheidung bekundete: Marktlage, Kostendruck und Wettbewerb machten sie wohl unumgänglich. Immerhin hätten Vorstand und Betriebsrat das Konzept einvernehmlich erarbeitet; alle Standorte im Südwesten blieben erhalten. Erst später äußerte der Ministerpräsident auch Bedauern, dass in Sindelfingen und anderswo Arbeitsplätze »in nennenswertem Umfang« wegfielen. Umgekehrt wäre die Reihenfolge wohl klüger gewesen. Von allen Seiten hagelte es Proteste. Das Staatsministerium wurde mit bösen Briefen eingedeckt - Tenor: der Regierungschef solle doch bitte die Interessen der Bürger und nicht der Industrie vertreten. Die SPD hatte wenigstens ein Thema, mit dem sie im Landtagswahlkampf gegen die CDU punkten konnte. Genüsslich zerpflückte die Spitzenkandidatin Ute Vogt Oettingers Wort vom »Fitnessprogramm« für den Konzern: Derlei »blinde Gefolgschaft« gegenüber Zetsche sei eines Ministerpräsidenten »schlicht unwürdig«. Und sogar die CDU-Arbeitnehmer waren verwundert über ihren Parteichef. Seine »emotionale Bindung zum Management«, tadelt der Landesvorsitzende Christian Bäumler vorsichtig, müsse er noch »auf die Beschäftigten ausdehnen«. Tatsächlich sieht Oettinger den Konzern eher mit den Augen eines Managers. Immer wieder beeindruckt er Gesprächspartner mit verblüffenden Kenntnissen über Strategie und Innenleben. Als das Staatsministerium voriges Jahr seinen Betriebsausflug ins Daimler-Werk Sindelfingen machte, sollte der Ministerpräsident eigentlich nur die Begrüßung erwidern. Stattdessen referierte er ausführlich über die Modellpolitik - natürlich anhand der internen Bezeichnungen -, über Zulieferer, Kostenstrukturen und die mittelfristige Planung. Der Werksleiter musste fast nichts mehr hinzufügen. Vor der amerikanischen Handelskammer erwies der Premier dem US-Teil des Unternehmens seine Reverenz. »Jeder Mercedes-Fahrer weiß: wenn er Chrysler-Komponenten im Auto hat, hat er vielleicht einen Rückruf weniger.« Bei den Zuhörern kam das Kompliment für den Chrysler-Sanierer Zetsche gar nicht gut an: Sie grummelten vernehmlich. Und als Porsche vor einigen Monaten bei Volkswagen einstieg, warnte Oettinger öffentlich vor einer feindlichen Übernahme von Daimler-Chrysler. Mit seiner Eigentümerstruktur sei das Unternehmen als einziger deutscher Autohersteller »noch nicht gesichert«. Später beruhigte ihn Zetsche, da solle er sich mal keine Sorgen machen: Der gestiegene Börsenwert sei der beste Schutz. Themen, die für Daimler-Chrysler unangenehm sind, greift auch Oettinger nicht gerne auf. Warum der Konzern als Gewerbesteuerzahler eine solche Enttäuschung ist - darüber, sagen Eingeweihte, dürfe nicht einmal CDU-intern diskutiert werden. Offene Kritik an den Mächtigen unterm Stern gilt ohnehin als tabu. Das spürte einst beispielsweise der frühere CDU-Landesgeneralsekretär Volker Kauder, als er wegen der Anlaufprobleme der A-Klasse keck personelle Konsequenzen forderte. Empört beschwerte sich Schrempp bei Erwin Teufel über die Unbotmäßigkeit, kleinlaut musste Kauder Abbitte leisten - damit war die Sache erledigt. Stuttgarts OB Schuster büßte dagegen jahrelang dafür, dass er den Konzernchef wegen der Verlagerung des Deutschlandvertriebs nach Berlin öffentlich gerügt hatte; Schrempp nahm ihn fortan nicht mehr zur Kenntnis. Erst unter Zetsche hat sich das Verhältnis wieder entspannt. Nur als Exminister darf man sich hier zu Lande mal ein deutliches Wort erlauben. Beim Thema Feinstaub, bekannte Ulrich Müller (CDU) kürzlich, »haben wir ein Problem in und mit der Autoindustrie«; Fahrverbote brächten dagegen nichts. Seine Nachfolgerin im Umweltressort, Tanja Gönner, distanzierte sich eilends. Umgekehrt kann sich auch die Landesregierung darauf verlassen, nicht von Daimler-Chrysler kritisiert zu werden. Umso größer war das Erstaunen, als der frühere Mercedes-Chef Jürgen Hubbert vor zwei Jahren plötzlich von einer »baden-württembergischen Krankheit« sprach. Damit meinte er die hohe Zahl von Feiertagen und die tariflichen Arbeitspausen. Teufel verschlug es fast die Sprache. Sonst lobte Schrempp seine Politik doch immer in den höchsten Tönen - und nun das? Das gute Verhältnis zwischen den beiden ungleichen Männern konnte die Attacke indes nicht trüben. Wenn der eine in Bedrängnis geriet, sprang ihm der andere bei. Vor der Landtagswahl 2001, die für Teufel als Zitterpartie galt, ergriff Schrempp - höchst ungewöhnlich für einen Topmanager - öffentlich Partei für ihn: Er wünsche sich seine Wiederwahl, im Interesse des Landes. Später, als die Zweifel an der »Welt-AG« und die Kritik am Konzernchef wuchsen, revanchierte sich der Ministerpräsident. Er sei an der Strategie »nie irre geworden«, verkündete Teufel pathetisch und kürte Schrempp zum Professor ehrenhalber. Als der Premier 2005 feierlich verabschiedet wurde, war der »Professor« wie selbstverständlich einer der Festredner. Wenige Monate später kam auch für ihn das Aus - und das obligatorische Lob vom neuen Regierungschef. Schrempps Kurs sei wegweisend gewesen, versicherte Oettinger unbeirrt, während die Börse den Abgang mit einem Kurssprung bejubelte, aber sein Lebenswerk könne man erst in zehn Jahren bewerten. Der scheidende Konzernchef wiederum ließ es sich nicht nehmen, vor der Landtagswahl 2006 »ganz eindeutig« für Oettinger zu plädieren. Seit Jahrzehnten, bilanziert der Daimler-Kritiker Grässlin, herrsche ein »äußerst inniges Verhältnis« zwischen Regierung und Konzernspitze. Das soll auch unter dem neuen Chef so bleiben. Als »echter Daimler-Chrysler-Mann« sei Zetsche genau der Richtige, um die Unternehmensteile diesseits und jenseits des Atlantiks noch enger zusammenzuführen, schmeichelte ihm Oettinger. Schließlich kenne er sich in »beiden Welten« aus. Hinter solchen Komplimenten verbirgt sich freilich auch die Sorge, der weltläufige Zetsche - geboren in Istanbul - könne sich Baden-Württemberg weniger verpflichtet fühlen als sein Vorgänger. Schrempp, gebürtiger Freiburger, hatte eine fast sentimentale Beziehung zu seinem Heimatland. »Wir sind untrennbar mit den Menschen hier verbunden«, sagte er oft. Seine Standorttreue ließ sich auch an harten Zahlen ablesen: Milliarden investierte der Konzern in den vergangenen Jahren in der Region Stuttgart. Bei Zetsche weiß man noch nicht so recht, woran man ist. Eine Sorge aber kursiert bereits in Regierungskreisen: Die Gewichte im Unternehmen könnten sich unter seiner Führung verlagern - weg von Deutschland, hin nach Amerika. Als Indiz dafür wurde eine unlängst verkündete Personalie gewertet: Der Leiter des Bereichs Politik und Außenbeziehungen, Michael Inacker, verlässt Daimler-Chrysler - und wird nicht ersetzt. Seine Aufgaben soll der Cheflobbyist Robert Liberatore (Dienstsitz: Washington) mit erledigen. Als »Außenminister« stand Inacker zwar nicht so im Vordergrund wie sein legendärer Vorgänger Matthias Kleinert, Späths einstiger Regierungssprecher, aber in der Staatskanzlei und den Ministerien wird er als verlässlicher Ansprechpartner gelobt, der stets einen kurzen Draht zum Konzern garantierte. Das soll nun ein Amerikaner übernehmen, der angeblich kaum Deutsch spricht? Maßgeblicher, folgern Landespolitiker, sei für Zetsche wohl die Bundesebene. Dort, in Berlin, wirkt der einstige SPD-Wirtschaftsminister Dieter Spöri als Konzernlobbyist, dort wird der Vorstandsvorsitzende selbst künftig im Innovationsbeirat die Bundeskanzlerin beraten. Inzwischen scheinen die Irritationen aus der Villa Reitzenstein auch in die Konzernzentrale nach Möhringen gedrungen zu sein. Nur »derzeit«, heißt es nun, solle Inackers Stelle unbesetzt bleiben. Und bei der Eröffnung des Mercedes-Museums betonte Zetsche ausdrücklich die Wurzeln des Konzerns: »Wir sind zwar ein globales, aber kein heimatloses Unternehmen.« Der Beifahrer im Oldtimer hörte das nur zu gerne. Erfreut dankte Oettinger für »dieses klares Standortbekenntnis«.