AUS BERLIN STEPHAN KOSCH Die Herrschaften sind Aktienprofis. Man sieht es ihnen allerdings nicht an. Die beiden Männer tragen Popeline statt feines Tuch, die Dame blondiertes Haar und etwas zu viel Schminke. Stehen wie bei Tchibo am Stehtisch, trinken Kaffee und rauchen. Doch ihnen gehört ein kleines bisschen von dem Automobilkonzern, der mal Welt-AG werden wollte. »Was haben Sie, außer Daimler?«, fragt der Dicke mit der Glatze in breitem Thüringisch. »Ick habe alle Dax-Konzerne«, sagt der Dünne mit dem Bart. »Die dritte Säule meiner Altersvorsorge.« »Vorsicht, 'ne Versicherung auf Lebenszeit ist dett nich«, mahnt die Dame. »Man muss schon am Ball bleiben.« Deswegen trinken sie ihren Kaffee heute hier im Berliner Kongresszentrum ICC. Neuntausend Aktionäre der DaimlerChrysler AG sind gekommen, um sich von ihrem Vorstand und Aufsichtsrat anzuhören, wie es denn nun weitergehen soll mit dieser verkorksten DaimlerChrysler-Ehe, die seit einigen Wochen auch offiziell auf dem Prüfstand steht. Die einhellige Meinung am Stehtisch vor dem großen Saal - lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. So wie sich damals BMW wieder von Rover getrennt hat, als der Honeymoon vorbei war und die Probleme kamen. Die drei Kleinaktionäre waren ja von Anfang an dagegen. Die Kulturen und Märkte in den USA und Deutschland seien doch zu unterschiedlich. »Aber was machen unsere paar Stimmen schon aus?« Vor neun Jahren waren sie in der Tat in der Minderheit. Jürgen Schrempp, damals Chef von Daimler-Benz, überzeugte die Mehrheit der Aktionäre von seiner Vision des weltumspannenden Automobilkonzerns. Die neue DaimlerChrysler Aktie startete mit 72,48 Euro, gestern notierte sie bei gut 62 Euro. und das auch nur, weil der Kurs seit sechs Wochen um über 20 Prozent gestiegen ist. Denn am 14. Februar hatte Schrempps Nachfolger Dieter Zetsche einen neuen Milliardenverlust bei der ungeliebten US-Tochter gemeldet und erstmals einen Verkauf öffentlich für möglich erklärt. »Wir prüfen alle Optionen«, lauteten seine Worte. Seitdem machen nicht nur die Vertreter der Kleinaktionäre, sondern auch die mächtigen Finanzfonds Druck. »Wenn Chrysler am Ende zum Scheidungsrichter geführt würde, wären wir sehr dankbar«, sagte DWS-Manager Henning Gebhardt unter großem Beifall der Aktionäre. Und natürlich wollte er wie alle anderen im Saal mehr wissen, über den Stand der Verhandlungen. Schließlich machen auch im ICC Gerüchte die Runde. Angeblich hätte der Aufsichtsrat bereits am Dienstag über ein Angebot des kanadischen Automobilzulieferers Magna entscheiden sollen. Der wolle Chrysler für gut vier Milliarden US-Dollar übernehmen. Gekostet hatte die Übernahme 36 Milliarden. Doch dass das Abenteuer ein teuerer Spaß war, wissen hier alle. Deshalb nur raus aus dem Desaster. Eine Verkaufsmeldung hätte die Aktionäre in Berlin begeistert. Doch angeblich habe Schrempp interveniert. Wie groß ist die Macht des Exchefs noch? Alles Gerüchte, kaum einer weiß was Genaueres. Dieter Zetsche gehört zu den Eingeweihten. Doch er hält dicht, schmettert die vielen Nachfragen der Aktionäre ab. Nur so viel lässt er raus: »Ich kann in diesem Zusammenhang bestätigen, dass wir mit einigen der potenziellen Partner, die klares Interesse bekundet haben, Gespräche führen.« Allerdings sei ebenfalls richtig, »dass wir weiterhin alle Optionen offen halten müssen und ich Ihnen keine Details nennen kann.« Gesprächiger wird Zetsche beim Thema Klimaschutz. Schließlich gilt es, den Konzern vom Image des Öko-Dinosauriers zu befreien. Knapp 40 Prozent aller Mercedes-Neuwagen verbrauchten weniger als 6,5 Liter auf 100 Kilometer, sagt Zetsche. Ob darin die Smart-Modelle eingerechnet sind, die auch zu Mercedes gehören, lässt er offen. Der Diesel-Pkw soll so sauber werden wie ein Benziner - dazu muss nur erst schwefelarmer Diesel flächendeckend erhältlich sein. Und auch die Hybridtechnik, deren Bedeutung die deutschen Konzerne seit dem Erfolg der japanischen Hersteller nicht mehr kleinreden können, spielt in dem Öko-Teil von Zetsches Rede eine Rolle. Der erste Hybrid-Mercedes komme 2009 auf den Markt, verspricht er. Und dann taucht schon wieder der Begriff der Option auf: »Wir werden keine neuen Fahrzeuge mehr entwickeln, die nicht auch die Hybridoption erlauben.« Der grüne Mercedes? Möglich, ebenso wie der Chrysler-Verkauf. Aber die Diskussion über geringere CO2-Werte dürfe nicht nur auf die Fahrzeugtechnik reduziert werden, fügt Zetsche hinzu. Neue Kraftstoffe und Fahrverhalten seien genauso wichtig, Und ein gleicher Grenzwert für alle Fahrzeuge »ignoriert das Bedürfnis der Kunden nach Sicherheit und Komfort«. »Alles Seifenblasen«, sagt Jürgen Grässlin von den Kritischen Aktionären. Die insgesamt 419 angebotenen Modelle des Konzerns verbrauchten im Durchschnitt noch immer 9,7 Liter Kraftstoff pro 100 Kilometer, das habe die Vereinigung ausgerechnet. Nur etwa vier Prozent erreichten heute den von der EU angestrebten CO2-Ausstoß von 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Der Durchschnitt liege bei 240 Gramm. Mit seinen Ankündigungen wolle Zetsche nur eines verschleiern: »Die haben den Hybridtrend verpennt.« taz vom 5.4.2007, S. 3, 147 Z. (TAZ-Bericht), STEPHAN KOSCH