Jürgen Grässlin: »Nicht nur lesen oder zuhören: handeln!«
Autor und Friedensaktivist Jürgen Grässlin hatte ein Heimspiel in Freiburg.
[JG] Foto: Thomas Kunz
Von Julia Littmann
Die Lesung am Abend in einem der großen Hörsäle der Universität ist Jürgen Grässlins zweiter öffentlicher Auftritt an diesem Tag. Der Lehrer Grässlin hat mittags ein von ihm initiiertes Schulprojekt der Presse vorgestellt – die abendliche Lesung aus seinem Sachbuch-Bestseller »Schwarzbuch Waffenhandel« schließt einen seiner üblichen 16-Stunden-Tage ab.
Bei der Vorstellung listet als Gastgeber Michael Philippi, Pfarrer der Evangelischen Studierendengemeinde, auf, was den 56-jährigen Referenten auszeichnet: Er sei Menschenrechtler und Friedensaktivist, kritischer Aktionär, Lehrer, Vater, Großvater, SC-Mitglied – »Nordtribüne!« – sowie Autor »und bei den Rüstungsfirmen gefürchtet«. Auch bei einigen Automobilfirmen ist er gefürchtet, bei etlichen Banken und Politikern. Denn: Jürgen Grässlin will immer ganz genau wissen, wie Rüstung und Deals funktionieren. Und was er in Erfahrung bringt, publiziert er. Mit großem Erfolg.
Der jüngste Erfolg ist der 620-Seiten-Wälzer in Schwarz-Rot-Gold, in dem er darstellt, »wie Deutschland am Krieg verdient«. Jürgen Grässlin improvisiert vor 150 Zuhörern frei um das Buch, das als »Bestseller der Friedensbewegung« gerühmt wird. In 60 Lesungen hat er seit Erscheinen des Buches im April 2013 wieder und wieder vorgelesen, wie das überhaupt sein kann, dass deutsche Waffen in menschenrechtsverletzende Länder verkauft werden und – wenig überraschend – dort dann auch zum Einsatz kommen. Über Waffenexporte wird im neunköpfigen Bundessicherheitsrat – hinter verschlossenen Türen – entschieden. »Wir haben«, sagt Grässlin, »im Bereich des Waffenhandels null Demokratie.« Im Publikum reagiert man mit entsetztem Gemurmel.
Wer da was an wen verkauft – mit Zustimmung des Bundessicherheitsrats –, ist in seinem Buch akribisch aufgelistet. Einige Beispiele trägt Grässlin seinen Zuhörern vor. Für Saudi Arabien etwa, gleich hinter Nordkorea an zweiter Stelle der Staaten, die Christen verfolgen, steht die Lieferung von 200 Leopard-2-Panzern an, beschlossen, so schreibt Grässlin, »nur wenige Wochen, nachdem saudisches Militär im Jahr 2011 auf Wunsch der Regierung in Bahrain die dortige Demokratiebewegung niedergeschlagen hatte«. Neben schwerem Gerät wie Panzern, Militärfahrzeugen, Flugzeugen und U-Booten wird auch anderes hergestellt und geliefert, wie das Zubehör für militärische Fahrzeuge, Instrumente und Teile für unbewaffnete und bewaffnete Drohnen. Vor allem aber sind es die sogenannten Kleinwaffen, mit denen in Deutschland verdient wird, referiert Grässlin.
»Die Zahl 63 ist wichtig, die sollten Sie sich merken«, mahnt der Kritiker der Rüstungsindustrie, »von 100 Toten bei kriegerischen Auseinandersetzungen sterben 63 durch Kleinwaffen – also durch Gewehre.« Einer der ganz Großen in diesem Gewerbe ist, so wird Grässlin nicht müde zu berichten, Heckler und Koch in Oberndorf, aber auch die Freiburger »Litef« trage zum Bau von militärischem Gerät bei. Genaues zu Rüstungsfirmen und ihren empörenden Deals ist akribisch recherchiert und nachzulesen in dem Sachbuchkrimi »Schwarzbuch Waffenhandel«.
Bei seiner Lesung zeigt Grässlin nur wenige Statistiken mit schwindelerregenden Zahlen von Rüstungsexporten – die bescheren Deutschland noch immer einen dritten Platz weltweit. Außerdem liest er Auszüge aus einigen der von ihm erstellten »Täterprofile« – an diesem Abend sind es Franz Josef Strauß und Joschka Fischer. Er berichtet von der parallelen Belieferung von verfeindeten Ländern (zum Beispiel Indien und Pakistan, Griechenland und Türkei) – oder davon, wie der arabische Frühling beklatscht und die Machthaber mit Waffen ausgestattet wurden. »Mir raucht der Kopf«, gesteht ein Zuhörer nach aufregenden zwei Stunden. Die beendet Grässlin mit dem Appell: »Ihr sollt nicht nur lesen und zuhören – ihr könnt selber handeln!« Ideen dafür gäbe es zuhauf auf seiner Webseite.