Zeitungsbericht »‘Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten‘
Jürgen Grässlin, Rüstungsgegner und Autor,
über die dramatischen Folgen deutscher Waffenlieferungen
in Krisen- und Kriegsgebiete«
in Badische Zeitung vom 07.05.2016



»Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten«

Jürgen Grässlin, Rüstungsgegner und Autor, über die dramatischen Folgen deutscher Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete.

Von Barbara Puppe

[Foto] Erbitterter Gegner deutscher Waffenexporte: Jürgen Grässlin Foto: puppe

KEHL. Jürgen Grässlin kam auf Einladung des Club Voltaire, der sich, wie Vorsitzende Ilse Teipelke eingangs betonte, der Aufklärung verpflichtet habe. Was der Sprecher der Kampagne »Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel« und Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft dem Publikum in seinem 90-minütigen Vortrag zumutete, war erschreckend.

Bei seinen Recherchen in Türkisch-Kurdistan und Somalia habe er unendliches Leid, verstümmelte und traumatisierte Menschen erlebt – Opfer auch deutscher Waffen. Ihnen will er mit Büchern wie »Netzwerk des Todes« und »Schwarzbuch Waffenhandel« eine Stimme und den Tätern Name und Gesicht geben.

Wie der Pädagoge und Friedensaktivist aus Freiburg ausführte, stehe Deutschland im Bereich der Großwaffen, also Kampfflugzeuge, Militärhelikoptern und Kriegsschiffe, auf Platz fünf der Weltwaffenexporteure, bei den sogenannten Kleinwaffen, wie Pistolen, Sturm- oder Scharfschützengewehren, sogar auf Platz drei. Und das, obwohl 83 Prozent der Deutschen für einen völligen Stopp des Waffenhandels seien. Deutschland liefere Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete, Christenverfolgungsstaaten, Unrechtsregime und Diktaturen, stabilisiere damit menschenrechtsverletzende Regime und treibt unzählige Menschen zur Flucht.

Im Bereich der Kleinwaffen, mit denen die meisten Menschen erschossen, verstümmelt und traumatisiert werden, sei die Firma Heckler & Koch mit Stammsitz in Oberndorf am Neckar europaweit führend. Von der Firmengründung bis zum heutigen Tage seien mehr als zwei Millionen Menschen getötet, acht bis zehn Millionen verstümmelt und traumatisiert worden durch den Einsatz von Waffen dieses Unternehmens.

Auf Initiative der Friedensaktivisten habe die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen sechs Manager der Firma im Oktober 2015 Anklage erhoben wegen illegaler G 36-Sturmgewehrexporte nach Mexiko. »Ich gehe davon aus, dass spätestens im Sommer öffentliche Prozesse stattfinden werden«, so Grässlin.

Alle Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte hätten sich an die UN-Waffenembargos gehalten. Die aktuelle Bundesregierung aber habe im geheim tagenden Bundessicherheitsrat Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete abgesegnet und zugestimmt, dass gebrauchte Sturmgewehre an den Irak geliefert werden, obwohl ein Waffenembargo bestehe. Das sei Rechtsbruch, so Grässlin, weswegen er am liebsten die Bundesregierung anzeigen wolle, was aber nicht möglich sei, weil es dazu keinen Paragraphen gebe.

Vor den Waffen versuchen die Menschen zu flüchten, oft nach Deutschland, und wissen nicht, dass sie geflohen sind in ein Land, das die Waffen geliefert hat, mit denen ihre Angehörigen getötet und verstümmelt wurden. »Der IS schießt und mordet deutsch«, sagte Grässlin. Das zusätzlich Dramatische sei, dass die Waffen, die aus Europa nach Libyen, Ägypten, Algerien, in den Irak und auf den Balkan geliefert worden sind, auf dem illegalen Waffenmarkt zurückkämen nach Europa, wo sie bei Schulmassakern, Amokläufen und Terroranschlägen eingesetzt würden. Deshalb könne die Antwort auf die Flüchtlingskrise nur sein: »Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen.«

»Aktion Aufschrei« sei ein erfolgreiches Bündnis gegen Rüstungsexport der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, der Kirchen und von Globalisierungskritikern, mit insgesamt 140 Organisationen. Die Aktion verfolge das Ziel, das Grundgesetz dahingehend zu ändern: »Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert.«

Jeder könne dazu beitragen, dass diese Vision einmal Wirklichkeit würde. Es gehe mit Kleinigkeiten los, etwa Leserbriefe zu schreiben und bei politischen Veranstaltungen Abgeordnete mit dem Thema zu konfrontieren. Selbst aktiv werden könne man auch, wenn man sein Auto bei einer Firma kaufe, die rüstungsfrei sei. Laut Grässlin ebenfalls eine gute Idee, an Infos zu kommen: eine einzige Aktie zu kaufen von Rüstungsfirmen, zu den Hauptversammlungen zu gehen und dort Fragen zu stellen. Da müsse man Antworten bekommen, denn der Aufsichtsrat habe eine Auskunftsverpflichtung.

Weitere Infos unter http://www.aufschrei-waffenhandel.de

http://www.badische-zeitung.de/kehl/wer-waffen-saet-wird-fluechtlinge-ernten--121733234.htm