Rezension »DAS POLITISCHE BUCH.
Wie die Bundesrepublik an Kriegen verdient.
Das Schwarzbuch von Jürgen Grässlin«
in Süddeutsche Zeitung vom 18.06.2013



DAS POLITISCHE BUCH

Wie die Bundesrepublik an Kriegen verdient

Das Schwarzbuch von Jürgen Grässlin

Alljährlich fügt die Bundesregierung, sei sie von rot-grüner, schwarz-roter oder schwarz-gelber Couleur, ihren Rüstungsexportberichten "Politische Grundsätze" zur Exportgenehmigung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen bei. Danach ist die Rüstungsexportpolitik restriktiv zu gestalten, die Ausfuhr nur bei Einhaltung der Menschenrechte in den Zielländern zulässig. Man hat also gelernt aus der deutschen militaristischen Vergangenheit und erklomm doch trotz restriktiver Exportbewilligungen und Menschenrechtsorientierung Platz 3 der Weltrangliste aller waffenexportierenden Staaten. Eine wundersame Quadratur des Kreises.

Um dieses Rätsel zu lösen, hat der Friedensaktivist und Rüstungsexperte Jürgen Grässlin ein Schwarzbuch im besten Sinne geschrieben: Mit einer Fülle von dicht recherchierten Fakten präsentiert es die Profiteure und politischen Wegbereiter des deutschen Rüstungs- und Waffenhandels, der alleine für das Jahr 2011 ein genehmigtes Exportvolumen von zehn Milliarden Euro umfasste.

Grässlin zeigt auf, wie schon 1961 der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß dafür sorgte, dass das in Artikel 26 des Grundgesetzes geforderte eine Bundesgesetz in zwei dem Export förderliche Gesetze mündete. Zum einen in ein Kriegswaffenkontrollgesetz, das die ausnahmsweise Genehmigung von zur Kriegsführung bestimmten Waffen regeln sollte. Zum anderen in ein vornehmlich der Exportförderung dienendes Außenwirtschaftsgesetz. Letzteres wird bis heute für den Löwenanteil aller Rüstungsgüter angewandt, da sie angeblich nicht der Kriegsführung dienen. So gelten nicht nur Militärlaster, auf denen im Kriegsfall Raketenwerfer montiert werden oder Militärelektronik als eher unbedenklich. Auch der lukrative Verkauf von Lizenzen zum Bau ganzer Waffenfabriken erfolgt nicht etwa nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, sondern dem Außenwirtschaftsgesetz.

Das Kriterium "Menschenrechte" stand bei der Vergabe der Ausfuhrgenehmigungen in erster Linie auf dem Papier. Der Bundessicherheitsrat, der in geheimer Abstimmung über strittige Exportanträge entscheidet, war schon zu Zeiten der Schröder-Fischer-Regierung überaus großzügig in seiner Vergabepraxis. Die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die damals diesem Gremium angehörte, sagte Grässlin, sie habe den Eindruck gewonnen, dass die Anträge in der Regel "von den Herren Schröder und Fischer positiv votiert wurden".

Doch bislang war die Genehmigung von Panzerverkäufen an Saudi-Arabien tabu. Im Sommer 2011 befürwortete der von Kanzlerin Merkel geleitete Bundessicherheitsrat den Verkauf von über 200 Leopard-2-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien. Während dieser Deal aber aufgrund von Protesten nach Bekanntwerden des Vorhabens noch nicht perfekt ist, scheint die Genehmigung zum Verkauf von Fregatten, Militärfahrzeugen und der Lizenz zum Bau des Transportpanzers Fuchs an Algerien, dessen Regierung jede demokratische Regung im eigenen Land mit Gewalt unterdrückt, seit Herbst 2011 beschlossene Sache.

Die meisten dieser und anderer Geschäfte gehen auf die Haben-Seite der "Big Five", wie Grässlin die größten deutschen Rüstungsprofiteure nennt. Die Panzer werden in Koproduktion der Firmen Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall hergestellt. ThyssenKrupp Marine Systems liefert die Fregatten für Algeriens Marine, Diehl Defence sorgt für Lenkflugkörper und Raketenantriebe. Das größte Volumen an Waffenexporten setzt EADS, der europäische Mischkonzern mit starkem deutschem Anteil, um, dessen Kampfflugzeug Eurofighter ebenfalls unter anderem an Saudi-Arabien verkauft wurde. Dabei wird aus Sicht der Unternehmen der Druck Rüstungsgüter exportieren zu müssen, immer größer, da die Bundeswehr als Hauptabnehmer ihrer Produkte seit Jahren ihre Ausgaben für Waffenkäufe einschränkt. Und Kanzlerin Merkel betrachtet Waffenlieferungen im Zweifelsfalle als unproblematischer denn die Entsendung von Soldaten.

2010 hat Jürgen Grässlin bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Heckler & Koch eingereicht

Weltweit sterben die meisten Menschen bei Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten an Gewehrkugeln, wie auch die Bundesregierung in ihrem Rüstungsexportbericht 2011 einräumt. Hier spielt Heckler & Koch, Europas größter Hersteller von sogenannten Kleinwaffen, eine zentrale Rolle. Grässlin errechnet aus dem Marktanteil der in praktisch allen Krisenregionen der Welt zum Einsatz kommenden Waffen dieses Unternehmens eine Zahl von rund zwei Millionen getöteten Menschen. Die meisten dieser Opfer gehen auf das Konto des alten Sturmgewehrs G3, deren Lizenz an mehr als ein Dutzend Staaten, darunter auch Pakistan und Iran, verkauft wurde.

Seit den 1990er Jahren wird das Nachfolgemodell G36 vertrieben, eine Standardwaffe der Bundeswehr, von der 180.000 Stück angeschafft wurden, die aber auch in den Streitkräften weiterer 30 Staaten zum Einsatz kommt. Lizenzverkäufe zum Bau von Waffenfabriken für dieses Modell erfolgten bislang an Spanien und zuletzt 2008 an Saudi-Arabien.

Im vergangenen Mai wurde bekannt, dass Heckler & Koch einräumt, Tausende von G36-Gewehren auch an die in der Exportgenehmigung an Mexiko ausgenommenen Unruheprovinzen geliefert zu haben. Schuld daran, sagt die Firma, seien zwei Mitarbeiter der mittleren Ebene, von deren Machenschaften die Firmenleitung nichts gewusst habe. Zum spannenden Kern des Buches gehört Grässlins Darstellung seiner Strafanzeige von 2010 gegen Heckler & Koch in dieser Sache. Wenigstens untersagte die Bundesregierung 2011 weitere Waffenlieferungen nach Mexiko. Die Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft dauern an.

WIGBERT BENZ

Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient. Heyne Verlag, München 2013, 624 S., 14,99 Euro

Der Lehrer und Historiker Wigbert Benz lebt in Karlsruhe.

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr. 138, Dienstag 18. Juni 2013, S. 15