Zeitungsbericht »‘Wir gehen mit mehr Fragen hier raus.’
Schülerinnen und Schüler des Faust-Gymnasiums diskutieren
mit Politikern über den Einsatz in Afghanistan«
in Badische Zeitung vom 13.12.2010



»Wir gehen mit mehr Fragen hier raus«

Schülerinnen und Schüler des Faust-Gymnasiums diskutieren mit Politikern über den Einsatz in Afghanistan.

JG auf dem Podium

Afghanistan-Diskussion im Faust-Gymnasium Staufen Foto: Rainer Ruther

STAUFEN. Es gibt viele Fragen in dieser Zeit des Landtagswahlkampfes: Was wird aus der Rheintalbahn? Wie sieht die Schule von morgen aus? Schülerinnen und Schüler des Gemeinschaftskundekurses K2 am Faust-Gymnasium interessierte am Donnerstagabend etwas ganz anderes. »Was verteidigen wir in Afghanistan? – Unsere Sicherheit? Die Menschenrechte? Unsere Wirtschaftsinteressen?«

Vorbereitet hatten die 13 Kursteilnehmer – unterstützt von ihrer Lehrerin Erika Ossami – das Thema »Afghanistan« seit langem, aber nur die SPD schaffte es, mit Gernot Erler einen in der Materie kompetenten Sprecher zu benennen. Die übrigen Politiker auf dem Podium, der Freiburger FDP-Stadtrat Sascha Fiek und die Landtagskandidaten Patrick Rapp (CDU) und Hanspeter Egel-Fischer von der Partei »Die Linke«, hatten es also nicht leicht gegen das Schwergewicht Erler, denn der Freiburger Bundestagsabgeordnete war zum Teil direkt an Entscheidungen zu Afghanistan beteiligt.

Ein flottes Dreiergespräch

Die Diskussion, befeuert durch sachkundige Fragen vieler Jugendlicher aus dem Publikum, wurde vor knapp 100 Zuhörern schnell zu einem flotten Dreiergespräch zwischen Erler, dem Vertreter der Linken und Jürgen Grässlin, dem streitbaren Vorsitzenden des Freiburger Rüstungsinformationsbüros.

»Was verteidigen wir in Afghanistan?«, lautete eine Frage. Am Hindukusch werde die Sicherheit Europas verteidigt, so Erler. Wirtschaftsinteressen verteidigten dort weder Deutschland noch die USA noch ein anderes der 48 Länder, die die ISAF stellen (International Security Assistance Force – Internationale Sicherheits-Unterstützungstruppe). Einen Tag nach dem 11. September 2001 hätten die USA von den Vereinten Nationen grünes Licht erhalten, die Terror-Angriffe auf Washington und New York mit militärischen Mitteln zu beantworten.

In Afghanistan deshalb, weil nach allen Erkenntnissen die saudi-arabischen Terroristen in den Flugzeugen in Afghanistan ausgebildet und von dort geführt worden seien. Doch die Taliban wurden nicht besiegt, sondern konnten sich nach anfänglichen Niederlagen neu formieren und einen Guerilla-Krieg gegen die ISAF beginnen. Ziel der beteiligten Staaten sei es jetzt, so Erler, die Taliban daran zu hindern, wieder an die Macht kommen und weitere Terrorangriffe zu führen. »44 deutsche Soldaten sind dort gestorben um zu verhindern, dass wir aus Afghanistan wieder bedroht werden«, fügte er hinzu.

Aber ist ein Militäreinsatz in Afghanistan das richtige Mittel, um das Problem zu lösen? Grässlin widersprach heftig: »Wir tragen durch die Teilnahme der Bundeswehr und durch deutsche Waffenlieferungen dazu bei, Öl ins Feuer zu gießen«, sagte er. Die Menschenrechtslage habe sich dramatisch verschlechtert, und nach seiner Meinung spielten auch Wirtschaftsinteressen mit – es gelte, sich Anteile an den Rohstoffen des Landes zu sichern. Seit Fazit: »Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan – der zivile Aufbau des Landes muss anders gesichert werden.« Beifall bekam er dafür von der Linken. Hanspeter Egel-Fischer ging noch einen Schritt weiter: Die Bundeswehr müsse sofort aus Afghanistan abgezogen werden. »Es ist unglaublich, dass wir den Amerikanern in dieser Sache gefolgt sind«.

»Unverantwortlich« nannte Erler die Forderung nach Sofortabzug, denn der führe unweigerlich zu einem Bürgerkrieg im Land, und die Terrorgefahr würde weltweit enorm wachsen. Es gebe keine Alternative zu einem graduellen Rückzug, wie ihn auch die USA bis 2014 angekündigt haben, mit gleichzeitigem Aufbau einer afghanischen Polizei- und Soldatentruppe und der Fortsetzung der zivilen und humanitären Hilfe.

»Gut und schön«, antwortete Jürgen Grässlin, der mit Freiburger Schülern 80.000 Dollar gesammelt und damit eine Schule für Mädchen in Afghanistan gebaut hat. Nur habe sich die Sicherheitslage durch den Militäreinsatz verschlechtert – ihm sei sogar abgeraten worden, die Schule zu besuchen, weil die Lage so unsicher sei.

Erler dagegen war erst vor ein paar Wochen im Land, und er schilderte, warum der zivile Aufbau so schwierig ist. So habe Deutschland ein Lehrerzentrum in der Nähe des Bundeswehr-Stützpunktes finanziert; die Kosten und die Gehälter sollte dann die afghanische Verwaltung übernehmen. »Aber die haben gesagt: Das können wir nicht, weil viel zu viel Geld in dunklen Kanälen verschwindet.« Die Korruption sei unvorstellbar.

Die Vertreter von FDP und CDU beschränkten sich darauf, die von der SPD kaum abweichenden Positionen ihrer Parteien zu vertreten. Sie betonten, die Bundeswehr verfechte nur Sicherheitsinteressen in Afghanistan und der zivile Aufbau müsse forciert in Angriff genommen werden.

Alle fünf Podiumsteilnehmer rühmten die faire Diskussionsatmosphäre und die Tatsache, dass sich die Schüler eines so sperrigen Themas angenommen hatten – oder wie Erler zum Schluss der zweieinhalbstündigen Veranstaltung sagte: »Wir gehen mit mehr Fragen hier raus. Aber das ist nicht schlimm – denn die Fragen mögen euch als Anstoß für weitere Beschäftigung mit Politik dienen.«

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