Zeitungsbericht »Umzingelt von Lieblingsfeinden.
DaimlerChrysler-Kritiker Jürgen Grässlin knöpft sich
nach Jürgen Schrempp jetzt Dieter Zetsche vor
und landet vor Gericht«
in Süddeutsche Zeitung am 01.09.2006



Umzingelt von Lieblingsfeinden

DaimlerChrysler-Kritiker Jürgen Grässlin knöpft sich nach
Jürgen Schrempp jetzt Dieter Zetsche vor und landet vor Gericht

Keine Angst vor großen Tieren nach diesem Motto lebt, redet und vor allem schreibt der Freiburger Autor Jürgen Grässlin seit vielen Jahren. In seinem neuesten Buch »Das Daimler Desaster«, Ende letzten Jahres erschienen, legt er sich noch einmal inbrünstig mit seinem Lieblingsfeind, dem Ex Konzernlenker Jürgen Schrempp an; der ist für ihn der größte Versager und Kapitalvernichter in der Unternehmensgeschichte. Zwar sind sämtliche Vorwürfe, die Grässlin gegen Schrempp erhebt, nicht neu, aber darauf kommt es ihm auch gar nicht an. Was ihn treibt, ist Grundsätzliches: »Ich lege mich mit diesem Buch immerhin mit Deutschlands mächtigstem Konzern an«, sagte er während einer Lesung in seiner Heimatstadt Freiburg.

Jetzt muss sich der DaimlerChrysler-Kritiker vor Gericht verantworten, und zwar wegen seiner Vorwürfe gegen Schrempps Nachfolger, Dieter Zetsche, den Hoffnungsträger des Autokonzerns. Dem Chrysler Sanierer mit dem Walrossbart wirft Grässlin vor, [.] [DR. Z IS WATCHING YOU!]. So schildert Grässlin in seinem Buch die Zeugenvernehmung des früheren Vertriebsvorstands Zetsche im Dezember 2002 vor dem Stuttgarter Landgericht, wobei es um die Verschiebung von acht Luxuslimousinen ging. Dabei habe sich Zetsche in Widersprüche verwickelt, die das Gericht aber aus lauter Respekt vor einem dieser »industriellen Halbgötter« ignoriert habe.

DaimlerChrysler verlangte von Grässlin eine Unterlassungserklärung, die dieser aber verweigerte. Und so fand sich der Autor jetzt vor dem Berliner Landgericht wieder, um dieser Anschuldigung abzuschwören. Vor Monaten hatte ihm bereits das Hamburger Landgericht die Behauptung untersagt, Jürgen Schrempp sei 2005 unfreiwillig zurückgetreten, nicht zuletzt weil einige seiner »Geschäfte [.] [MAULKORB DURCH PROF. S!]« gewesen seien. Ein Urteil in Berlin wurde noch für den Donnerstagabend erwartet.

Jürgen Grässlin, 48, ist im Hauptberuf Deutschlehrer. Aber zugleich inszeniert sich der Sprecher der »Kritischen Aktionäre des DaimlerChrysler-Konzerns« als leidenschaftlicher Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit und ist in dieser Eigenschaft gefürchteter Redner auf den Hauptversammlungen des Konzerns. Nach Jürgen Schrempps Abgang erhebt sich freilich die Frage, ob sich Grässlin jetzt Zetsche aus schierem publizistischen Interesse zum neuen Lieblingsfeind aufbaut. Mit seinem jüngsten Buch hat Grässlin jedenfalls einen doppelten Treffer gelandet: Monatelang hielt es sich auf den Bestsellerlisten, und das Konzernmanagement fühlte sich ebenfalls tief getroffen. Solange letzterer Umstand gerichtsnotorisch bleibt, bleiben jedenfalls auch Grässlin und sein Buch im Gespräch.

Dagmar Deckstein