Bundeswehrsoldaten bei einem Appell in Kundus in Afghanistan. Davor stehen Gewehre vom Typ G36. (Archivbild) Foto: dpa
Mehr als 10.000 Modelle des G36-Sturmgewehrs lieferte Heckler & Koch genehmigt nach Mexiko. Friedensaktivist Jürgen Grässlin zweifelt daran, dass dabei immer alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Was steckt hinter der Anklage gegen das Unternehmen?
Von Michael Greuel
Berlin. Jürgen Grässlin ist hartnäckig. Ziemlich hartnäckig sogar. Die Manager in der Firmenzentrale des Rüstungskonzerns Heckler & Koch können davon ein Liedchen singen. Der Freiburger Friedensaktivist hat den baden-württembergischen Rüstungskonzern aus Oberndorf am Neckar allein zwischen 2010 bis 2015 mit vier Strafanzeigen überzogen und diese diverse Male erweitert. Es geht dabei in erster Linie um Korruption und um illegale Waffenexporte – allerdings ebenso um zahlreiche Menschenleben.
Die Angaben schwanken. Doch ganz gleich, welche Quelle zu Rate gezogen wird, das Ausmaß bleibt erschreckend: Zwischen 50.000 und 80.000 Menschen sollen allein in den vergangenen zehn Jahren in den mexikanischen Drogen- und Bandenkriegen ihr Leben verloren haben – darunter Drogendealer, Sicherheitskräfte und Politiker, aber auch zahlreiche unschuldige Zivilisten wie erst jüngst mehrere demonstrierende Studenten.
Heckler & Koch eine Mitschuld am Tod zahlreicher Opfer
Geht es nach Jürgen Grässlin, trägt Heckler & Koch eine Mitschuld am Tod zahlreicher dieser Opfer. Schließlich seien es auch immer wieder deutsche Waffen, mit denen die Menschen in Mexiko getötet werden, erklärt er. Genauer gesagt, mit einer ganz bestimmten deutschen Waffe: dem Sturmgewehr G36, produziert in eben jener Firmenzentrale in Oberndorf am Neckar.
Von der deutschen Bundeswehr wurde die Waffe zwar ob ihrer scheinbar fragwürdigen Treffsicherheit kritisiert, bei den mexikanischen Polizeibehörden jedoch war das G36, das laut Hersteller bis zu 13 Schuss in der Sekunde abfeuern kann, insbesondere zwischen den Jahren 2006 und 2009 äußerst beliebt. Mehr als 10.000 Stück des Kriegsgeräts lieferte Heckler & Koch in dieser Zeit von deutschen Behörden genehmigt nach Mexiko. Doch Grässlin zweifelt daran, dass dabei immer alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
»Ein ziemlich verzweifelter Mitarbeiter von Heckler & Koch hat sich im Herbst 2009 an mich gewandt und mir versichert, dass tausende G36-Gewehre in den Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero aufgetaucht seien, obwohl Exporte dorthin ausdrücklich untersagt waren«, so der Friedensaktivist, der eigentlich Realschullehrer ist.
Er habe die Informationen des Mannes, bestehend aus Bildern, Videos und Dokumenten, gründlich überprüft und anschließend im April 2010 wegen des Verdachts auf illegale Waffentransporte und Korruption Strafanzeige erstattet. »So einen Zeugen findet man selten. Er war selbst im Auftrag des Unternehmens in Mexiko und hat alles hautnah miterlebt«, sagt der Rüstungsgegner. Irgendwann bekam der Mann Skrupel und suchte einen Ausweg. In Grässlin fand er ihn schließlich.
Anklage gegen frühere Mitarbeiter der Waffenschmiede
Die zuständige Staatsanwaltschaft in Stuttgart hingegen schien von der Beweislage nicht sofort überzeugt. Fünf Jahre hat es gedauert bis jetzt Anfang November Anklage gegen frühere Mitarbeiter der Waffenschmiede erhoben wurde, konkret gegen einen vormals für die Firma in Mexiko tätigen Verkaufsrepräsentanten, eine ehemalige Vertriebsmitarbeiterin, zwei ehemalige Vertriebsleiter sowie zwei ehemalige Geschäftsführer. Der Vorwurf: Die Angeschuldigten sollen an 16 Lieferungen von Gewehren und Zubehörteilen nach Mexiko beteiligt gewesen sein, wobei die Fracht in mexikanische Bundesstaaten geliefert wurde, die nicht von den deutschen Exportgenehmigungen umfasst waren.
Ein Mann hält in der Firmenzentrale ein Sturmgewehr G36 von Heckler und Koch in die Höhe. (Archivbild)
Damit hätten die Beschuldigten sowohl gegen das Kriegswaffenkontroll- als auch das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen. Die Ermittlungen gegen 13 weitere Beschuldigte sind eingestellt worden. Ob und wann das Hauptverfahren eröffnet wird, hat nun das Landgericht Stuttgart zu entscheiden.
Dass nun Anklage erhoben worden ist, bezeichnet Grässlin als »erfreulich«. Enttäuscht zeigt er sich allerdings über die aus seiner Sicht zu lange Ermittlungsdauer und darüber, dass bislang keine Untersuchungen gegen Verantwortliche des Bundesausfuhramts (BAFA) und des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) eingeleitet wurden, obwohl Mitarbeiter dieser Behörden nach seinem Dafürhalten ebenfalls in die umstrittenen Rüstungsdeals involviert gewesen seien.
Recherchen des SWR und der Wochenzeitung »Die Zeit« hatten unlängst ergeben, dass die Firma Heckler & Koch im Oktober 2005 einen Antrag für Waffenlieferungen an mexikanische Polizeibehörden gestellt hatte. Bei Anträgen für Waffenexporte müssen Rüstungskonzerne auch eine vom Empfänger ausgestellte sogenannte Endverbleibserklärung beilegen, in der aufgeführt wird, wo die Waffen letztlich landen werden.
Zehn mexikanische Bundestaaten
Im besagten Antrag waren demnach zehn mexikanische Bundestaaten aufgeführt, darunter Chiapas, Chihuahua und Jalisco – Regionen, in denen die Polizei als korrupt und brutal gilt. Da es nach deutschem Recht jedoch verboten ist, Kriegswaffen in Gebiete zu schicken, in denen systematisch Menschenrechtsverletzungen begangen werden, lehnten die Behörden den Antrag ab. Heckler & Koch insistierte und stellte einen neuen Antrag, in dem die Unruheprovinzen nicht mehr als Exportziel auftauchten, sondern als sicher eingestufte Bundesstaaten. Und siehe da: Die Lieferung wurde genehmigt. Wohl kein Einzelfall.
Doch nicht nur in diesem Zusammenhang weist der Waffendeal Ungereimtheiten auf. Um Bedenken zu zerstreuen, sollten Ausfuhren lediglich genehmigt werden, wenn sich die mexikanischen Behörden auf den Exportgrundsatz »Neu für Alt« (NfA) einlassen würden. Für die Lieferung neuer Gewehre müsste also eine gleiche Anzahl alter Waffen zerstört werden. Die Mexikaner ließen sich auf den Deal ein, kamen ihren Verpflichtungen aber nicht nach.
Obwohl Heckler & Koch im Laufe der Jahre rund 10.000 Gewehre im Gesamtwert von mehreren Millionen Euro lieferte, schmolzen die Mexikaner allem Anschein nach gerade einmal 1300 alte Waffen ein – darunter zahlreiche Revolver und Gewehre, die bereits nicht mehr funktionstüchtig waren. Deutsche Behörden wussten scheinbar davon. Im Januar 2009 wurde in einem vertraulichen Bericht des Auswärtigen Amtes angemerkt, dass »die letzte Waffenvernichtungsaktion in Anwesenheit der Botschaft bereits im August 2006 stattfand«, berichtete das TV-Magazin »Report Mainz«.
Heckler & Koch indes äußert sich inhaltlich nicht zu den Vorwürfen. Der Konzern habe im Jahr 2012 eine Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Auftrag gegeben und die Ergebnisse den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt. Im Grunde sei Heckler & Koch sowieso nur am Rande von der Sache betroffen, heißt es: »Wir möchten darauf hinweisen, dass Heckler & Koch als Unternehmen nicht Gegenstand der Anschuldigungen ist. Die Ermittlungen beziehen sich auf ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens.«