Der Tod persönlich hat der Oberndorfer Waffenfirma »Heckler & Koch«
am Samstag zum 60. Geburtstag gratuliert und ihr für die Zukunft alles Gute gewünscht.
Alles Gute? »Viele Kriege, viele Diktatoren, …«
Der Sensenmann sprach bei einer Demo-Kundgebung verschiedener Friedens- Gruppen: Knapp 250 Menschen haben am Samstag in Oberndorf gegen die Waffenentwicklung und -produktion sowie gegen Rüstungsexporte demonstriert – unter ihnen Mitglieder der Horber Initiative für den Frieden und des ehemaligen Sulzer Friedensforums.
Das Motto des Marsches vom Bahnhof in die Oberstadt: »60 Jahre Heckler & Koch: Kein Grund zum Feiern.« Hauptredner war der ehemalige Sulzer Realschullehrer Jürgen Grässlin, den das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« zu »Deutschlands prominentestem Rüstungsgegner« erklärt hat. Grässlin ist unter anderem Bundessprecher der »Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen« (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB), das er zu Sulzer Zeiten als »Rüstungsinformationsbüro Oberndorf« (RIO) gegründet hatte.
»Seit rund 50 Jahren stirbt durchschnittlich alle 14 Minuten ein Mensch durch eine Kugel aus einer Waffe, die von ,Heckler & Koch‘ entwickelt wurde«, sagte Jürgen Grässlin. »Seit Gründung der Firma im Dezember 1949 wurden mehr als 1,5 Millionen Menschen mit H&K-Gewehren erschossen.«
Von den unzähligen Opfern der Waffen aus Oberndorf, die als Krüppel überlebt haben, kennt Grässlin einige persönlich – von seinen Recherchereisen in die Türkei und nach Somaliland: zum Beispiel den Teehausbesitzer Abdirahman Dahir Mohamed. »Er ist im Besitz des G3-Gewehres, mit dem ihm das rechte Bein abgeschossen worden ist«, erzählte Grässlin. »Wegen des daraus resultierenden Knochenfraßes muss sein Oberschenkelknochen immer weiter abgesägt werden.« Diese Schicksal habe eine einzige Kugel aus einem Gewehr verursacht, das von H&K entwickelt worden sei. Was nach Grässlins Meinung kaum an Absurdität zu überbieten ist: Dass eine Firma, mit deren Produkten Menschen zu Schwerstbehinderten geschossen würden, im Jahr 2000 den »Deutschen Arbeitsplatzinvestor-Preis« in der Kategorie »Schwerbehinderte« zugesprochen bekommen habe.
Mitverantwortlich für das weltweite Leid durch H&K-Waffen sei eine »All-Parteien-Fraktion«, wie Grässlin sagte. So sei es eine der letzten Amtshandlungen der Regierung unter Helmut Kohl gewesen, eine Produktionslizenz für das Schnellfeuergewehr HK33 an die Türkei zu vergeben. »Die Nachfolge-Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer genehmigte die entsprechende Munitions-Lizenz.« Nach Jürgen Grässlins Informationen ist H&K »Europas größter Gewehrproduzent«.
Britische Friedensaktivisten berichteten nach Grässlins Rede von der H&K-Niederlassung in Nottingham. Und der Liedermacher Otto Hees besang das tödliche Werk von »Heckler & Koch«.
In einem szenischen Spiel trat Karzan Mehmud bei der Abschluss-Kundgebung als der Tod persönlich auf – in Gestalt eines Sensenmannes. Er fühlte sich in der Nähe seiner »Lieblingsfirma« in Oberndorf wie »daheim«. Seit 60 Jahren würden ihm H&K-Waffen die Arbeit erleichtern, sagte er. Die Firma ermögliche es mit ihren Produkten »noch skrupelloser zu töten, als ich, der Tod«. Der Sensenmann gestand: »Ich spüre Neid gegenüber eurer Arbeit.« Der Tod prostete einem H&K-Manager in Gestalt eines zweiten Schauspielers zu. Jener überreichte dem Tod als wirkungsvolleren Ersatz für seine Sense ein Sturmgewehr (G36). Der Tod attestierte der Firma Humor, über den er sich totlachen könne. Sie bezeichnet Menschen in ihrer Werbung als »Weichziele«.
An der Demonstration beteiligten sich Leute mit weißen Masken, der »Maskerade des Todes«. Einige trugen Schilder mit der Aufschrift: »Ich bin ein Weichziel.« Dem Protestmarsch voran schritten Aktivisten, die sich als Waffenhändler, Banker und Rüstungs-Manager verkleidet hatten – gemeinsam mit dem Sensenmann. Dahinter folgten Soldaten mit H&K-Waffen – und hinter ihnen ein Trauerzug mit Kreuzen, auf denen Länder-Namen standen. Sie erinnerten an die Toten, die beispielsweise im Iran und in der Türkei durch H&K-Waffen gestorben sind.
Die frühere Oberndorferin Gaby Ayivi hatte bei der Auftakt-Kundgebung am Bahnhof das Anti-Kriegs-Manifest von Wolfgang Borchert verlesen – »damit wir niemals aufhören, ,Nein‘ zu sagen.«
ANDREAS ELLINGER
I N F O DIE DEMONSTRATION UND EIN VORTRAG VON JÜRGEN GRÄSSLIN AM FREITAG WAREN DER AUFTAKT ZU EINEM AKTIONS-JAHR DER FRIEDENSBEWEGUNG ANLÄSSLICH DES 60. H&K-GEBURTSTAGS.