Zeitungsbericht »Illegale Waffenexporte nach Mexiko.
Aktivistin mit Sig-Sauer-Waffe getötet«
in die tageszeitung (taz) vom 31.08.2015



Illegale Waffenexporte nach Mexiko

Aktivistin mit Sig-Sauer-Waffe getötet

Zwölf Menschen sind mit Pistolen des deutschen Waffenerstellers getötet worden. Das zeigen Recherchen von ARD und taz.

[Foto] Frauenrechtlerin Marisela Escobedo starb durch die Sig Sauer: Gedenkmarsch von den »Frauen von Juarez« 2011. Foto: imago/Xinhua

BERLIN taz | Rüstungsgegner haben schwere Vorwürfe gegen den deutschen Waffenhersteller Sig Sauer erhoben. Durch den illegalen Export von Pistolen nach Mexiko trage das Unternehmen Verantwortung für mindestens zwölf Tötungen. Zudem habe die Firma Urkunden gefälscht und gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen.

Am vergangenen Donnerstag erstatteten der Friedensbewegte Jürgen Grässlin und der Rechtsanwalt Holger Rothbauer bei der Kieler Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Eckernförder Pistolenbauer.

Die Vorwürfe stützen sich auf Rechercheergebnisse des ARD-Weltspiegels und der taz, die bestätigen, dass die Frauenrechtlerin Marisela Escobedo am 16. Dezember 2010 in der nordmexikanischen Stadt Chihuahua im gleichnamigen Bundesstaat mit einer 9-mm-Sig-Sauer-Pistole vom Typ P239 erschossen worden ist.

Wie andere Aktivistinnen war die 52-Jährige zur Zielscheibe der Mafiagruppe »Los Zetas« geworden, weil sie sich gegen die Zwangsprostitution einsetzte, die zum Geschäftsmodell der mexikanischen Mafia gehört. Vielfach mit tödlichem Ausgang für die Frauen.

Tatenlosigkeit der Behörden

[Foto] Ein Foto aus der Akte, in der die Waffe als Beweismittel geführt wird. Foto: diwafilm

Angesichts der Tatenlosigkeit der Behörden hatte Escobedo selbst ermittelt, dass ihre Tochter 2008 von deren Freund ermordet worden war. Obwohl dieser seine Tat gestand, sprachen ihn die Richter mangels Beweisen frei. Zwei Jahre später fiel nun auch die Mutter den Kugeln eines Kriminellen zum Opfer, als sie vor dem Gouverneurspalast gegen die Straflosigkeit protestierte.

Ihr Mörder, der im Sold der »Zetas« stand, wurde 2012 festgenommen und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, starb aber im Dezember 2014 im Gefängnis. Gegenüber den Richtern hatte er den Mord an 20 Personen gestanden. Die Akten mexikanischer Ermittler bestätigen die Verwicklung des deutschen Waffenherstellers: Mit der Sig-Sauer, die das Leben der Frauenrechtlerin Escobedo beendete, wurden elf weitere Menschen getötet.

Die Kausalkette sei geschlossen, begründet Jurist Rothbauer seine Anzeige: »Wir haben eine deutsche Waffe, für die keine Exportgenehmigung vorlag, ein Opfer und einen verurteilten Täter.« Wer Waffen nach Chihuahua liefere, wisse genau, dass damit Menschen getötet würden, auch wenn er nicht eigenhändig schieße, so der Anwalt. Nicht zufällig hätten die Exportbehörden dem Konkurrenten Heckler & Koch wegen der schlechten Menschenrechtslage keine Ausfuhrgenehmigung für diesen Bundesstaat erteilt.

7.043 Waffen

Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte auf Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, dass Sig Sauer seit dem Jahr 2000 »keine Genehmigung für die Ausfuhr von Pistolen oder anderer Waffen erteilt« worden sei. Das Rüstungsunternehmen selbst schreibt, die Pistole sei in der Sig Sauer Inc. im US-Bundesstaat New Hampshire produziert und verkauft worden. Deshalb müsse der Export nicht in Deutschland genehmigt werden. Die mexikanische Regierung gibt an, man habe von der US-Filiale seit dem Jahr 2000 insgesamt 7.043 Waffen gekauft.

Da die Firma in den USA jedoch eine hundertprozentige Tochter der Eckernförder Zentrale ist, dürfte die Lage des Sitzes für die Notwendigkeit eines Genehmigungsverfahrens unerheblich sein. Das Bundesausfuhramt bestätigte, dass eine Genehmigung erforderlich sei, »wenn zuvor Technologie von Deutschland in die USA an das Tochterunternehmen exportiert worden wäre«. Rothbauer hält es für sehr wahrscheinlich, dass deutsche Technologie im Spiel war, und wenn es nur Einzelteile gewesen seien. »Alles spricht dafür, dass diese Waffen denselben Weg gehen wie die kolumbianischen«, vermutet er.

Letztes Jahr war bekannt geworden, dass Sig Sauer Zehntausende in Deutschland hergestellte Pistolen über die USA in das Bürgerkriegsland Kolumbien geliefert hat. Auch in diesem Fall ermittelt die Kieler Staatsanwaltschaft.

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