Zeitungsbericht »Graumarktaffäre. Prozess gegen Zetsche«
in den Stuttgarter Nachrichten vom 16.10.2009


Graumarktaffäre

Prozess gegen Zetsche

Stuttgart - Daimler-Chef Dieter Zetsche (56) muss in der Affäre um sogenannte Graumarktgeschäfte des Konzerns bis auf weiteres keine strafrechtlichen Konsequenzen mehr befürchten. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat Beschwerden von Daimler-Kritiker Jürgen Grässlin gegen die eingestellten Ermittlungen in Sachen Zetsche verworfen. Allerdings steht nun ein mit Spannung erwarteter Prozess an, der die Situation noch einmal verändern könnte.

Grässlin hatte Zetsche in mehreren Strafanzeigen vorgeworfen, über die Verwicklung des Konzerns in Graumarktgeschäfte vor Gericht gelogen und zudem eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Er legte der zögernden Staatsanwaltschaft Stuttgart dafür immer wieder neue »Beweise« vor, die schließlich auch zu umfangreichen Ermittlungen führten. Diese wurden aber vor Monaten mangels hinreichendem Tatverdachts wieder eingestellt.

Bei Graumarktgeschäften werden Fahrzeuge am offiziellen Vertriebsnetz des Konzerns vorbei verkauft, um Absatzprobleme zu kaschieren. Diese Praxis ist legal, wird aber von den Wettbewerbshütern der Europäischen Union kritisch betrachtet. Das exklusive Vertriebsnetz der Autokonzerne lasse sich in einem freien Markt nur dann rechtfertigen, wenn es auch wirklich exklusiv bleibe, argumentieren sie.

Dass es Graumarktgeschäfte auch in den Jahren 1995 bis 1998, als Zetsche Vertriebsvorstand bei Daimler war, gegeben hat, ist unstrittig. Die Frage ist nur, wie sehr Zetsche darin verwickelt war und ob er im Jahr 2002 im Prozess gegen den Graumarkthändler Gerhard Schweinle gelogen hat, als er behauptete, er habe als Vertriebschef Graumarktgeschäfte stets bekämpft. Laut Staatsanwaltschaft hat sich nicht belegen lassen, dass Zetsche damals wissentlich die Unwahrheit sagte. Sie stellte deshalb die Ermittlungen gegen ihn im Februar ein.

Grässlin beschwerte sich darüber bei der Generalstaatsanwaltschaft und letztlich sogar beim OLG - ohne Erfolg. Das letzte Wort in der Affäre ist damit aber noch nicht gesprochen. Zwar lasse sich die OLG-Entscheidung leider nicht mehr rückgängig machen, sagt Grässlins Anwalt Holger Rothbauer. Aber mit Interesse warte man nun noch auf den Prozess gegen den früheren Chef des Mercedes-Inlandvertriebs, Jürgen Fahr. Auch Fahr musste 2002 als Zeuge gegen Schweinle aussagen. Im Unterschied zu Zetsche wurde der Spross einer angesehenen Stuttgarter Unternehmensfamilie allerdings vereidigt, und die Staatsanwaltschaft glaubt ihm inzwischen nachweisen zu können, dass sein Bestreiten jeglicher Graumarktgeschäfte eine glatte Lüge war.

Meineid gilt als Verbrechen und wird mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft. Beobachter rechnen zwar nicht damit, dass Fahr in seiner Not seinen früheren Vorgesetzten Zetsche »ans Messer liefert«, zumal er von Daimler - nach zunächst fristloser Kündigung wegen anderer Vorgänge - eine hohe Abfindung im sechsstelligen Bereich erhalten haben soll. Trotzdem sind neue Erkenntnisse durch den Prozess, den das Schöffengericht des Stuttgarter Amtsgerichts am 19. und 21. Oktober auf der Tagesordnung hat, nicht auszuschließen.

Immerhin gibt es einen Brief von Fahr aus dem Jahr 1998, in dem der Inlandsvertriebschef seinen Vorstand Zetsche über die aktuellen Graumarktgeschäfte informiert. Rund 4000 Fahrzeuge pro Jahr verkaufe man auf die Art, um die »Absatzschwächen in einzelnen Baureihen« nicht offenkundig und damit öffentlich werden zu lassen, schrieb Fahr an Zetsche. Völlig unwissend und unbeteiligt war also auch Zetsche nicht.

Rainer Wehaus