Zeitungsbericht
»Grässlin: Müssen gegen skrupellosen Waffenhandel kämpfen«
in der RHEIN-NECKAR-ZEITUNG vom 29.05.2013



Grässlin: Müssen gegen skrupellosen Waffenhandel kämpfen

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Übt massive Kritik an deutschen Rüstungsexporten: Autor Jürgen Grässlin,
der jetzt im Kulturhaus Wiesloch las. Foto: Pfeifer

Von Anton Ottmann

Wiesloch. Das G 3 des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch sei das weltweit meist verkaufte Sturmgewehr. [Anm.: JG1] In 80 Staaten werde damit geschossen, von regulären Armeen genauso wie von Rebellen- und Terrorgruppen. 15 Lizenzfabriken bauten die Waffe nach, unter anderem eine im Irak. Taliban und Al Kaida schössen damit, auch die Drogenmafia in Mexiko. In der Revolution in Libyen sei das G 3 von Gaddafi-Truppen, Rebellen und Nato gleichermaßen verwendet worden. »Es wird geliefert, wo gezahlt wird, nicht nach Ethik und Menschenrechtsverletzungen«, erklärte Jürgen Grässlin, der im Kulturhaus in Wiesloch aus seinem Buch »Schwarzbuch Waffenhandel - Wie Deutschland am Krieg verdient« las. Eingeladen hatten die SPD-Verbände Wiesloch und Rhein-Neckar, die Evangelische Erwachsenenbildung, die Buchhandlung Eulenspiegel und Amnesty International, Ortsgruppe Wiesloch.

Der Autor, 1957 in Lörrach geboren, ist von Beruf Realschullehrer, hat bereits zahlreiche Bücher zur Automobil- und Rüstungsindustrie sowie zur Bundeswehr geschrieben. Seit den neunziger Jahren gilt er als der profilierteste deutsche Rüstungsgegner, ist Sprecher der »Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner« und Mitglied weiterer rüstungskritischer Organisationen. Als ehemaliger Vorsitzender und Vorstandsmitglied des von ihm mitgegründeten Rüstungsinformationsbüros in Freiburg tritt Grässlin für den Stopp aller Rüstungsexporte ein. Er war Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und kandidierte 1994 und 1998 für die Bundestagswahlen. Nachdem seine Partei dem seiner Ansicht nach »grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Kosovo-Einsatz« zugestimmt hatte, trat er im Juli aus und ist seitdem parteilos.

»Ich bin betroffen«, meinte Prof. Lars Castellucci, stellvertretender Landesvorsitzender und Bundestagskandidat der SPD, der den Autor persönlich kennt und vorgestellt hatte, am Ende des Vortrags. Er sprach aus, was die meisten im Raum empfanden, als Grässlin von den seiner Ansicht nach skrupellosen Geschäften der Produzenten erzählte, die einander bekämpfende Parteien wie Indien und Pakistan mit den gleichen Waffen beliefern, immer neue und perfektere Tötungsmaschinen erfinden und sich nicht um das Elend kümmern, das diese erzeugen. »Ein einziger Schuss zerstört Physis und Psyche von Menschen«, war von Grässlin zu hören.

Zu den Lieferanten zählen laut Jürgen Grässlin nicht nur die ausgewiesenen Waffenproduzenten, sondern auch »unverdächtige« Firmen wie SAP, die Computerprogramme liefert, Junghans, eine Firma, die nicht nur Uhren, sondern auch Zünder für Granaten und Sprengköpfe herstellt, und Daimler, die Unimogs und Sattelzüge für Armeen in der ganzen Welt produziert. Der europäische Flugzeugkonzern EADS liefert Eurofighter und Transportflugzeuge von Airbus an Saudi-Arabien, das islamistische Gruppen unterstützt und die eigene Bevölkerung unterdrückt.

Laut Grässlin ist für die Genehmigung von Exporten der Bundessicherheitsrat zuständig, dem neben dem Kanzler oder der Kanzlerin noch sechs weitere Minister angehörten. Die Entscheidungen seien geheim, der Bundestag habe keinen Einfluss darauf und werde nur im Nachhinein informiert. Grässlins vehemente Kritik: Dabei werde immer wieder gegen das Verbot verstoßen, an Staaten zu liefern, die in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt seien oder die Menschenrechte verletzten. So könne man die Lieferung von Leopard-Panzern an Saudi-Arabien nicht nachvollziehen. Diese würden auch noch mit »Schiebern« ausgerüstet, um sie gegen Demonstranten einsetzen zu können.

Altbundeskanzler Kohl habe für den ersten sprunghaften Anstieg der Waffenexporte gesorgt, so der Rüstungsgegner. Nach dem 11. September 2001 seien sie nochmals stark angestiegen, dafür seien ausschließlich der damalige Kanzler Schröder und sein Außenminister Fischer verantwortlich gewesen. Nach Aussagen von Kabinettsmitgliedern hätten beide im Bundessicherheitsrat keinen Widerspruch geduldet, sagte der Referent. Die Darstellung Fischers, dass er sich mit seiner pazifistischen Haltung gegenüber Schröder nicht durchsetzen konnte, ist nach Grässlins Aussage »schlichtweg falsch«. Deutschland sei heute weltweit der drittgrößte Waffenexporteur. Bundeskanzlerin Merkel sei daran nicht unbeteiligt, da sie auf ihren Auslandsreisen Vertreter der Waffenlobby mitnehme und deutsche Waffen geradezu anpreise. Für ihn sei sie die »Marketenderin des Todes«, lautete Grässlins drastische Formulierung.

Am Ende des Vortrags und der anschließenden Diskussion musste Grässlin deprimiert feststellen, dass sich Politiker in der Opposition immer wieder gegen Waffenexporte aussprächen und, wenn sie dann an die Regierung kämen, davon nichts mehr wissen wollten. Er rief die Zuhörer auf, für Veränderungen zu kämpfen. Im bevorstehenden Wahlkampf müsse man die Politiker zur Rede stellen, von ihnen klare Aussagen gegen den Waffenexport verlangen und diese später auch einfordern.

http://www.rnz.de/HPHeadtitles_Wiesloch/00_20130529060045_103768043_Graesslin_Muessen_gegen_skrupellosen_Waffenhan.php

[Anm.: JG1] Kommentar meinerseits zum Artikel: Dass die Kalaschnikow in ihren verschiedensten Versionen mit Abstand das meistverbreitete Gewehr der Welt darstellt, findet sich in einer differenzierten Darstellung auf S. 411 des »Schwarzbuch Waffenhandel«. Das habe ich an dem Abend auch so dargestellt.