Der Rüstungsgegner und Stuttgarter Friedenspreisträger Jürgen Grässlin spricht am Beruflichen Schulzentrum in Bietigheim-Bissingen über die deutsche Waffenindustrie und seine Mission.
Von Philipp Obergassner
[Foto Gewehre] Laut Jürgen Grässlin wird alle 14 Minuten ein Mensch durch Kugeln aus dem Lauf einer Heckler & Koch-Waffe getötet. Foto: dpa
Bietigheim-Bissingen - Die Zahl der lokalen Polit-Prominenz hielt sich am Mittwochabend bei der Vortragsreihe »Schule trifft Wirtschaft« des Beruflichen Schulzentrums Bietigheim-Bissingen auffällig in Grenzen. Wo es sonst kaum ein Politiker verpassen möchte, Präsenz zu zeigen, wenn Größen wie Annette Schavan, Günther Oettinger oder der Olymp-Chef Mark Bezner zum Vortrag eingeladen sind, kam dieses Mal nur der Landtagsabgeordnete Daniel Renkonen von den Grünen.
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Und das, obwohl – oder gerade weil – das Vortragsthema aktueller und brisanter kaum sein könnte: »Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten!« lautete der Titel des Vortrags von Jürgen Grässlin, »Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner«, wie der Wochenzeitung »Die Zeit« schrieb. Mit knapp 300 Gästen, überwiegend Schüler und Lehrer, war der Saal voll besetzt. Der in Lörrach geborene und in Freiburg lebende Lehrer und Aktivist prangerte die Rüstungsindustrie als »tödlichsten Wirtschaftszweig in Deutschland« an.
»Das Gewehr ist die Massenvernichtungswaffe des Kriegs«
Grässlin präsentierte Zahlen und Fakten zu einem Themenfeld, das in den Medien eher selten aufgegriffen wird – und mit einer Verve, wie sie bei Menschen mit einer Mission üblich ist. Sein Ziel sei eine Welt ohne Waffen und Militär, was, wie er selbst zugab, »völlig illusorisch ist«. Aber man könne versuchen, diesem Ideal Schritt für Schritt näher zu kommen. Der gewaltfreie Widerstand gegen ein System, so wie es Gandhi oder Martin Luther King gehandhabt hatten, sei sein Weg des Protests.
»Das Gewehr ist die Massenvernichtungswaffe des Kriegs«, spitzte der Aktivist zu. Laut einer Studie des Internationalen Roten Kreuzes würden 63 von 100 Kriegsopfern durch ein Gewehr sterben. Und das am häufigsten verwendete Gewehr nach der russischen Kalaschnikov sei das G3 von Heckler & Koch. Die deutsche Firma mit Sitz in Oberndorf am Neckar ist so etwas wie Grässlins Hauptfeind: Als kritischer Aktionär will er auf der Hauptversammlung unangenehme Fragen stellen. Zudem beginnt im dritten Quartal 2017 ein Prozessvor dem Landgericht Stuttgart gegen ehemalige Manager des Konzerns wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko. Die Strafanzeige hatte Grässlin in Zusammenarbeit mit seinem Bündnis »Aktion Aufschrei« gestellt. Die Bewegung besteht aus mehr als 150 Organisationen der Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit, Kirchen und Gewerkschaften.
»Der IS schießt und mordet deutsch. Das ist eine Schande.«
»Permanenter Rechtsbruch« sei es, wenn der Bundessicherheitsrat Ausnahmegenehmigungen für Waffenexporte in Drittländer erteile, in den Menschenrechtsverletzungen stattfinden oder gar Krieg gegen ein anderes Land geführt werde. Grässlin nannte Saudi-Arabien und Ägypten als Beispiele. Und die Waffen aus der deutschen Lieferung an die kurdische Peschmerga im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat habe am Ende auch dem Feind genutzt: »Der IS schießt und mordet deutsch. Das ist eine Schande.«
Der Vortrag war der Abschluss eines Seminarkurses, den elf Schüler der zwölften Klasse beim Schulleiter Stefan Ranzinger als zusätzliches Kursangebot gewählt hatten. Ein Jahr lang befassten sie sich mit der Waffenindustrie in Deutschland, lasen Grässlins »Schwarzbuch Waffenhandel«, hatten den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, den Bundestagsabgeordneten Rainer Arnold im Seminar zu Gast, ebenso wie Harald Hellstern von Pax Christi. Der Höhepunkt für die Schüler war dann aber der Besuch der Firmenzentrale des Panzerherstellers Krauss-Maffei-Wegmann in München. »Wir waren die erste Schulklasse überhaupt, die dort eine Führung bekommen hat«, sagt Ranzinger. Die Schüler Hannah Klenk und Pascal Elser sind sich nach den Einblicken aus dem Seminarkurs einig: Ein Job in der Rüstungsindustrie käme für sie nicht in Frage: »Ich würde versuchen, die Finger davon zu lassen«, sagt Elser.
Grässlin ist voll des Lobes für die Schüler: »Ich habe noch nie eine Klasse erlebt, die sich so engagiert über einen so langen Zeitraum mit diesem Thema auseinandergesetzt hat.« Grässlin hält regelmäßig Vorträge an Schulen, von seinen knapp 3500 Vorträgen zum Thema Waffenindustrie sei etwa jeder zehnte an einer Schule gewesen. Für die Schüler hatte Grässlin, ganz der Lehrer, am Ende auch noch eine Hausaufgabe: »Überlegt euch, bei welchem Konzern ihr kritischer Aktionär werden wollt.«