Zeitungsbericht
»Ein Mordsgeschäft mit Medellin?« in DIE WELT, S. 4
vom 27.09.2015



Ein Mordsgeschäft mit Medellin?

Heinz Krischer

Ein Tochterunternehmen der Arnsberger Umarex-Gruppe soll illegal Pistolen in das Bürgerkriegsland Kolumbien geliefert haben. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft

Auf der Homepage der Firma Walther gibt es Videos, in denen zu sehen ist, wie Männer mit Schirmmützen und schwarzen Brillen auf Zielscheiben ballern. Manche Filme sind unterlegt mit der martialischen Musik einer Heavy-Metal-Band. Einmal ruft einer der offensichtlich begeisterten Schützen auf Englisch: »Meine nächste Pistole wird eine Walther sein.«

Die Geschäfte des Waffenherstellers Carl Walther laufen bestens. Der letzte veröffentlichte Jahresbericht von Walther, ein Tochterunternehmen der Arnsberger Firma Umarex, der aus dem Jahr 2013 stammt, weist ein Umsatzplus von nahezu 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Walther exportiert vor allem Pistolen in viele Länder der Welt. In einigen deutschen Bundesländern tragen Polizisten Walther-Waffen. Und besonders gut verkaufte Walther zuletzt in die Vereinigten Staaten.

Doch nun wird das Unternehmen verdächtigt, auch nach Kolumbien Waffen geliefert zu haben. Seit Jahrzehnten tobt in Kolumbien ein blutiger Bürgerkrieg. Polizei, Paramilitärs, Drogenmafia und Guerillagruppen bekämpfen sich. Immer wieder gibt es Berichte von Massakern an der Zivilbevölkerung und von schweren Menschenrechtsverletzungen. Und ein Verkauf von Waffen in ein solches Land wäre nach deutschem Recht illegal. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits.

Angezeigt wurde der Fall von Mitgliedern der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel«. Sie behaupten, mehrere Hundert Pistolen des Typs Walther P99 und Walther P22 seien nach Kolumbien geliefert worden. Damit habe das Unternehmen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen. Und es geht um Tötungsdelikte. »Wer Schusswaffen wie die Walther P99 und Walther P22 in ein Bürgerkriegsland wie Kolumbien liefert, der weiß genau, dass mit diesen Pistolen zahlreiche Menschen getötet werden, auch wenn er die Erschießungen nicht selbst eigenhändig vornimmt. Wenn keine Genehmigung der Rüstungsexportkontrollbehörden vorlag, ist die Tat zudem justiziabel«, sagt Jürgen Grässlin, Autor des Buches »Netzwerk des Todes« und einer der Sprecher der »Aktion Aufschrei«. »Die Verantwortlichen bei der Firma Walther haben zumindest billigend in Kauf genommen, dass mit den gelieferten Pistolen extralegale Tötungen in Kolumbien vorgenommen werden.« Die Anzeige wurde bereits 2014 erstattet, seitdem ermittelt die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft in Stuttgart. Zu Details will man sich dort nicht äußern, auch sei nicht absehbar, wann die Ermittlungen beendet sind.

In den »politischen Grundsätzen« für den Waffenexport hat die Bundesregierung festgelegt, dass Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nicht erteilt werden, »wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden«. Und auf Anfrage teilt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu den Walther-Waffen mit: »Genehmigungen für Waffenlieferungen bzw. der Lieferung von Technologie zum Bau dieser Waffen nach Kolumbien sind seit 1993 nicht erteilt worden.«

Aber Recherchen der »Welt am Sonntag« nähren den Verdacht, dass etwas an den Vorwürfen der »Aktion Aufschrei« dran sein könnte und dass möglicherweise tatsächlich Waffen von Walther in Kolumbien im Umlauf sind. Auf einer Preisliste des staatlichen kolumbianischen Rüstungskonzerns Indumil aus dem Jahr 2008 ist eine ganze Reihe von Walther-Waffen zu finden. Sie sind offenbar für Militär und Polizei gedacht. Walther PPK, Walther P99, Walther P22 und weitere Waffen sind dort aufgelistet. Die P22 wird auf den Webseiten von Indumil sogar öffentlich angeboten. Und nicht nur dort: Ein kolumbianischer Waffenhändler mit Geschäften in Bogota, Cali und Medellin offeriert auf seiner Webseite ebenfalls die Walther P22 – auch für Zivilisten. Auf den Fotos ist auf den Pistolen deutlich der Schriftzug »Made in Germany« zu erkennen.

Ralf Willinger, Referent für Kinderrechte bei »terre des hommes«, kennt die Situation in Kolumbien gut. Von seinen Besuchen dort weiß er, wie sehr gerade Kinder unter der Gewalt leiden: »Ich war bei einem Treffen in Putumayo, wo sich Jugendliche mit einer Psychologin getroffen haben und ihre Erlebnisse erzählten«, sagt Willinger. »Fast jeder hatte in seiner Familie Fälle, wo der Bruder getötet worden ist oder die ganze Familie vertrieben wurde, wo Kinder ihre Eltern verloren hatten oder in einigen Fällen auch als Kindersoldaten zwangsrekrutiert wurden.«

Willinger hat den Verdacht, dass Walther-Pistolen bei jenen Guerilla-Gruppen im Umlauf sind, bei denen auch Kindersoldaten kämpfen. »Weil gerade solche leichten Pistolen wie diese P22 von Walther sich sehr gut eignen, um auch von Kindern eingesetzt zu werden.«

Walther-Waffen seien aber auch bei kolumbianischen Militärs und Polizei im Einsatz, sagen Menschenrechtler wie etwa der kolumbianische Konfliktforscher Jorge Restrepo: »Die kolumbianischen Streitkräfte haben viele Gräueltaten begangen. Ganz besonders in den Jahren zwischen 2003 und 2006. In dieser Zeit hat die Armee eine große Zahl von Morden zu verantworten«, sagte Restrepo in einem ARD-Beitrag des Filmemachers Daniel Harrich über Waffenexporte. Und: »Die Walther PP wurde zur Standardwaffe der kolumbianischen Streitkräfte und der Polizeibehörden.«

Als die »Deutsche Welle« im Februar erstmals über die Vorwürfe berichtete, wies der damalige Walther-Geschäftsführer Manfred Wörz jede Schuld zurück: »Wir können uns nicht erklären, wie die Waffe in Kolumbien in den Handel gelangen konnte«, sagte Wörz dem Sender. Die Firma habe weder Waffen noch Technologie nach Kolumbien geliefert. Inzwischen ist Wörz abgelöst worden. Und bei der Arnsberger Umarex-Gruppe will man aktuell keine Stellungnahme abgeben. Auch nicht zu einem zurückliegenden Fall.

2006 wurden Walther-Mitarbeiter aus Ulm und Arnsberg zu Bewährungsstrafen und Geldbußen verurteilt. Damals sollten Waffen des Typs Walther P99 nach Guatemala verkauft werden. Auch dafür hätte es, wegen der Menschenrechtslage, keine Genehmigung gegeben. Stattdessen fädelten Walther-Mitarbeiter einen Deal ein: Die Waffen wurden zunächst in die Schweiz geliefert, angeblich, um dort zu bleiben. »Der deutschen Exportkontrolle gegenüber war vorgespiegelt worden, die Waffen seien zum Endverbleib in der Schweiz bestimmt«, so ein Sprecher der Ulmer Staatsanwaltschaft. Aber tatsächlich habe der Exportleiter von Walther »seinen mittelamerikanischen Geschäftspartnern einen Schweizer Waffenhändler benannt, über den die Waffenlieferungen, teilweise unter weiterer Vermittlung eines tschechischen Waffenhändlers, letztlich nach Mittelamerika gelangten«.

Ob das nun im Fall Kolumbien ähnlich lief? Das ist noch völlig offen. Insider spekulieren auch, dass Walther möglicherweise die Pistolen zunächst legal an die US-Armee geliefert haben könnte. Und von dort seien sie dann nach Kolumbien gelangt; es gebe angeblich enge Verbindungen zwischen der US-Armee und den kolumbianischen Streitkräften.

Auch in diesem Fall wäre Walther nicht aus dem Schneider, sagt Holger Rothbauer, Jurist aus Tübingen, der die Strafanzeige gegen die Firma Walther bei der Staatsanwaltschaft einreichte. »Die Firma hätte im Rahmen der Endverbleibserklärung nach der Außenwirtschaftsverordnung das endgültige Zielland – in diesem Fall also Kolumbien – angeben müssen«, sagt der renommierte Anwalt, der seine Kanzlei zusammen mit der früheren Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin betreibt. Sollten die Waffen tatsächlich über die USA nach Kolumbien gelangt sein, geht Rothbauer davon aus, dass Walther davon gewusst hätte. Dann wäre die Lieferung über die USA »ein klar gewolltes und geplantes Umgehungsgeschäft« – und damit ebenfalls illegal.

http://www.welt.de/print/wams/nrw/article146898234/Ein-Mordsgeschaeft-mit-Medellin.html