Zeitungsbericht
»Deutschlands prominentester Rüstungsgegner«
in Badische Zeitung vom 23.09.2016



»Deutschlands prominentester Rüstungsgegner«

Jürgen Grässlin stellte in der Mensa des Schulzentrums Nord sein neuestes Buch »Netzwerk des Todes« vor.

[Foto] Jürgen Grässlin (links) referierte auf Einladung von Dietmar Krieger in Offenburg. Foto: Peter-Michael Kuhn

OFFENBURG. Jürgen Grässlin schont die rund 40 Zuhörer bei der Präsentation seines neuesten Buchs »Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden« nicht. Zum einen zeigt er Fotos von Kriegsopfern und auf der Flucht vor Kriegen ertrunkenen Menschen. Zum anderen gestaltet er seinen Vortrag mit sehr vielen Statistiken, die allesamt den Anstieg der deutschen Waffenexporte belegen.

Die Offenburger Initiative »Lebenswege« hatte Grässlin, der vom Spiegel als »Deutschlands prominentester Rüstungsgegner« bezeichnet wurde, zum Vortrag in die Mensa des Schulzentrums Nord eingeladen. Grässlin arbeitet als Lehrer in Freiburg, in seinen Ferien bereist er die Länder, in die die deutschen Rüstungskonzerne ihre Waffen verkaufen. Er schreibt Bücher, arbeitet bei Fernsehdokumentationen mit und führt Prozesse wegen gegen ihn angestrengter Unterlassungsklagen.

So ist er derzeit wegen »Verdachts verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen« angeklagt. Grässlin hatte durch Informanten von Verflechtungen zwischen Rüstungsindustrie und Behörden erfahren, dies 2010 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart angezeigt – die bislang aber nicht tätig geworden sei. Dass Grässlin 2015 mit den Informationen an die Öffentlichkeit ging, ist deshalb nachvollziehbar, die gerichtliche Verhandlung steht aber noch aus. Im Anschluss an den Vortrag empfiehlt Grässlin den Anwesenden, das neueste Werk zu wählen: »Noch darf ich es verkaufen«.

Grässlin hat ein echtes Anliegen, sein Engagement gegen die Rüstungsindustrie ist Überzeugungsarbeit – anders lässt sich das Arbeitspensum, das er sich auferlegt hat, gar nicht erklären. Andererseits scheint er sich auch zu gefallen in der Rolle des Asterix, der sich den großen Rüstungskonzernen entgegenstellt. Sein Zaubertrank ist die Öffentlichkeit, die er auch als Kleinaktionär von Daimler für sich zu nutzen weiß. Nur eine Aktie besitzt er, was ihm Rederecht bei der Aktionärsversammlung verschafft, und das schöpft er zusammen mit weiteren Vertretern der »kritischen Aktionäre« voll aus. Im Mittelpunkt von Grässlins Kritik stehen nicht die Panzer, sondern Kleinwaffen und Transportfahrzeuge und die »Ausfuhr von Rüstungsfabriken« in Diktaturen. Damit gerät neben Rüstungsfirmen wie »Heckler & Koch« und »SIG Sauer« auch der Stuttgarter Autobauer Daimler ins Visier des Rüstungsgegners, der als Wehrdienstleistender unehrenhaft entlassen wurde, weil er sich weigerte, auf Zielscheiben mit menschlichen Silhouetten zu schießen.

Die Zahlen, die Grässlin an diesem Abend vorlegt, sind entmutigend. Deutsche Rüstungsexporte seien 2015 so hoch gewesen wie nie, und das, obwohl Wirtschaftsminister Gabriel 2013 versprochen hatte, diese ganz einzustellen. Und die »Einzelfallregelungen« für den Export von Waffen sind mit 55 Prozent höher als die »normalen« Rüstungsexporte in Nato-Länder. »Manchmal hilft nur Zynismus, Sarkasmus und Ironie«, bilanziert Grässlin, aber verzagt klingt er nicht. Im Gegenteil. »Nicht gefrustet sein, sich zusammentun und Politiker mit kritischen Fragen konfrontieren«, ist sein Rat an die Zuhörer.

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